Seit 1990 ist immer am 8. April Romaday, ein weltweiter Aktionstag, mit dem auf die Kultur, aber auch auf die aktuelle Situation der Roma aufmerksam gemacht wird. Seit 2016 organisiert das Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas (dort ist auch Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Mitglied) Veranstaltungen rund um den Romaday. Es geht darum, die fortwährende Diskriminierung dieser Minderheit zu thematisieren, so viel ist klar. Aber wieso gerade am 8. April?
London 1971
Das Datum ist eine Erinnerung an den Ersten Welt-Roma-Kongress, der am 8. April 1971 in Orpington bei London stattfand. Es war das erste Gipfeltreffen der internationalen Roma-Bürgerrechtsbewegung, die gerade entstand. 23 Repräsentanten der Minderheit aus 14 Ländern Europas fällten damals wichtige Entscheidungen: Der Kongress lehnte die Fremdbezeichnung “Gypsy”, im Deutschen “Zigeuner”, als diskriminierend ab. Stattdessen bezeichnete man sich selbst als “Roma”. Außerdem wurde eine gemeinsame Flagge und eine Hymne bestimmt. Es war dann der Vierte Welt-Roma-Kongress, der 1990 im polnischen Serock die Einführung des Romaday am 8. April zur Erinnerung an den Londoner Kongress von 1971 beschloss. Mich interessiert besonders, wie die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland entstand. Darüber könnte man viel schreiben, es gibt eine ganze Ausstellung dazu. Ich schaue mir heute aber nur ein Ereignis vor 39 Jahren genauer an, das die Heidelberger Historikerin Daniela Gress 2015 in einem Artikel näher untersuchte.
Dachau 1980
Am 4. April 1980, dem Karfreitag, versammelten sich 12 Sinti in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau bei München. Sie kündigten einen Hungerstreik an. Drei der Streikenden waren KZ-Überlebende. Dieser Protest wurde zu einem Medienereignis. Journalist*innen aus dem In- und Ausland berichteten täglich. Und zum ersten Mal erlebten Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland eine Welle öffentlicher Solidarität. Bürger*innen, Politiker*innen und Prominente wie der Schriftsteller Heinrich Böll, der Journalist Rudolf Augstein und der Musiker Yehudi Menuhin stellten sich hinter die Streikenden. Was aber veranlasste die Zwölf zu dieser drastischen Form des Protests?
Endlich anerkannt werden
1979 hatte das Deutsche Fernsehen die US-Serie “Holocaust” ausgestrahlt und damit eine große öffentliche Diskussion über den Völkermord an den Juden ausgelöst. Fast unbekannt war dagegen, dass die nationalsozialistische Vernichtungspolitik auch die Sinti und Roma betroffen hatte. Sie kamen in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik nicht vor und erhielten auch keine Entschädigungszahlungen. Stattdessen wurden sie weiterhin kriminialisiert. Besonders krass war es in Bayern. Dort galt bis 1970 eine sogenannte “Landfahrerordnung”, die Grundrechte von Sinti und Roma einschränkte. Bei der Bayerischen Kriminalpolizei gab es eine “Landfahrerzentrale”, die persönliche Daten von Sinti und Roma aus dem gesamten Bundesgebiet sammelte. Dort verwendete man ohne Skrupel auch die Akten der “Rassehygienschen Forschungsstelle” aus der NS-Zeit für die Polizeiarbeit. Der Hungerstreik in Dachau richtete sich gegen diese Kontinuität der Kriminalisierung und verlangte die Herausgabe der “Landfahrerkartei”.
Teilerfolg nach acht Tagen
Am 12. April 1980 endete der Hungerstreik. Der damalige Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel besuchte die Streikenden in der Versöhnungskirche und sagte ihnen politische Rückendeckung zu. Die bayerische Landesregierung versicherte, die “Landfahrerkartei” sei längst vernichtet. Diskriminierungen gegenüber Sinti und Roma wolle man zukünftig abbauen. Zu einer politischen Verurteilung der Tätigkeit der “Landfahrerzentrale” konnte sie sich aber nicht durchringen.
Wirkung bis heute
Der Hungerstreik von Dachau gab der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland großen Auftrieb. Romani Rose, der Sprecher der zwölf Streikenden von Dachau, wurde im Februar 1982 Vorsitzender des neu gegründeten Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Im selben Jahr erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt den Völkermord an den Sinti und Roma offiziell an. Aber es dauerte noch bis 1995, bis die deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit in Deutschland anerkannt wurden. Seit 2012 gibt es im Berliner Tiergarten auch das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Viel wurde erreicht – und dennoch erfahren Sinti und Roma immer noch Ausgrenzung und Diskriminierung, überall auf der Welt, jeden Tag. Und deshalb ist heute Romaday.