Heute vor zehn Jahren starb der Autor Jakob Arjouni. Bekannt wurde er mit seinem Debütroman „Happy birthday, Türke!“ aus dem Jahr 1985. Mit viel Sarkasmus porträtierte Arjouni darin die Gegenwartsgesellschaft in Frankfurt am Main Mitte der 1980er Jahre. Erzähler und Hauptcharakter des Romans ist der türkischstämmige Privatdetektiv Kemal Kayankaya. Neben Mord, Drogengeschäften und Prostitution widmet sich die Krimigeschichte vor allem einem Thema: Rassistische Fremdzuschreibungen aufgrund von Hautfarbe, Namen oder anderer äußerer Merkmale. Bis heute haben die geschilderten Themen nicht an Brisanz verloren. Geändert hat sich aber der Blickwinkel darauf, wie sich kulturelle Vielfalt und rassistische Diskriminierung abbilden lassen.

Der Autor

Beginnen wir jedoch zunächst mit der Entstehungszeit des Romans:

Als Arjouni „Happy birthday, Türke!“ veröffentlichte, war er gerade einmal 21 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den Nachnamen seiner damaligen marokkanischen Ehefrau angenommen. Gemeinsam mit dem Thema und Setting des Romans führte dies zu der weit verbreiteten Annahme, dass der Autor selbst türkischer Abstammung sei. Tatsächlich stammte Jakob Arjouni aus sogenannten gutbürgerlichen, deutschen Kreisen ohne Migrationshintergrund. Seine Romane wirken dadurch jedoch nicht unauthentischer.

Im Kontext der 1980er und 1990er Jahre

Nach „Happy birthday, Türke!“ schrieb Arjouni viele tagesaktuelle, gesellschaftskritische Werke, darunter vier weitere Kriminalgeschichten mit Privatdetektiv Kemal Kayankaya. Gefeiert wurden diese zunächst vor allem für ihren Lokalflair. In der Kayankaya-Reihe stellt die hessische Messestadt das Setting einer Kriminalgeschichte, die sich deutlich an amerikanischen Vorbildern orientiert. Intensiv rezipiert wurde die Handlung von „Happy birthday, Türke!“ schließlich mit der gleichnamigen Verfilmung von Doris Dörrie aus dem Jahr 1992.

Vor den Hintergründen rassistischer Anschläge in Hoyerswerda im Vorjahr, Rostock, Mölln sowie Solingen im darauffolgenden Jahr nahm die Dringlichkeit der angestoßenen Rassismuskritik in Arjounis Werk erheblich zu. Erstmals wurde öffentlich diskutiert, was Arjounis provokante Kriminalgeschichte Mitte der 80er Jahre thematisierte: Das Rassismus kein Randphänomen war und ist, sondern sich auch nach 1945 überall in der deutschen Gesellschaft findet.

Die Handlung

Dabei erscheint die Geschichte zunächst wie ein eher seichter Krimi: ein einsamer Privatdetektiv, der viel trinkt und sich nicht selten prügelt. Frauen gegenüber schlägt er einen väterlich-herablassenden Ton an und gibt auch ansonsten reihenweise zynische Sprüche zum Besten. In der Entstehungszeit des Romans feierten Kritiken die Figur als deutschtürkische Version des US-amerikanischen Detektivs Philip Marlowe. Man könnte ihn auch einen „typischen Macho“ nennen, ein Paradebeispiel toxischer Männlichkeit.

Angegriffen wird der Detektiv jedoch nicht allein aufgrund seiner abfälligen Bemerkungen, sondern auch, weil ihn Passant:innen, Polizisten, Wirt:innen und Prostituierte als Ausländer lesen. Sie wissen nicht – und fragen auch nicht nach – was die Leser:innen bereits zu Beginn des Romans über die Identität Kayankayas erfahren: Er sei zwar Türke von Geburt, so der Erzähler und Hauptcharakter, aber bei deutschen Adoptiveltern in einer „durch und durch deutschen Umgebung“ aufgewachsen. Seine Muttersprache ist Deutsch. Gelegentlich spricht er auch Hessisch. Nur Türkisch hat er leider nie gelernt.

Die Handlung von „Happy birthday, Türke!“ ist stellenweise stark überzogen und soll es auch sein: Aus der Sicht des zynischen Privatdetektivs erscheinen die übrigen Figuren zu Karikaturen verzerrt. Kayankaya spielt mit ihnen und mit dem Bild, was sie sich wiederum von ihm machen. Mal gibt er sich als Gesandter der türkischen Botschaft aus und mal erklärt er einem betrunkenen Passanten seine dunklere Hautfarbe stamme vom letzten, ausgedehnten Strandurlaub. Die Vorurteile seines Gegenübers setzen Grenzen. Manchmal kann Kayankaya sie aber auch als Türöffner benutzen.

Eine grenzwertige Parodie?

