Die Idee ist einfach, simpel und plausibel: Die Migranten aus der Türkei schreiben ihre eigene Geschichte. […] Mit diesem Projekt wird die Mündigkeit der türkischen Bevölkerungsgruppe unter Beweis gestellt!

Ahmet Sezer, DOMiT-Vorstand zur Eröffnung der Ausstellung „Fremde Heimat“, 1998.

1998 war es endlich soweit: Gemeinsam mit dem Ruhrlandmuseum eröffnete der gemeinnützige Verein DOMiT – heute DOMiD – seine erste Ausstellung über die Einwanderungsgeschichte und den Alltag türkischer Migrant:innen in Deutschland. Acht Jahre zuvor hatte eine Gruppe türkischer Migrant:innen den Verein gegründet mit dem Ziel, Quellen zu dieser, ihrer eigenen Geschichte zu sammeln und öffentlich auszustellen.

Heute sind die gemeinnützige Organisation und ihre bisherigen Erfolge aus der deutschen Erinnerungslandschaft nicht mehr wegzudenken. Dabei war der Erfolgsweg von DOMiD keineswegs vorgezeichnet…

Vorgeschichte

Eine der größten und bis heute sichtbarsten migrantischen Minderheiten in Deutschland sind Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte. Zwischen dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen im Oktober 1961 und dem sogenannten Anwerbestopp 1973 wanderten um die 900.000 Arbeitskräfte und ihre Angehörigen aus der Türkei in die Bundesrepublik ein. In Folge bürgerkriegsähnlicher Unruhen und Verfolgungen suchten ab den 1970er Jahren auch türkische Oppositionelle in Westdeutschland Zuflucht.

Wie viele der sogenannten türkischen „Gastarbeiter:innen“ ließen sich einige von ihnen dauerhaft im Exil Deutschland nieder. Damit hatte der deutsche Staat allerdings nicht gerechnet. Einerseits gewährte die Bundesrepublik Geflüchteten zeitweise Exil und warb um ausländische Arbeiter:innen. Andererseits wurde Migration in Deutschland lange als zeitlich befristetes Phänomen verstanden. Bis Mitte der 2000er Jahre lehnte die Mehrheit der deutschen Politiker:innen und Intellektuellen die Bezeichnung „Einwanderungsland“ ab. Die migrantischen Arbeiter:innen wurden ab den 1980er Jahren gemeinsam mit anderen migrantischen Gruppierungen angefeindet. Zu Beginn der 1990er entlud sich dieser verbreitete Hass in der deutschen Bevölkerung in einer Serie rassistischer Anschläge.

Die Ziele des Vereins

Genau in dieser Zeit des anwachsenden Fremdenhasses fand sich im Ruhrgebiet eine Gruppe türkischer Intellektueller zusammen. Ihr Ziel war es, die deutschtürkische Geschichte in der Öffentlichkeit zu stärken. Bis dahin spielte Migrationsgeschichte in Deutschland nahezu keine Rolle. Auch innerhalb der türkischen Community wurden Erinnerungen meist nur innerhalb der eigenen Familie geteilt. Dabei drohte das historische Erbe dieser ersten Generation an „Gastarbeiter:innen“ in Deutschland verloren zu gehen. Die ersten von ihnen erreichten bereits das Rentenalter und verstarben. Andere entschlossen sich, in Folge der rassistischen Anfeindungen im Laufe der 1980er und 1990er Jahre, zur Rückkehr in die Türkei.

Diesem Verlust der eigenen Geschichte und damit einem Stück eigener Identität wollte der türkische Verein DOMiT entgegenwirken. Gemeinsam ihre Geschichte zu teilen, zu schreiben und zu verbreiten, stellte für die Gründer:innen des Vereins ein Akt der Selbstermächtigung dar. Damit sollte nicht nur eine Wirkung innerhalb der eigenen Community erzeugt werden. Vielmehr zielte der Verein von Beginn an auf eine Reformierung und Erweiterung der gesamtdeutschen Erinnerungskultur.

Gemäß der Parole „Wir sind auch das Volk!“ wollten die Initiator:innen der deutschen Mehrheitsgesellschaft einen Spiegel vorhalten. Hatten die „Gastarbeiter:innen“ ab den 1950er Jahren als günstige Arbeitskräfte entscheidend zum wirtschaftlichen Aufbau Westdeutschlands beigetragen, gerieten sie nun im Zuge scharfer Asyldebatten in Kritik. Den oftmals selbst Ausgebeuteten und Ausgegrenzten wurden nun mitunter ausbeuterische Absichten und ein mangelnder Wille zur Integration vorgeworfen. Nach der Überzeugung der Vereins-Gründer:innen von DOMiT konnten Einblicke in die Leistungen und Lebenswelten der deutsch-türkischen Mitmenschen helfen, gängige, negative Klischees zu entkräften.

