Seit 2015 widmen sich das Stadtmuseum und das Stadtarchiv München in einem gemeinsamen Projekt der Migrationsgeschichte Münchens. „Migration bewegt die Stadt – Perspektiven wechseln“ heißt nicht nur das übergeordnete Programm, sondern auch eine der derzeitigen Dauerausstellungen. Räumlich und thematisch ist sie eng mit der stadtgeschichtlichen Ausstellung „Typisch München“ verwoben. Das gezeigte kollektive Gedächtnis der Stadtgesellschaft soll damit erweitert werden. Ein Projekt, das uns einlädt, die Perspektive zu wechseln.

„Migration bewegt die Stadt“: die Vorgeschichte

Bereits 1972 bezeichnete der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel München ausdrücklich als „Einwanderungsstadt“. Damit verkündete der SPD-Politiker für die bayrische Landeshauptstadt das, was im gesamten Land erst ab den 2000er Jahren dem breiten politischen Konsens entsprach: Migration nach Deutschland findet statt. Nur wer das erkennt, kann daraus Konsequenzen ziehen.

Dieser Einsicht voraus gegangen sind in Deutschland vielfältige Migrationsbewegungen, nicht zuletzt nach München. Es gibt viel zu berichten ….von der Geschichte der italienischen Ziegelarbeiter:innen im 19 Jahrhundert; über das Schicksal der sogenannten Displaced Persons ab 1945; von den ersten Gastarbeiter:innen der 1960er Jahre; von Geflüchteten aus Jugoslawien in den 1990er Jahren sowie verstärkt aus nahöstlichen Ländern Anfang des 21. Jahrhunderts. Viele Menschen kamen. Viele blieben und gestalteten die Stadt mit.

Um die diversen Perspektiven von Münchner:innen mit sogenanntem Migrationshintergrund auch in der lokalen Erinnerungskultur zu stärken, beschloss der Stadtrat im Jahr 2013 zunächst 2 1/2 neue Stellen im Stadtarchiv und Stadtmuseum zu schaffen. Aus einem ersten Forschungsprojekt ging Anfang 2015 schließlich das Langzeitprojekt „Migration bewegt die Stadt – Perspektiven wechseln“ hervor. Fortan ist das Thema Migration Gegenstand unterschiedlicher Veranstaltungsreihen, Publikationen und neuen Ausstellungskonzepten des Archivs und des Stadtmuseums.

Geschichte neu lesen und erforschen

Grundvoraussetzung dafür, dass sich das Themenspektrum von Stadtarchiv und Stadtmuseum in der Öffentlichkeit erweitern lies, war selbstverständlich auch eine Neuausrichtung hinter den Kulissen. So gehörte zu „Migration bewegt die Stadt“ zunächst die Aufgabe, nach Migrationsgeschichte in verschiedenen Akten- und Objektbeständen zu suchen. Hierzu durchleuchteten die Mitarbeiter:innen zunächst die vorhandene Sammlung. Nachforschungen förderten neue Informationen zu einzelnen Gegenständen zu Tage. So kann uns heute als Zeugnis von Migrationsgeschichte dienen, was bereits gesammelt, bisher aber nicht mit Migration in Verbindung gebracht wurde.

Des Weiteren begaben sich das Archiv und das Stadtmuseum auf die Suche nach neuen Akten und Objekten. Wiederholt wendete und wendet sich das Stadtmuseum dazu mit Sammlungsaufrufen an die Öffentlichkeit. Darüber erhielten beide Institutionen bereits mehrere Spenden von Privatpersonen und Organisationen, die in einer Verbindung mit Migration nach München stehen. Neben materiellen Objekten führten Mitarbeitende des Projekts „Migration bewegt die Stadt“ außerdem Zeitzeugengespräche: Hier kamen Münchner:innen zu Wort, deren Familiengeschichte eng mit Migration verbunden ist. Manche von ihnen können selbst von ihrer Einwanderung und Ankunft in München berichten. Darunter befinden sich vor allem Menschen, die sich verstärkt für die Interessen ihrer Communities einsetzen. Im Gegensatz zu vielen bisherigen Projekten zielen die Zeitzeugengespräche außerdem darauf ab, Frauen mit Migrationsgeschichte sprechen zu lassen. Damit werden weibliche Migrationsgeschichten sichtbar gemacht, die oft hinter männlichen Biografien verborgen bleiben.