Dass es in der Realität nicht so leicht ist, zwischen der eigenen Selbst- und verschiedenen anderen Fremdwahrnehmungen hin- und herzuspringen, erklärt sich von selbst. Vor dem Hintergrund wachsender Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik im Laufe der 1980er Jahre erscheinen die amüsanten Wortgefechte zwischen Kayankaya und so manchem deutschen Biedermeier wie eine Verharmlosung.

Mit Kayankayas Streichen werden dafür gekonnt rassistische Stereotype ad absurdum geführt. Dazu trägt auch die unvorteilhafte Darstellung betrunkener, deutscher Passanten und krimineller Polizisten bei, die ihrerseits über vermeintlich unzivilisierte Ausländer herziehen. Abgesehen von ihrem Verhalten, beurteilt der Erzähler seine vorrangig, weißen Mitmenschen nach eigenen oberflächlichen Parametern. Meist ist es die Körperform, über die neu auftretende Charaktere definiert werden: Wer nicht den Stempel ‚auffallend unterernährt‘ erhält, wird auf kreative und abfällige Art und Weise als übergewichtig beschrieben. Bodyshaming würde man es heute nennen.

Rollenbilder – neu und alt

Auch bei der Einschätzung seiner nicht-deutschen Klientin greift der Detektiv Kayankaya seinerseits auf bekannte Vorstellungen zurück: In seinen Augen ist die Frau, die erfahren möchte, wer ihren Mann ermordet hat, zunächst nur „die kleine Türkin“. Im weiteren Verlauf der Handlung wird sie als gutgläubige, stille Frau dargestellt. Sie scheint das eigentliche Opfer zu sein. In ihrem Vater erkennt der Detektiv „das Familienoberhaupt, was […] keinen großen Spaß an dem fremden Land mit seinen unfröhlichen, ordentlichen Bewohnern hatte.“ Sein Sohn, der Schwager des jüngst Ermordeten, tritt dem entgegen als besonders angepasst und ehrgeizig auf. Die Schwester ist drogenabhängig. Sie lebt vollständig isoliert.

In dieser Familie ist jede:r anders. Trotzdem erscheinen alle Charaktere sehr eindimensional. Vor allem die passive, türkische Frauenrolle sticht als verbreitetes Klischee ins Auge. Dabei fällt es beim Lesen nicht immer leicht zu unterscheiden, ob diese Darstellung die persönlichen Ansichten des Erzählers wiedergeben sollen oder den Vorstellungen des Autors entsprechen.

„Happy birthday, Türke!“: Ein Anfang

Ist das Buch einmal zugeklappt bleiben gemischte Gefühle. Abgesehen von der spannenden Ermittlungsarbeit liest sich Arjounis Kriminalgeschichte als zeitgenössische Gesellschaftskritik. In diesem Sinne macht der Roman auf diverse, reell existierende Problematiken aufmerksam. Erstmals steht ein türkischstämmiger Ermittler im Rampenlicht. Seine Erzählung erweckt den Eindruck, dass Menschen wie ihm mit ausländisch gelesenem Namen und nicht-weißer Hautfarbe unabhängig von dem Umkreis der Ermittlung überall Fremdenfeindlichkeit begegnet. Auch wird die mögliche Entfremdung zwischen den ersten und nachfolgenden Generationen einer migrierten Familie als traumatisch Erfahrung angerissen.

Zugleich sind alle Charaktere im Sinne der Parodie stark vereinfacht porträtiert. Damit werden nicht zuletzt bestehende Stereotype reproduziert. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Geschichte aus der Perspektive des bewusst nicht fehlerfreien Detektivs erzählt wird. Dennoch vertrauen wir als Leser:innen dem Erzähler. Seine Schilderungen prägen bewusst oder unbewusst unsere Vorstellungen von der Welt und von Menschen, denen wir persönlich nie begegnet sind. Literatur trägt also Verantwortung. Dessen war sich Arjouni wohl bewusst.

Die Reichweite seiner rassismuskritischen Botschaften ist jedoch von dem entsprechenden Unterhaltungswert des Werkes – hier bestehend aus den flapsigen Sprüchen und dem Hau-Drauf-Stil der Hauptperson – abhängig. Trotz mancher Mängel aus heutiger Sicht nutzte Arjouni sein Schreibtalent und seinen teils grenzwertigen Humor, um Themen wie Rassismus und voreilige Fremdzuschreibungen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft aufzuzeigen. Damit ist „Happy birthday, Türke!“ bis heute lesenswert – auch wenn sich dabei einige neue Debatten ergeben dürften.

Titelbild: Das Titelbild zeigt die zweite Ausgabe des Romans "Happy birthday, Türke!" erschienen am 22. September 1987 im Diogenes Verlag 
ISBN: 978-3-257-21544-1 | 176 Seiten | 11,00 €  

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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