Im letzten Beitrag der Reihe "Flucht in die DDR" blicken wir auf Geflüchtete aus der französischen Kolonie Algerien zwischen 1958 und 1962. 
Die Kurzreihe befasst sich mit den weniger bekannten, kleineren Gruppierungen, die aufgrund politischer Verfolgung seit Ende des Zweiten Weltkrieges in die sowjetische Besatzungszone und in die spätere DDR emigrierten. 
Vorhergehende Beiträge: "Einwanderung in die DDR: Spanische Kommunist:innen im Exil"; "Aus Griechenland. 'Markos-Kinder' im Exil" und "Chilenische Kommunist:innen im Exil in der DDR".

Wenn von Migration in die DDR, spezifisch aus afrikanischen Ländern, die Rede ist, denken wir zunächst an Vertragsarbeiter:innen – beispielsweise aus Mosambik. Auch aus dem nordafrikanischen Staat Algerien reisten zwischen 1974 und 1984 mehrere hundert Arbeitsmigrant:innen in die DDR. Dabei handelte es sich jedoch nicht um die ersten Algerier:innen in der ostdeutschen Diktatur. Bereits 1958 befanden sich 87 Männer und Frauen aus der damals noch französischen Kolonie Algerien in der DDR.

DDR-Asylpolitik im Zuge „kommunistischer Solidarität“

In den vorherigen Beiträgen haben wir gezeigt, wie die Praxis der internationalistischen Solidarität zwischen der DDR und kommunistischen „Bruderstaaten“ beziehungsweise Exilregierungen aussah. Über die Aufnahme von kommunistischen Oppositionellen aus unterschiedlichen Staaten der Welt beteiligte sich die SED-Regierung am ideologischen Machtkampf der Systeme: Kommunismus vs. Faschismus und westliche Demokratien. Dass in der DDR auch nicht-kommunistische Geflüchtete Asyl fanden, lässt sich damit nicht erklären. Hintergrund hierfür bildete vielmehr ein außenpolitischer Pragmatismus der SED.

DDR-Asylpolitik im Zuge der Dekolonisation

Zu dieser Zeit wendete sich der ostdeutsche Staat verstärkt ehemaligen und gerade im Unabhängigkeitskampf befindlichen Kolonien in Afrika und Asien zu. Viele von ihnen schlossen sich 1961 offiziell zum Bündnis der „blockfreien Staaten“ zusammen. Obwohl sie damit eine (vermeintlich) neutrale Position im globalen Ost-West-Konflikt einnahmen, versuchte die DDR als sowjetisch dominierter Staat eine Annäherung. Diese bestand -nach dem Beispiel der Sowjetunion – unter anderem in der Aufnahme verfolgter, indigener Widerstandskämpfer:innen aus den Kolonien. Ideologisch rechtfertigen konnte die SED ihre Asylpolitik, in dem sie diese als Teil des kommunistisches Kampf gegen einen westlichen Imperialismus deutete. Dahinter steckte aber auch ein außenpolitisches Kalkül:

Zum einen erwies sich der Prozess der Dekolonisierung für die ostdeutsche Regierung als nützlich im Konkurrenzkampf zwischen den beiden deutschen Staaten. Als Verbündeter westlicher Kolonialmächte wie Frankreich und Großbritannien konnte die Bundesrepublik allenfalls eine Vermittlerrolle wagen, sich jedoch nicht vehement für die Unabhängigkeit der Kolonien einsetzen. Dementsprechend geriet auch sie in Kritik, eine imperialistische Weltmachtordnung zu befürworten. Zum anderen suchte die SED mit der Unterstützung neuer unabhängiger Staaten und indigener Exilregierungen die eigene außenpolitische Isolation zu durchbrechen. Diese war wiederum wenige Jahre zuvor, 1955, mit der Verabschiedung der sogenannten „Hallstein-Doktrin“ durch Westdeutschland vorangetrieben worden.

