Warum verlässt man seine Heimat? Aus welchen Gründen kehrt man irgendwann vielleicht zurück? Und wie sieht es aus, das Miteinander von jenen, die „schon immer“ da sind, und solchen, die ihr Leben in der Region erst neu organisieren müssen – oder wollen? Unter dem Titel Vom Kommen und Gehen geht das Kursbuch Oder-Spree in seiner jüngsten Ausgabe diesen Fragen nach – und sucht die Antworten wie gewohnt bei den Menschen der Region. 

Das Kursbuch Oder-Spree. Vom Kommen und Gehen bringt Menschen, Orte und Objekte in einen Einklang, und vermittelt einen facettenreichen Einblick in das Leben im Landkreis Oder-Spree.

Vom Kommen und Gehen. 16 Geschichten über Menschen

Das Buch vereint unter dem Titel Vom Kommen und Gehen 16 Geschichten über Menschen aus der Region. Dabei geht es um die Themen Zu- und Wegzug, Umsiedlung, Arbeitsmigration und beruflicher Ortswechsel. Es deckt die Geschichten vieler Bewohner:innen des Landkreises auf, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Denn der brandenburgische Landstrich zwischen Berlin, Oder und Spreewald, an der Grenze zu Polen, besticht eher durch seine Abgeschiedenheit, Natur und endlosen Seen. Die wechselvolle Geschichte der Region ist nicht das Erste, woran man denkt. Mit Hilfe dieser 16 lebensgeschichtlichen Erinnerungen wird Migrationsgeschichte der Region exemplarisch erzählt.

Ngoc Thuan Ho – einstiger Vertragsarbeiter aus Vietnam

Im September 1988 kommt der in Ho-Chi-Minh-Stadt geborene mit 18 Jahren als Vertragsarbeiter in die DDR. Die DDR ist auf die Unterstützung ausländischer Arbeitskräfte angewiesen. Thuan Ho wird dem größten chemischen Betrieb der DDR zugeordnet, den Leuna-Werken bei Halle. Als im November 1989 die Mauer fällt , sind viele vietnamesische Vertragsarbeiter beunruhigt, fragen sich was nun aus ihnen wird. Währen die meisten in ihre Heimat zurückkehren, stellt er in Westdeutschland einen Asylantrag und landet schließlich im Westerwald. Thuan Hos Asylantrag erhält eine Ablehnung, aber er bleibt geduldet. Erst 1997 werden die ehemaligen Vertragsarbeiter:innen der DDR mit den Arbeitsemigrant:innen der BRD geleichgestellt. Wer seinen Lebensunterhalt selbst verdient und straffrei ist, bekommt ein Daueraufenthaltsrecht. 2000 wird Thuan Ho eingebürgert. Er heiratet und eröffnet in Dresden einen Lebensmittelhandeln mit Imbiss. Als 2004 ein Kollege in Frankfurt (Oder) seinen Imbiss aufgibt, sieht Thuan Ho die Chance auf Verkleinerung. Er und seine Frau ziehen nach Brandenburg und bleiben.

Vom Gehen und Zurückkommen zweier Künstlerinnen

Vor 40 Jahren haben die beiden Künstlerinnen Johanna Görke-Cassirer und Maria Sibylla Ponizil die alte Sargtischlerei in Woltersdorf zu ihrem Lebensort gemacht. Doch die Widernisse, mit denen die beiden in der DDR zu kämpfen hatten, ließen keinen andere Wahl. Sie stellten einen Ausreiseantrag und verließen 1984 die DDR; zunächst nach Westberlin. Später fanden Sie in Nordrhein-Westfalen eine neue Heimat und bereisten Europa. Das Haus in Woltersdorf hatte Johanna Görke-Cassirer vorher ihrer Schwerster überschreiben. Inzwischen war die Mauer gefallen und der Rückweg nach Woltersdorf offen. Gleichwohl waren sie andernorts seit zwölf Jahren verankert. Die beiden Künstlerinnen entschieden sich zurückzugehen und sahen in Woltersdorfer eine neue Perspektive. Das Grundstück war verwahrlost, die Gebäude kaputt. Sie entrümpelten, sanierten und leben heute eingebettet in einen freundlichen Ort.

Helene Tews – die Spätaussiedlerin in Eisenhüttenstadt

Helene Tews kommt in der Sowjetrepublik Kirgisien als sogenannte Russlanddeutsche zur Welt. In der Schule spricht sie Russisch, zuhause Deutsch. Sie gehört zur jahrhundertealten deutschen Minderheit in Russland. Mit dem Ende des Kalten Krieges ergeben sich neue Möglichkeiten, nach Deutschland zurückzukehren. 1992 verkauft Familie Tews das selbstgebaute Haus, Hof und Tiere und packt ihre Koffer. Sie sind zwölf; Helene mit Mann und Kindern, ihr Bruder mit Frau und Kindern sowie ihre Eltern. Man schickt sie erst ins Erzgebirge, dann nach Peitz in Brandenburg, später ziehen sie nach Eisenhüttenstadt. Ihr Mann hat Glück und findet feste Arbeit, sie verkauft Softeis. Fünf Jahre später kaufen sie Land im Landkreis Oder-Spree bauen ein Haus für sich, daneben für den Bruder und Familie. Helene arbeitet in einem Shoppingcenter In Eisenhüttenstad und betreibt nebenher seit 2013 einen eigenen Laden mit russischen Spezialitäten.

Lebengschichten stehen exemplarisch für die verschiedenen Wege

Diese drei Lebengschichten stehen exemplarisch für die verschiedenen Wege, die Menschen aus oder in die Oder-Spree-Region geführt haben. Erzählt wird auch die Geschichte der Vertriebenen, die nach 1945 zu Tausenden aus dem heutigen Osteuropa in Brandenburg ankamen. Oder die Geschichte der katholischen Minderheit in Polesien (heute Belarus), die den Sowjets als Polen galten und daher 1945 ins Lebuser Land an die Oder umgesiedelt wurden. Es ist die Geschichte westdeutscher Verwaltungskräfte, die nach 1989 nach Ostdeutschland kamen und blieben. Oder die Geschichte philippinischer Pflegekräfte, die angeworben wurden, um heute im Landkreis Oder-Spree den Mangel an Pflegekräften auszugleichen.

Jährliches Kursbuch Oder-Spree

Seit 2020 präsentiert sich der traditionsreiche Kreiskalender des Landkreises, eine seit 1906 – mit Unterbrechungen – jährlich erscheinende Broschüre zur Regionalgeschichte, als Kursbuch Oder-Spree. Das Kursbuch Oder-Spree ist der rote Faden zur passenden Jahresausstellung im Museum Oder-Spree.

Das Kursbuch Oder-Spree. Vom Kommen und Gehen kann bestellt werden über das:
Museum Oder-Spree, Frankfurter Str. 23. 15848 Beeskow, info@museumoderspree.de
Tel.: 03366 352 727

Landkreis Oder-Spree/Förderverein Burg Beeskow (Hrsg.): »vom kommen und gehen – kursbuch oder-spree«, Verlag für Berlin-Brandenburg, 128 S., ca. 50 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 10 Euro, ISBN 978-3-96982-082-7Versand 2,75 Euro

Über den Autor

SEITEN:BLICK

arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Der Begriff SEITEN:BLICK steht für die Blicke, die wir links, rechts und hinter "die Dinge" werfen wollen.

Alle Artikel anzeigen