Der folgende Beitrag ist Teil zwei der Kurz-Reihe "Flucht in die DDR". 
In vier Beiträgen widmen wir uns den weniger bekannten, kleineren Gruppierungen, die aufgrund politischer Verfolgung seit Ende des Zweiten Weltkrieges in die sowjetische Besatzungszone und in die spätere DDR emigrierten. 

Κριθαράκι

Kritharaki sind kleine Nudeln in Reisform, auch bekannt als Risoni. Eine meiner besten Freundinnen hat einen griechischen Migrationshintergrund und isst leidenschaftlich gerne Kritharaki. Genau wie ich. Zusammen mit besagter Freundin gehe ich manchmal zum griechischen Supermarkt an der Meraner Straße in Berlin-Schöneberg. Feta, Kritharaki und Caprice Schokorollen stehen immer auf der Liste.

Als ich mich mit der Recherche für diesen Blog auseinandersetzte, fiel mir auf, wie wenig ich darüber weiß, über griechische Migration in Deutschland, in Berlin – in der DDR?!

Markos-Kinder

Dabei ist die Geschichte der griechischen „Flucht“ in die DDR eine spannende, traurige und gleichzeitig aktuelle Geschichte. Sie beginnt zwar nicht mit General Markos Vafiadis, allerdings ist er der Namensgeber und die leitende Idee dahinter.

General Markos war ein wichtiger griechischer Politiker in Zeiten des griechischen Bürgerkrieges. Er stand für ein sozialistisches Griechenland, er war ein Hoffnungsträger und ein Symbol für die griechischen Partisanen.

In den Jahren 1946-1949 wütete der Bürgerkrieg in Griechenland. Historiker:innen sprechen allerdings nicht von dem einen Bürgerkrieg in Griechenland, vielmehr waren es drei griechische Bürgerkriege in den 1940er-Jahren, und die involvierten politischen Gruppen waren sehr heterogen.

So stand auf einer von vielen Seiten die Demokratische Armee Griechenlands, die von der Kommunistischen Partei geführt wurde und auf einer anderen Seite der griechische König Paul, der die Unterstützung der USA und Großbritannien bekam. Als sich die Niederlage der Kommunisten herauskristallisierte, floh General Markos Vafiadis ins Exil in die Sowjetunion. Es entstand ein neuer Plan.

Denn wie auch Markos suchten andere Griech:innen Zuflucht im Ausland – nur anders: Zwischen 1949 und 1950 kamen etwa 1.100 griechische Kinder und Jugendliche von Mitgliedern der Kommunistischen Partei Griechenlands nach Ostdeutschland; einerseits, um vor dem tobenden griechischen Bürgerkrieg zu fliehen. Andererseits sollten diese Kinder und Jugendlichen zu „Partisanen des Sozialismus“ ausgebildet werden. Markos-Kinder – so wurden sie genannt.

Insgesamt wurden rund 28.000 griechische Kinder und Jugendliche für dieses Ziel nach Bulgarien, Albanien und Jugoslawien gebracht. Viele der Markos-Kinder fanden in der UdSSR, in Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei Asyl. Die „Partisanen des Sozialismus“ waren die Investition in die kommunistische Zukunft: Sie sollten das Land später einmal zurückerobern. Und sie waren eine Besonderheit für die DDR, denn: Es war die erste geschlossene Gruppe von politischen Immigranten in dem jungen Staat.

ιδιαίτερη πατρίδα – Heimat

Verschiedene Quellen berichten, dass die Markos-Kinder in der DDR ein gutes, ein faires Leben führten. Denn anders als der Plan es vorsah, blieben die griechischen Geflüchteten nicht fünf, sechs Jahre, sondern ~30 Jahre. Als politische Verfolgte besaßen sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und vor allem in den anfänglichen DDR-Jahren war der Staat bemüht, die Markos-Kinder als ein Zeichen der Solidarität zu instrumentalisieren. Als ein Beweis der Wiedergutmachung, einer Annäherung, einer möglichen außenpolitischen Diplomatie. Im Gegensatz zu den ausgehandelten Vertragsarbeiter:innen, die meistens aus Vietnam oder Mosambik kamen, hatten die Markos-Kinder keine fundamentalen Nachteile zu befürchten, sie unterlagen nicht dem Rotations-Prinzip und durften sogar mit Genehmigung in den Westen reisen.

Bei der Einreise kamen die Griech:innen in eine Art „Heim“, wo sie betreut wurden. Erst legte man besonderen Wert darauf, die Kinder „griechisch“ zu erziehen, einen eigenen Lehrplan zu entwickeln. Später wurden sie vollständig in den DDR-Bildungsplan integriert und erhielten den gleichen Unterricht wie die einheimischen Kinder. Die Unterbringungsstätten waren ehemalige Schlösser und verlassenen Villen in den Bezirken Dresden, Leipzig, Halle, Erfurt, Potsdam, Rostock sowie Ost-Berlin.