Algerien: ein Beispiel

Insgesamt wird die Zusammenarbeit zwischen der DDR und (späteren) blockfreien Staaten in populärwissenschaftlichen Darstellungen wenig thematisiert. Im Zuge der Asylpolitik findet einzig das Beispiel algerischer Geflüchteter in der DDR Erwähnung. Dabei handelte es sich auch hierbei um eine zahlenmäßig begrenzte Gruppe, die zunächst weniger als 100 Personen umfasste. Seit 1954 hatte die DDR über Kontakte mit der indigenen, kommunistischen Partei PCA aus Algerien mehrere Kommunist:innen aufgenommen. Spätestens 1958 erreichten aber vor allem nicht-kommunistische Widerstandskämpfer der algerischen Befreiungsbewegung FLN den ostdeutschen Staat. Im Zuge des Unabhängigkeitskrieges ab 1954 flüchteten nämlich nicht nur mehrere hundert französischstämmige Bewohner:innen vor den indigenen Guerillagruppen. Auch umgekehrt mussten viele Menschen aus der widerständigen, indigenen Bevölkerung vor den französischen Besatzern aus ihrem Land fliehen. Als ein Zielland kam hierzu der ostdeutsche Staat in Frage.

Aufnahme der algerischen Geflüchteten in der DDR

Dabei galt die Aufnahme von geflohenen Vertretern der FLN innerhalb des ostdeutschen Staatsapparates zunächst als umstritten. Während das Ministerium des Inneren (MdI) die Asylvergabe an algerische Geflüchtete grundsätzlich vorantrieb, schreckte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zunächst davor zurück. Die Befürchtung stand im Raum, damit zu einem ausgelagerten Schauplatz des Algerienkonflikts zu werden. Letzten Endes erfolgte bis auf wenige Ausnahmen die reibungslose Aufnahme der algerischen Geflüchteten.

Nach einer begrenzten Zeit im Auffanglager Fürstenwalde organisierte der ostdeutsche Staat eine dezentrale Unterbringung der Exilant:innen. Da es sich bei den aufgenommenen Algerier:innen vor allem um Menschen aus gebildeten Schichten handelte, begannen viele zunächst ein Studium in der Universitätsstadt Leipzig. Generell bemühte sich die ostdeutsche Regierung darum, eine den jeweiligen Bildungsabschlüssen der Geflüchteten gemäße Beschäftigung zu ermöglichen. Dennoch existieren zahllose Berichte über Konflikte zwischen Arbeitgebern, Staatsvertreter:innen, ostdeutschen Arbeitskolleg:innen und den algerischen Geflüchteten. So führte beispielsweise das stark Schweinefleisch-lastige Essen in Kantinen volkseigener Betriebe zu Protesten unter den vorrangig muslimischen, algerischen Arbeiter:innen. Auch das Gehalt, die teils mangelhafte Unterbringung und rassistische Anfeindungen bildeten den Kern der Konflikte.

Exkurs: Anti-Schwarzer Rassismus in Deutschland

Ein Vorwurf mit dem sowohl die algerischen Geflüchteten als auch spätere afrikanische Vetragsarbeiter wiederholt konfrontiert wurden, waren vermeintliche sexuelle Übergriffe auf deutsche Frauen. Diesen Vorwürfen lagen in der Regel keine nachweisbaren Taten, sondern ein in ganz Deutschland weit verbreitetes, rassistisches Vorurteil gegen Menschen mit Schwarzer Hautfarbe und afrikanischer Migrationsgeschichte zugrunde. Im Falle der algerischen Geflüchteten in der DDR findet sich ein solcher Rassismus vor allem in Beschwerdebriefen über das vermeintlich sexuell ausschweifende Leben der algerischen Nachbarn und Kollegen. Ob es sich bei den denunzierten Kontakten zwischen algerischen Geflüchteten und ostdeutschen Frauen um einvernehmliche Verhältnisse handelte oder nicht, spielte dabei keine Rolle. In wenigen Fällen genügten Verweise auf einen vermeintlichen „Sittenverfall“ durch „sexuelle Ausschweifungen“ sogar zur Ausweisung der betroffenen Geflüchteten.

Im Rahmen einer allgemein wachsenden, ausländerfeindlichen Stimmung der 1970er und 1980er Jahre führten unbelegte Gerüchte über angeblich hypersexuelles Verhalten bereits zu größeren Ausschreitungswellen der ostdeutschen Bevölkerung gegen jegliche Schwarzen Männer im Land. Ein Beispiel stellt hierfür das Progrom von Erfurt im Jahr 1975 dar, in dem algerische Vertragsarbeiter von etwa 300 männlichen, deutschen Jugendlichen durch die Stadt gejagt wurden.

