Im November letzten Jahres habe ich hier über Martin Dibobe geschrieben, den ersten afrikanischen Zugführer der Berliner Hochbahn. Heute, im Black History Month, interessiert mich ein anderer Afrikaner, der mit Martin Dibobe einiges gemeinsam hat: Der Pianist Kwassi Bruce. Denn wie Dibobe war Kwassi Bruce Sohn eines Chiefs, eines Ortsvorstehers, allerdings nicht aus Kamerun, sondern aus Togo. Und beide kamen 1896 nach Berlin, allerdings war Martin Dibobe 20 Jahre alt und Kwassi Bruce zarte drei Jahre. Kwassi Bruce kam mit seinen Eltern, die als sogenannte “Kontrakt-Arbeiter” in Berlin-Treptow eingesetzt waren.

Als Anschauungsobjekt nach Berlin

Was klingt wie ein Vorgriff auf die “Gastarbeiter:innen” der 1960er Jahre, war eine durch und durch rassistische Veranstaltung. Für sechs Monate waren die Afrikaner:innen Teil der Kolonialausstellung der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park. Leicht bekleidet und in nachgebauten afrikanischen Dörfern sollten sie dort das Alltagsleben in Afrika darstellen. Und so als Anschauungsobjekte die deutsche Bevölkerung für den Kolonialismus gewinnen und die Neugierde der Besucher:innen befriedigen. Außerdem wurden sie von Ärzten der Charité für “rassenkundliche Forschungen” vermessen und missbraucht. So weit – so schlecht. Kwassi Bruce war also als Dreijähriger in derselben Truppe wie der 17 Jahre ältere Martin Dibobe.

Als Pflegekind bei Bruno Antelmann

Nach dem Ende der Kolonialausstellung reisten die Eltern von Kwassi Bruce weiter durch Europa – ohne ihren Sohn. Der kam zu dem kinderlosen Ehepaar Antelmann. Bruno Antelmann war nicht irgendjemand, sondern der Chef des „Deutschen Kolonialhauses„, eines auf Waren aus den deutschen Kolonien spezialisierten Kaufhauses in Berlin-Tiergarten mit zahlreichen Zweigstellen in anderen deutschen Städten. Bei den Antelmanns lebte nicht nur Kwassi Bruce, sondern noch weitere Afrikaner, die meisten waren wie Kwassi Bruce die Söhne von Chiefs aus Afrika. Antelmann missbrauchte seine „Pflegekinder“ zur Werbung für seine Kolonialwaren, in dem sie in seinem Warenhaus als Verkäufer arbeiten mussten. Aber er schickte einige von ihnen auch aufs Gymnasium, darunter Bruce.

Kaiser werden

Und manchmal nahm Antelmann, der beste Kontakte in die höchsten Berliner Kreise hatte, seine Schützlinge auch zum deutschen Kaiser mit. Zumindest war auch Kwassi Bruce einmal bei einem solchen Empfang dabei. Die „Deutsche Kolonialzeitung“ berichtet, Bruce habe auf die Frage Wilhelm II. nach dem Berufswunsch zur allgemeinen Erheiterung „Kaiser“ gesagt.

Pianist werden

Daraus wurde nichts, aber dafür spendierte Antelmann dem jungen Afrikaner die Ausbildung zum Konzertpianisten und Musiker am renommierten Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin.

Kriegsgefangen in Togo

1913 bereiste der zwanzigjährige Kwassi Bruce erstmals sein Geburtsland Togo, das schon seit 1884 deutsche Kolonie war. 1914 vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht, meldet er sich vor Ort als Kriegsfreiwilliger bei der Kolonialpolizeitruppe. Schon im August 1914 ist in Togo der Krieg vorbei. Kwassi Bruce gerät in französische Kriegs­­gefangen­­schaft.

Kwassi Bruce kehrt zurück nach Berlin

Wann und auf welchen Wegen Bruce zurück nach Berlin kommt, ist unklar. Aber er taucht wieder auf und arbeitet als Pianist im Charlotten­burger Opern­haus. Dann aber verlässt er die Klassik und gründet eine auf Unter­haltungs­musik und Jazz ausgerichtete Kapelle, die im In- und Ausland auf Tournee geht. Zwischendurch heiratet er und wird als einer von ganz wenigen Afrikaner:innen 1926 als „Reichsdeutscher“ ein­ge­bür­gert.

Eine Denkschrift

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 werden Antisemitismus und Rassismus offizielles Regierungsprogramm. Das bekommt auch Bruce zu spüren: er verliert seine Festanstellung als Musiker in einem Weinrestaurant. Er findet sich aber nicht mit der immer massiver werdenden rassistischen Diskriminierung ab, sondern verfasst eine zehnseitige Denkschrift, die er an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes schickt. Darin schildert er die Not der in Deutschland lebenden Migrant:innen aus den früheren deutschen Kolonien und fordert
staatliche Unterstützung für sie ein. Weil die Kolonialabteilung die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, die ehemaligen Kolonien wieder zurückzubekommen, wollte sie sich nicht nachsagen lassen, Menschen wie Kwassi Bruce zu ignorieren. Deshalb versuchten die Beamten des Auswärtigen Amtes, Kwassi Bruce eine Arbeit zu vermitteln, allerdings ohne Erfolg.

Eine „Völkerschau“

Kwassi Bruce ergriff wieder einmal selbst die Initiative und sammelte Afrikaner:innen zu einer Schautruppe zusammen. Als aus rassistischen Gründen die Auftrittsmöglichkeiten dieser Truppe immer geringer wurden, wandte er sich abermals an die Kolonialabteilung. Tatsächlich übernahm das Auswärtige Amt die Schirmherrschaft und auch die Kontrolle für die „Deutsche Afrika-Schau“, wie die Truppe nun genannt wurde. Das Ganze wurde nicht nur ein koloniales und national-sozialistisches Propagandaprojekt, sondern auch ein Kontroll- und Überwachungsinstrument gegenüber den afrodeutschen Migrant:innen.

NS-Deutschland verlassen

Kwassi Bruce hatte die Gängelung durch die Behörden satt und verließ die Truppe 1937. Er sah keine Zukunft in Deutschland mehr. Seine erste Ehe war geschieden, seine neue Lebenspartnerin Ruth Müller konnte er aufgrund der rassistischen Gesetze in Deutschland nicht heiraten. Als sie schwanger war, floh sie aus Angst vor Repression NS-Deutschland und verbrachte die Zeit des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz. Auch Bruce verließ NS-Deutschland und kam über Umwege in die britische Kolonie Nigeria,

Zum zweiten Mal kriegsgefangen

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Kwassi Bruce in Nigeria wegen seines deutschen Passes als „enemy alien“ gefangengenommen und in sein Geburtsland Togo überstellt. Dort kam er in französische Kriegsgefangenschaft.

Kwassi Bruce zurück nach Europa

Nach Kriegsende kehrt Bruce zurück nach Deutschland. Er sieht seine 1939 geborene Tochter Dorothy zum ersten Mal und konnte endlich Ruth Müller heiraten. Mit Deutschland wurde er nicht mehr warm. Zwar war die NS-Zeit vorbei, aber dennoch war die Familie Bruce erneut mit Rassismus konfrontiert. 1951 wanderte sie nach Frankreich aus und Kwassi Bruce arbeitete wieder erfolgreich als Pianist. 1964 starb er.

Titelfoto: Pixabay gemeinfrei

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Über den Autor

Dennis R.

Dennis R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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