Der 30. Oktober 1961 hat das Leben von unzähligen Menschen und die Geschichte Deutschlands nachhaltig verändert. Auf Grundlage einer vermeintlich simplen Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei, dem sogenannten Anwerbeabkommen, kamen zwischen 1961 und 1973 rund 900.000 türkeistämmige Menschen zunächst zum Arbeiten nach Deutschland. Viele von ihnen sind geblieben und prägen Deutschland seit damals auf vielfältigste Weise. 

Feier im Haus der Kulturen der Welt

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) hat am 5. Oktober 2021 dieses geschichtsträchtige Jubiläum gemeinsam mit ca. 130 geladenen Gästen im Haus der Kulturen der Welt gefeiert. Mit dabei waren der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der eine Festrede hielt, sowie seine Exzellenz der Botschafter der Türkei, Ahmet Başar Şen.

Die TGD war hoch erfreut darüber, dass Bundespräsident Steinmeier warme und ermutigende Worte für die 60-jährige Geschichte der Migration aus der Türkei gefunden hat.

“Die Geschichten der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter verdienen einen angemessenen Raum in unseren Schulbüchern und in unserer Erinnerungskultur; eine Randnotiz wird ihrem Beitrag für unser Land nicht gerecht. Wenn wir ihre Geschichten erzählen, als integralen Teil der Geschichte dieser Republik, dieses Landes, erst dann verstehen wir unser aller Geschichte“, so Bundespräsident Steinmeier. Deutschland sei außerdem ein Land mit Migrationshintergrund und es sei höchste Zeit, dass wir uns dazu bekennen würden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf den Feierlichkeiten zum Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Foto: © Andreas Schwarz.

Am Ende seiner Festrede bestärkte Bundespräsident Steinmeier Jugendliche, junge Frauen und Männer in Deutschland, sich den Platz zu nehmen, der ihnen zusteht. „Nehmen Sie sich den Platz in der Mitte, und füllen Sie ihn aus! Gestalten Sie diese Gesellschaft mit, denn es ist Ihre Gesellschaft“

Gökay Sofuoğlu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland meint: “Insgesamt können wir eine Erfolgsgeschichte sehen. Eine Geschichte, die damit angefangen hat, dass Menschen ihre Heimat für die Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen haben. Eine Geschichte, die weiterging mit den großartigen Leistungen und Herausforderungen der Migrant:innen und ihrer Kinder und die jetzt mit der Enkel- und Urenkel-Generation in der Gegenwart angekommen ist. Sie sind fester Bestandteil dieses Landes und tragen den Willen zur Teilhabe in sich. Das sind gute Nachrichten!“

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Es bleibt aber nicht nur bei diesen guten Nachrichten und Erfolgsgeschichten. Neben ihnen gibt es auch eine dunklere Seite unserer Geschichte. “So viele unterschiedliche Menschen und trotzdem gibt es eine Reihe schmerzhafter Erfahrungen, die ihren Platz im kollektiven Gedächtnis der Deutschtürkinnen und Deutschtürken einnehmen“ meint Atila Karabörklü, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. „Da geht es um politische Fehler, wie die „Türkenklassen“, die Residenzpflicht oder die Rückkehrprämie unter Bundeskanzler Kohl. Und es geht um Rassismus und Rechtsextremismus, es geht um die vielen Mordanschläge und um den skandalösen Umgang der staatlichen Behörden damit.

Wir glauben, dass eine ehrliche Auswertung der 60 Jahre notwendig ist. Denn damit können auch die Erinnerungen der „Gastarbeiter:innen und ihrer Kinder“ endlich zum Teil deutscher Geschichte werden. Dann erst haben wir ein stabiles Fundament, auf dem wir eine Einwanderungsgesellschaft bauen können“, betont Karabörklü abschließend.

Begleitende Ausstellungen und Projekte

Der Festakt fand in Kooperation mit mehreren Projekten und Partnern statt: Das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) zeigte eine Wanderausstellung „Viel erlebt, viel geschafft … viel zu tun! – Geschichten aus der Migrationsgesellschaft“. Die ausgestellten Objekte, Dokumente und Fotografien erinnern an die vielen Menschen, die zwischen 1955 und 1968 als Arbeitsmigrant:innen in die BRD und DDR kamen.

Musiker:innen aller Generationen und unterschiedlicher Genres traten im Ensemble „Deutschlandlieder/Almanya Türküleri“ mit Liedern auf, die sie während ihres Lebens in Deutschland herausgebracht haben. Damit stellten sie die deutsch-türkische Musikgeschichte in den Fokus.

Darüber hinaus stellte Özcan Mutlu sein in Zusammenarbeit mit Correctiv veröffentlichtes Buch „60 Jahre – Wie Deutschland meine Heimat wurde“ vor und zeigte Portraits der Menschen, die im Buch zu Wort kommen.

Nach dem Programm gab es noch einen Empfang, bei dem die Gäste Speisen und Getränke zu sich genommen haben und miteinander ins Gespräch gekommen sind. Das ausführliche Programmheft finden Sie hier. Die Rede der beiden Bundesvorsitzenden der TGD, Gökay Sofuoğlu und Atila Karabörklü, finden Sie hier.

Der Festsaal im Haus der Kulturen der Welt. Foto: © Andreas Schwarz.

#GenerationAlmanya

Die TGD hat das 60. Jubiläum aber nicht nur mit einem großen Festakt gefeiert sondern u.a. auch mit der Social Media-Kampagne #GenerationAlmanya. Dabei wurden 12 Menschen der ersten, zweiten und dritten Generation zusammengebracht. Ihnen wurden Fragen zu Themen wie Identität, Bildung, Liebe und Sexualität, Vergangenheit und Zukunftsaussichten gestellt.

Herausgekommen sind zwei ca. 30-minütige Videos mit emotionalen und interessanten Gesprächen. Die Videos zeigen auch die Diversität der türkeistämmigen Community, anstatt sie, wie so häufig, als “die Türken” zu sehen. 

https://www.youtube.com/watch?v=waXtXLl1WLA

Episode 1 von #GenerationAlmanya

https://www.youtube.com/watch?v=0aIFISmEijs 

Episode 2 von #GenerationAlmanya

Titelfoto: Hinter dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen verbergen sich viele Geschichten – von Erfolgen aber auch schmerzhaften Erfahrungen. Bild: Wikimedia, CC BY-SA 3.0.

Über den Autor

Dilay Yahlier, Kaan Bagci

Dilay Yahlier ist Projektreferentin bei der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Kaan Bağcı ist für die Pressearbeit der Türkischen Gemeinde in Deutschland verantwortlich.

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