Am Anfang eine Garage

Als der Verein im Dezember 1990 mit diesen Absichten offiziell gründet wurde, bestand er zunächst nur aus einer kleinen Gruppe Interessierter. Der Name ihrer Organisation lautete Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei e.V. (kurz: DOMiT). In einem ersten Konzeptpapier im März 1990 hatte die Gruppe bereits das ehrgeizige Ziel gesetzt, ein Archiv und schließlich ein Museum der türkischen Migrationsgeschichte in Deutschland zu schaffen. Beginnen mussten sie jedoch mit kleinen Schritten. Noch fehlten der Organisation sowohl fachliche Kenntnisse als auch finanzielle Ressourcen. Die Anfangsjahre waren dementsprechend geprägt von ständigen Existenzkrisen des Vereins. In einer Garage in der Stadt Essen schafften es die Initiator:innen dennoch innerhalb kürzester Zeit ein kleines Depot aufzubauen.

Eine multiperspektivische Sammlung

Als ihre ersten Bestände übernahm DOMiT die Sammlung des sogenannten Türkei-Archivs, einer kurzlebigen Initiative der 1980er Jahre. Mit dem Türkei-Archiv gingen vier Aktenordner, gefüllt mit kopierten Artikeln der Zeitschriften STERN und SPIEGEL über „Gastarbeiter:innen“, in den Besitz des neuen Vereins über. Auf diese Quellen aus deutscher Perspektive wollten sich die Mitglieder von DOMiT jedoch keinesfalls beschränken.

Ihr Hauptaugenmerk galt von Anfang an der Sichtweise türkischer Migrant:innen und ihrer Nachkommen in Deutschland. Um diese einzufangen kontaktierten die Gründungsmitglieder von DOMiT zunächst Angehörige aus dem eigenen Bekanntenkreis, fragten nach persönlichen Objekten und führten viele Gespräche. Alltagsgegenstände, Dokumente, Fotos und Erzählungen im Sinne der Oral History gingen nach und nach in das Vereinsarchiv ein.

Pressebild DOMiD | Archiv/Magazin DOMiD | Motiv Kassettenschrank mit Helios-Leuchtturm im Hintergrund Foto: DOMiD-Archiv, Köln

Zusammenarbeit mit nicht-migrantischen Institutionen

Damit die Geschichte der türkischen „Gastarbeiter:innen“ auch in die Öffentlichkeit getragen werden konnte, musste sich DOMiT Anfang der 1990er Jahre schließlich selbst sichtbar machen. Dazu publizierte der kleine Verein bereits ab 1991 einen Newsletter und suchte nach Kontakten in der Wissenschaft, öffentlichen Kultureinrichtungen und der Politik.

Der Durchbruch gelang schließlich mit einem gemeinsamen Projekt von DOMiT und dem Ruhrlandmuseum (heute: Ruhr Museum) der Stadt Essen. Im Herbst 1993 wendete sich der Verein in eigener Initiative an das alltags- und sozialgeschichtliche Regionalmuseum. Dieses sagte vor dem Hintergrund des rassistischen Mordanschlages in Solingen, wenige Wochen zuvor, einer Kooperation zu. Gemeinsam mit dem Ruhrlandmuseum erarbeitete DOMiT in den folgenden Jahren eine Ausstellung über die Einreise, Sehnsüchte und den Lebensalltag türkischer „Gastarbeiter:innen“ in Deutschland. Wichtig war den Mitgliedern des gemeinnützigen Vereins dabei, dass DOMiT in dem Projekt als gleichberechtigter Partner auftrat. Mehr als zwanzig Jahre später fasste eines der Gründungsmitglieder von DOMiT/DOMiD, Ahmet Sezer, das „Grundprinzip“ des Vereins wie folgt zusammen:

Wir sind nicht die Zulieferer für irgendwelche Projekte einer deutschen Einrichtung. Wir kooperieren mit allen, aber wir möchten, dass diese Geschichte aus beiden Perspektiven erzählt wird. Also die Sichtweise der Migranten soll zur Geltung kommen, und das können nur die Menschen (garantieren), die selbst diesen Hintergrund haben

Ahmet Sezer in „Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft“ 2021, S. 83.

„Fremde Heimat“

Am 15. Februar 1998, viereinhalb Jahre nach der ersten Kontaktaufnahme des Vereins, öffnete die Ausstellung „Fremde Heimat“ in den Räumen des Ruhrlandmuseums. Sowohl von Seiten der Politik als auch aus der deutsch-türkischen Community erhielten die Ausstellungsmacher:innen positive Rückmeldungen. Mehr als 40 Prozent der Besucher:innen verfügten über einen sogenannten Migrationshintergrund. Der Museumsleiter Ulrich Borsdorf selbst bezeichnete den dahinter stehenden Verein DOMiT in seiner Eröffnungsrede von „Fremde Heimat“ als „Gedächtnis der türkischen Arbeitsmigrant:innen“.