Gemeinschaft durch Partizipation

Dabei bedeutet Menschen mit Migrationsgeschichte eine Stimme zu geben in der Erinnerungskultur nicht nur, die Themenwahl auszuweiten. Auch in der Präsentation setzt das Stadtmuseum heute auf die Mitwirkung lokaler Akteur:innen mit Migrationsgeschichte. Bei Ausstellungskurationen, in verschiedenen partizipativen Projekten und Events, vor allem im migrantisch geprägten Westend, konnten Menschen mit unterschiedlichen Herkünften bereits gemeinsam diverse Geschichte gestalten. Innerhalb des Stadtmuseums bieten darüber hinaus Tandemführungen mit Kurator:innen und Vertreter:innen unterschiedlicher Communities einen erweiterten Blickwinkel auf die Geschichte der Stadt.

Diverse Stadtgeschichte(n)

Von dieser Stadtgeschichte berichtet die Dauerausstellung „Typisch München“. Bis ins Jahr 2018 spiegelte sich in der bereits bestehenden Ausstellung jedoch lediglich ein weißer, stark männlich konnotierter Blick auf die Geschichte der Stadt wider. Um Migrationsgeschichte dauerhaft im Selbstbild der Stadt zu verankern erweiterte das Stadtmuseum Mitte 2018 „Typisch München“ um insgesamt 15 migrationsgeschichtliche Stationen.

Unter dem Projekttitel „Migration bewegt die Stadt – Perspektiven wechseln“ bildeten diese 15 Stationen zunächst eine zeitlich begrenzte Sonderausstellung. Mittlerweile wurde die zeitliche Begrenzung bis Ende 2019, ebenso wie die Befristung der Projektstellen, aufgehoben. Seit 2020 stellt „Migration bewegt die Stadt“ eine dauerhafte Intervention der Ausstellung „Typisch München“ dar. Zwar gilt erstere damit als eigene Dauerausstellung, zugleich bleibt sie räumlich und thematisch in „Typisch München“ eingebettet.

Ein neuer Kulturraum: die Galerie EINWAND

Migrationsgeschichte bleibt im Stadtmuseum München jedoch nicht nur ein inklusiver Bestandteil der stadtgeschichtlichen Dauerausstellung. Zusätzlich nutzte das Museum bis 2020 das Treppenhaus des Gebäudes zur Präsentation weiterer, migrationsgeschichtlicher Wechselausstellungen. 2021 eröffnete schließlich die Galerie EINWAND als separate Räumlichkeit des Stadtmuseums am Sebastiansplatz.

Hier können Besucher:innen kostenlos Sonderausstellungen zu unterschiedlichen Themen der Migrationsgeschichte besuchen. Darüber hinaus bildet die Galerie einen Treffpunkt und Veranstaltungsort für diverse Events von und mit migrantischen Communities. Neben Geschichte, stehen Kunst und vor allem Austausch im Fokus der Einrichtung. Bis zum 5. März 2023 beinhaltet sie beispielsweise die Ausstellung „Radio Free Europe – Stimmen aus München im Kalten Krieg“.

Ein Museum für alle Münchner:innen

Mit einem eigenen Ausstellungsprogramm, zusätzlichen Wechselausstellungen, einer erweiterten Sammlung und Forschung ist Migrationsgeschichte im Stadtmuseum München heute mehr als nur eine Randnotiz. Die Verbindung zwischen weiß-gelesener Stadtgeschichte und migrantischer Perspektive zeigt deutlich, dass Migration zu München gehört wie das altbekannte Bild vom Münchner Kindl. Zugleich sendet das Projekt „Migration bewegt die Stadt“ ein Signal an alle Münchner:innen, deren Geschichte bis dahin nicht präsentiert wurde: Ihr gehört hierher. Es ist auch eure Stadt. Wie sich diese Botschaft dauerhaft im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankern lässt, werden die folgenden Jahre zeigen…

Titelbild: 
Das Titelbild zeigt das Cover des gleichnamigen Bandes zum Projekt "Migration bewegt die Stadt - Perspektiven wechseln", herausgegeben von Ursula Eymold und Andreas Heusler. 2018 erschien die Publikation als erster Band der Reihe "Münchner Beiträge zur Migrationsgeschichte". Es handelt sich dabei um einen Werkstattbericht und einen Ausstellungskatalog zugleich. Bestellbar ist der Band mit über 200 Abbildungen im Onlineshop des Münchner Stadtmuseums oder auf der Seite des Verlags Allitera. 

Ursula Eymold, Andreas Heusler (Hg.): Migration bewegt die Stadt - Perspektiven wechseln | ISBN: 978-3-96233-060-6  | 29,00€ 

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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