»Den Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt […]. Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt.«

Helmut Schmidt

Jahrzehntelang hatten Bürgerrechtsverbände der Sinti:zze und Rom:nja für diese Worte von Helmut Schmidt, dem damaligen Bundeskanzler, gekämpft. Am 17. März 1982, heute vor 40 Jahren, wurde ihre Verfolgung im Nationalsozialismus endlich öffentlich anerkannt. Dem sogenannten Porajmos fielen zwischen 1933 und 1945 bis zu 500.000 europäische Sinti:zze und Rom:nja zum Opfer.

Heute ist der NS-Völkermord an der diskriminierend als „Zigeuner“ bezeichnete Minderheit allgemein bekannt. Neben diesem Wissen sind jedoch auch fortbestehende, rassistische Vorbehalte gegen Sinti:zze und Rom:nja weit verbreitet. Und obwohl sie die inzwischen größte Minderheit Europas darstellen, halten sich die Kenntnisse über ihre Kultur und Geschichte in der Mehrheitsgesellschaft oft in Grenzen. Auch über die Umstände und Anfänge ihrer Verfolgung wissen nur wenige Bescheid.

Porajmos oder Samudaripen

Ebenso wie der nationalsozialistische Genozid an der jüdischen Bevölkerung, die Shoa, hat auch der Holocaust an den Sinti:zze und Rom:nja eine eigene Bezeichnung. Meist wird ihre Verfolgung im Nationalsozialismus „Porajmos“ oder „Samudaripen“ genannt. Diese Begriffe entstammen der gemeinsamen Sprache der Sinti:zze und Rom:nja, dem Romanes. Übersetzt bedeutet Porajmos „Verschlingen“ oder „Zerstörung“. Die alternative Bezeichnung Samudaripen lässt sich am ehestem mit dem Wort „Massenmord“ ins Deutsche übertragen.

Was wenige wissen: Unter der diskriminierenden Bezeichnung „Zigeuner“ wurden im Nationalsozialismus neben Sinti:zze und aus Osteuropa stammenden Rom:nja auch weitere Untergruppen wie die Manusch, Lalleri und Lowara, sowie die heute nahezu unbekannte Bevölkerungsgruppe der Jenischen gefasst. In Deutschland führte der Genozid an den Sinti:zze zu ihrer fast vollständigen Auslöschung.

Ausgrenzung bis ins 18. Jahrhundert: ein „Fahrendes Volk“ wider Willen

Ähnlich wie im Fall der europäischen Juden und Jüdinnen blicken die Sinti:zze und Rom:nja auf eine lange Geschichte der Verfolgung und Ausgrenzung zurück. Bereits aus dem 15. Jahrhundert sind Verfolgungswellen in deutschsprachigen Gebieten bekannt. Durch das Verbot, sich irgendwo niederzulassen, entwickelten viele von ihnen einen Nomaden-ähnlichen Lebensstil. Gemeinsam mit zahlreichen Berufsverboten drängten sie diese Gesetze an den Rand der Gesellschaft und oftmals in bittere Armut.

Daraufhin etablierten sich im 18. Jahrhundert neue Feindbilder gegen Sinti:zze und Rom:nja. Als „fahrendes Volk“ wurden sie stets als Fremde und potenzielle Gefahr wahrgenommen. Auf das Verbot der Niederlassung folgten in vielen Orten Maßnahmen zur Zwangseingliederung. Zum Beispiel durften die dort ansässigen Sinti:zze und Rom:nja nicht mehr ihre Sprache sprechen. Viele von ihnen mussten auch hinnehmen, dass ihnen Kinder weggenommen wurden.

Sozialdarwinismus und Vorurteile

Im 19. Jahrhundert spitzten sich die Vorurteile und die damit einhergehende Diskriminierung zu. Sozialdarwinistischen Theorien beschworen einen vermeintlich genetisch bedingten Hang zum Verbecher:innentum bei Sinti:zze und Rom:nja. So bekamen sie pauschal negative Charaktereigenschaften zugeschrieben.