Aufgeworfen wurden in der alltags- und kulturgeschichtlichen Ausstellung unter anderem Hintergründe der Migration. Vor allem erzählte sie von den persönlichen Zwiespälten vieler „Gastarbeiter:innen“ und Exilanten der ersten Generation: Zwischen Heimatliebe und Niederlassung in der Bundesrepublik, den Erwartungen und Träumen, mit welchen sie die Einreise angetreten hatten und der Ausbeutung, die sie in deutschen Betrieben in Kauf nehmen mussten. Prägend für ihr Leben in Deutschland blieb vor allem in der ersten Generation der migrantischen Familien die offene Frage, ob und wann sie in die Türkei zurückkehren würden.

Von DOMiT zu DOMiD

Mit der Ausstellung „Fremde Heimat“ hatte sich DOMiT in der Region einen Namen gemacht. Im Jahr 2000 ließ sich der Verein in Köln nieder, wo er ein Jahr später im historischen Rathaus die zweisprachige Ausstellung „40 Jahre Fremde Heimat – Einwanderung aus der Türkei in Köln. 40 yıl Almanya – Yaban, Sılan olur.“ eröffnete. Im selben Jahr, 2001, diskutierte erstmals der nordrhein-westfälische Landtag über die Einrichtung eines Migrationsmuseums. Dabei sollte es sich um ein allgemeines Museum über Migration nach Deutschland handeln.

Da DOMiT bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich die Geschichte der türkischen Community in den Blick nahm, gründete das Vereinsmitglied Aytaç Eryılmaz 2003 den Verein Migrationsmuseum in Deutschland e.V. Gemeinsam forderten Angehörige unterschiedlicher migrantischer Minderheiten darin die finanzielle Unterstützung eines geplanten Migrationsmuseums. Wenige Jahre später, nach dem Abschluss der interdisziplinären Ausstellung Projekt Migration im Jahr 2006, schloss sich DOMiT mit Migrationsmuseum in Deutschland e.V. zusammen. Ab 2007 lautete der Name der neuen Organisation fortan Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. (kurz: DOMiD).

Auf dem Weg zum Museum

Trotz der ständig wachsenden Sammlung, Anerkennung und Expertise fehlte es dem gemeinnützigen Verein DOMiD bis zum Ende der 2010er Jahre weiterhin an einer dauerhaften, finanziellen Unterstützung. Zuletzt bedrohte die Kündigung des bisherigen Mietverhältnisses im Jahr 2005 die Existenz des Vereins. Im Jahr 2009 schließlich erfolgte der Umzug DOMiDs ins Bezirksrathaus Köln-Ehrenfeld. Die dortigen Mietkosten werden seither von der Stadt übernommen. Im selben Jahr billigte das Land Nordrhein-Westfalen eine jährliche, feste Förderung des gemeinnützigen Vereins zu.

Pressebild DOMiD | Migrationsmuseum | Entwurf „Haus der Einwanderungsgesellschaft“. Grafik: facts and fiction

In Zusammenarbeit mit staatlichen Kulturinstitutionen und wissenschaftlichen Einrichtungen erarbeiteten die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen sowie die Angestellten bei DOMiD in den folgenden Jahren mehrere digitale und analoge Ausstellungsprojekte. Auch an Tagungen und Publikationen zum Thema Migrationsgeschichte in Deutschland beteiligt sich DOMiD heute regelmäßig. Seit 2016 widmet sich der Verein verstärkt seinem ursprünglichen Hauptziel: der Gründung eines Migrationsmuseums in Deutschland. Nach aktuellen Informationen wird das „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ voraussichtlich im Jahr 2027 eröffnet und durch eine feste Förderung aus Bundesmitteln unterstützt. Damit wird nicht zuletzt die bundesweite Bedeutung DOMiDs anerkannt. Bis zur Eröffnung des Museums bietet der Verein außerdem eine breite Palette an digitalen Angeboten und pädagogischen Konzepten für Schulklassen, Forschende und andere Interessierte. Diese sowie eine ausführliche Publikation über die mehr als 30-jährige Geschichte des Vereins finden sich auf der Seite https://domid.org/.

Titelbild und Leseempfehlung: 
Das Titelbild zeigt einen Ausschnitt des Buchcovers "Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft. DOMiD – Ein Verein schreibt Geschichte(n)" von Manuel Gogos. Die über 270 Seiten starke Publikation zum 30-jährigen Jubiläum des Vereins umfasst spannende Einblicke in die Entstehung, Entwicklung und Projektarbeit DOMiDs. Erhältlich ist die Jubiläumsschrift über die Seite des Verlages transcript oder als kostenloses PDF-Download unter https://domid.org/news/buch-gedaechtnis-der-migrationsgesellschaft/. 

ISBN: 978-3-8376-5423-3  | 272 Seiten | Preis Buchform: 40,00 €

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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