Politische Konflikte: Die SED zwischen FLN und PCA

Ein weiterer Konflikt, der sowohl algerischen Geflüchteten in der DDR als auch den ostdeutschen Staatsvertreter:innen zu schaffen machte, ging wiederum auf die unübersichtliche Lage im Algerienkrieg selbst zurück. Als sich die SED zunehmend auf die Seite der FLN stellte, geriet sie in Konflikt mit der algerischen, kommunistischen Partei PCA. Diese war als eine der wenigen politischen, indigenen Parteien ab 1951 nicht in der FLN aufgegangen. Dafür wurde sie von der dominanteren Unabhängigkeitsbewegung stark angefeindet und bedroht.

Da sowohl Mitglieder der FLN als auch algerische Kommunist:innen in der DDR aufgenommen wurden, entwickelte sich der ostdeutsche Staat zu einem Nebenschauplatz dieses inneralgerischen Konflikts. Zu größeren Auseinandersetzungen kam es jedoch erst ab dem Jahr 1960 als die SED der FLN das Entscheidungsrecht zur Frage übertrug, wer als Geflüchtete:r in die DDR aufgenommen werden sollte. In Folge dessen drohten mehreren, bereits im Land befindlichen Kommunisten aus Algerien die Abschiebung in das Exilland Tunesien. Zwar konnte die SED die veranschlagten Ausweisungen bis auf Ausnahmen verhindern, jedoch wurden die Vertreter der FLN in der Folge weiterhin bevorzugt.

Bleibende (Wissens-)Lücken

Sowohl über den genannten inneralgerischen Konflikt und seine Auswirkungen in der DDR als auch über das weitere Schicksal der algerischen Geflüchteten nach Ende des Unabhängigkeitskrieges 1962 ist wenig bekannt. Dass ab diesem Zeitpunkt keine staatlichen Dokumente mehr von der Lage der algerischen Exilant:innen berichten, beweist jedoch nicht deren (vollständige) Rückkehr nach Algerien. Vielmehr zeigen die Quellen dadurch indirekt, welchen Stellenwert der ostdeutsche Staatsapparat dieser Minderheit fortan (nicht mehr) beimaß. Auch in kulturellen Darstellungen der Zeit verschwand der algerische Unabhängigkeitskonflikt praktisch über Nacht. Hatten zwischen 1957 und 1962 noch zahlreiche ostdeutsche Filmproduktionen den Algerienkrieg zum Thema, wendete sich die Filmproduktion nach Ende des Krieges schlagartig anderen Themen zu.

Mit dieser plötzlichen Wende sowie den sichtbaren ideologischen Widersprüchen innerhalb der ostdeutschen Asylpolitik steht das Beispiel der algerischen Geflüchteten nicht alleine. Abhängig von der jeweiligen außenpolitischen Position der DDR und ihres Herkunftslandes, erhielten die Exilant:innen mal mehr, mal weniger Aufmerksamkeit und Privilegien. Welche Auswirkungen staatliche Anordnungen sowie gesellschaftliche Erwartungshaltungen dabei auf ihre persönlichen Schicksale hatten, können wir anhand der bisher erschlossenen, staatlichen Quellen nur erahnen.

Ein Ausblick: Mit diesem letzten Beitrag zu den algerischen Geflüchteten beenden wir unsere Kurzreihe "Flucht in die DDR". In der Forschung sowie in populären Darstellungen handelt es sich dabei nach wie vor um ein untergeordnetes Thema mit großen Wissenslücken. Dementsprechend konnten wir nicht alle Fluchtbewegungen in die DDR behandeln. Als ein weiteres Beispiel sei an dieser Stelle das Schicksal iranischer Exilant:innen ab 1954 in Ostdeutschland zu nennen. Aber das ist eine andere Geschichte...
Titelbild: Hauptgebäude der Karl-Marx-Universität Leipzig im Jahr 1975. Bei der Universität Leipzig handelt es sich bis heute um eine der ältesten Universitäten Deutschlands. In der DDR besuchten auch viele ausländische Studierende, wie unter anderem Geflüchtete aus Algerien, die Universität. Foto: Bundesarchiv Bild 183-P0307-001; Raphael (verehel. Grubitzsch), Waltraud; CC-BY-SA 3.0.

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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