Ab 1899 wurden Sinti:zze und Rom:nja schließlich im ganzen Deutschen Reich systematisch erfasst und überwacht. Zu diesem Zeitpunkt waren sie in Deutschland mehrheitlich sesshaft und besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft. Vielerorts blieben sie aber Außenseiter:innen – Angehörige einer Minderheit, die von Seiten des Staates und der Mehrheitsbevölkerung misstrauisch beäugt wurde.

1933/34: Die Anfänge des Porajmos

Die Verfolgung durch die Nationalsozialisten begann bereits kurze Zeit nach deren „Machtergreifung“. Zunächst verloren alle erfassten Sinti:zze und Rom:nja ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Ab 1934 wurden viele von ihnen zwangssterilisiert. Mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ aus dem Jahr 1935 erhielten sie außerdem Ehe- und Berufsverbote. Darüber hinaus legten die Gesetze fest, dass ihre Kinder nicht mehr die Schule besuchen durften.

Im selben Jahr wie die „Nürnberger Rassegesetze“ entstanden erste Zwangslager, in denen die Minderheit von der übrigen Gesellschaft isoliert werden sollte. Beispielsweise mussten vor Beginn der Olympischen Spiele 1936 mehrere hundert Berliner Sinti:zze und Rom:nja aus der Stadt in ein Zwangslager in Marzahn übersiedeln. Dort wurden sie, wie in den anderen Lagern, zur Zwangsarbeit verpflichtet.

Zu dieser Zeit mussten sich Sinti:zze und Rom:nja in ganz Deutschland durch ihre Pässe oder durch Armbinden mit der Aufschrift „Z“ wie „Zigeuner“ auszeichnen.

Der Völkermord unter den Nationalsozialisten

1938 schließlich ordneten die Nationalsozialisten die ersten Deportationen in Konzentrationslager wie Dachau, Sachsenhausen und Ravensbrück an. 1940 verschleppten sie sogar ganze Familien in das besetze Polen. Dort ermordeten sie die deportierten Sinti:zze gemeinsam mit den ansässigen Rom:nja zunächst durch Massenerschießungen, ab 1941 mit Gas.

Im Jahr 1942 beschlossen Reichspropagandaminister Goebbels und Reichsjustizminister Thierack alle Sinti:zze und Rom:nja zu vernichten. Bis zum Ende des Krieges starben in ganz Europa rund eine halbe Million als „Zigeuner“ bezeichnete Menschen in Gaskammern, durch Massenerschießungen und durch unmenschliche Zwangsarbeit. Andere verhungerten oder erlagen vielfachen Seuchen und Gewalt in den Lagern.

Kampf um Anerkennung bis 1982

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es zunächst über zwei Jahrzehnte bis sich die deutsche Öffentlichkeit ausgiebig mit dem Holocaust auseinandersetzte. Im Zentrum stand dabei ab 1979 der Völkermord an der jüdischen Bevölkerung. Die Verfolgung der Sinti:zze und Rom:nja im Nationalsozialismus wurde hingegen weiterhin nicht als rassistisch motivierter Massenmord anerkannt. Stattdessen dominierte bis in die 1970er Jahre hinein die Annahme, dabei habe es sich „lediglich“ um eine Maßnahme gegen Kriminalität gehandelt. Demnach wurden Sinti:zze und Rom:nja noch in der BRD pauschal als kriminell eingestuft.

Gegen diese unveränderten, rassistischen Anschuldigungen ebenso wie für die endgültige Anerkennung der Porajmos schlossen sich ab den 1970er Jahren zahlreiche Rom:nja in ganz Europa zu Bürgerrechtsbewegungen zusammen. Auch in West-Deutschland bewirkten Proteste wie der Hungerstreik von Dachau 1980 ein Umdenken in Politik und Gesellschaft.

Als der Bundeskanzler 1982 schließlich den Völkermord an den Sinti:zze und Rom:nja bestätigte, war das erste Ziel der Bewegung erreicht. Bis heute müssen sich Rom:nja in ganz Europa aber noch immer gegen rassistische Anfeindungen zur Wehr setzen. Der Kampf um die Anerkennung ihrer Würde und Rechte als Menschen geht also weiter…

Titelbild: Ein Internierungslager für Sinti:zze und Rom:nja in Düsseldorf 1937, Bundesarchiv Bild 146-2006-0003. 

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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