Junge Griechinnen und Griechen wurden u.a. im Land-, Bau- und Holzbearbeitungsmaschinen-Ausbildungswerk VEB, Leipzig zu Facharbeitern ausgebildet. Foto: 5. März 1951, Bundesarchiv, Bild 183-09887-0007 / CC-BY-SA 3.0, Wipimedia gemeinfrei

Η Χούντα – Die Junta

Die Bundeszentrale für Politische Bildung berichtet von verschiedenen Phasen, die die griechischen Immigranten während ihrer Zeit in der DDR wahrgenommen haben:

  • Ab 1949: Mit der Ankunft der griechischen „Bürgerkriegsflüchtlinge“ verkündete das SED-Regime Völkerfreundschaft und Solidarität.
  • Ab 1955: Die jungen Griech:innen werden erwachsen und verlassen schrittweise ihre betreuten „Heime“. Sie werden unabhängiger, integrieren sich in die Gesellschaft, gliedern sich ein.
  • Ab Anfang der 1960er Jahre: Das propagandistisch aufgeladene Bild des griechischen „Klassenkämpfers“ verblasste. Η Χούντα – Die Junta.  Mit der Griechischen Militärdiktatur geriet der Plan eines verbündeten, sozialistischen Griechenland ins Wanken.
  • 1970er Jahre: Die griechischen Immigranten spielten keine Rolle mehr für die politischen Ziele des SED-Regimes. Der Staatsschutz begann, die Markos-Kinder unter Beobachtung zu stellen, da diese Kontakte in den Westen pflegen durften. Das staatliche Misstrauen begann.
  • 1974, nach dem Sturz der Junta in Griechenland bekamen alle Emigranten schrittweise die griechische Staatsbürgerschaft zurück und durften fortan in ihre Heimat reisen.

Τραύμα – Das Trauma

Die Markos-Kinder hüllten sich lange Zeit in Schweigen. Über das, was ihnen passiert ist, wurde nicht viel geredet. Kinder, die ihrer Heimat und ihren Eltern entrissen wurden, die in ein fremdes Land kamen und dort einer propagandistischen Erziehung unterlagen. Oftmals wussten die Griech:innen zweiter Generation gar nicht, was ihren Eltern passiert war und warum sie in der DDR aufwuchsen. So berichtet die Reportage „Die Markos-Kinder“ von „SWR2 Leben“ über das Leben junger Griech:innen in der DDR. Zwei Männer erzählen über das nie-überwältigte Trauma, das ihre Eltern durch die erzwungene Flucht erleiden mussten. Sie berichten von einem fairen Leben, von guten Chancen in der DDR. Aber auch vom Fremdsein, vom heimatlos sein. Davon, dass sie in ihrer deutsch-griechischen Community aufgewachsen sind, sich griechisch fühlten und trotzdem keine Verbindungen zu ihren dortigen Familien haben. Es ist bis heute eine tiefe Entwurzlung, die in diesen Jahren stattgefunden hat – und macht die Geschichte der Markos-Kinder und der Markos-Kindeskinder noch immer aktuell.

“Berlin is the new Athens.”

Wer schon mal in Athen war, wird unweigerlich an Berlin denken. Nicht nur wegen der vielfältigen und präsenten linken Szene, die ihre Streetart und Sticker in der ganzen Stadt verteilen und für soziale Gerechtigkeit plädieren. Nein, die Stadt fordert die Menschen nahezu auf, an Berlin zu denken. „Berlin is the new Athens“ steht an vielen Wänden, vor allem in dem bunten Studentenviertel „Exarchia“. Athen-Berlin, Deutschland-Griechenland. Noch heute sind die Verbindungen zwischen den beiden Ländern eng und gleichzeitig merkwürdig unsichtbar. Die deutsche Geschichte des zweiten Weltkrieges überschattet aus unserer Perspektive das Leid und die Konflikte, die damals in Griechenland stattgefunden haben. Wenn es politisch und historisch um Migration geht, dann geht es selten spezifisch um griechische Migration. Dabei sind aktuell Griech:innen die sechstgrößte Einwanderungsgruppe aus Europa nach Deutschland, die Tendenz der letzten 10 Jahre war stetig mild steigend.

Quellen sind u.a.:

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/189030/die-griechischen-politischen-immigranten-in-der-ddr/

http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/12748

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/broadcastcontrib-swr-24556.html

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Über den Autor

Alina Schulenkorf

studiert Kulturwissenschaften an der Viadrina in Frankfurt (Oder).

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