An einem Wohnhaus in der Kuglerstraße im Bezirk Prenzlauer Berg hängt eine der Berliner Gedenktafeln. Sie erinnert an Martin Dibobe, der im Jahr 1918 in diesem Haus gewohnt hat. Es gibt sogar noch einen zweiten Erinnerungsort an ihn in Berlin: Im U-Bahnhof Hallesches Tor erinnert ein Foto an ihn. Wer also ist Martin Dibobe?

Geboren in Kamerun

Martin Dibobe wird 1876 als Quane a Dibobe in Bonapriso in Kamerun geboren. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in Kamerun schon einen deutschen Handelsstützpunkt. Als Dibobe acht Jahre alt ist, nimmt sein Vater Kwane Dibobe 1884 als Ortsvorsteher an den Verhandlungen über einen Schutzvertrag mit den Deutschen teil. Durch den Vertrag wird Kamerun neben Deutsch-Südwestafrika die zweite deutsche Kolonie auf dem afrikanischen Kontinent. Im gleichen Jahr ab dem 15. November, also heute vor 137 Jahren, fand in Berlin die sogenannte Kongo-Konferenz statt. Dort wurden die völkerrechtlichen Grundlagen für die koloniale Inbesitznahme des afrikanischen Kontinents festgelegt. Afrikaner wie Dibobes Vater waren bei der Konferenz nicht eingeladen.

Als Anschauungsobjekt nach Berlin

1896 kam Dibobe, der inzwischen von Missionaren auf den Vornamen Martin getauft worden war, gemeinsam mit 95 weiteren Afrikaner*innen nach Berlin, als sogenannte „Kontrakt-Arbeiter“. Was klingt wie ein Vorgriff auf die „Gastarbeiter:innen“ der 1960er Jahre, war eine durch und durch rassistische Veranstaltung. Für sechs Monate waren die Afrikaner:innen Teil der Kolonialausstellung der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park. Leicht bekleidet und in nachgebauten afrikanischen Dörfern sollten sie dort das Alltagsleben in Afrika darstellen. Und so als Anschauungsobjekte die deutsche Bevölkerung für den Kolonialismus gewinnen und die Neugierde der Besucher:innen befriedigen. Außerdem wurden sie von Ärzten der Charité für „rassenkundliche Forschungen“ vermessen und missbraucht.

Bei der Hochbahn

Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Berlin und begann eine Schlosserlehre. Danach arbeitete er bei der Berliner Hochbahn, der heutigen BVG, zunächst als Zugbegleiter und Schaffner, später als Zugführer. Er ist der erste afrikanische Zugführer Berlins und wird zu einer lokalen Berühmtheit. 1901 heiratete er Helene Noster, die Tochter seines Vermieters. Auch politisch wird er aktiv und interessiert sich für die Sozialdemokratie.

Im Auftrag der Reichsregierung

1906/07 reiste Dibobe im Auftrag der Reichsregierung nach Kamerun, wo er als Berater beim Bau der dortigen Eisenbahn helfen soll. Doch während seines Aufenthalts werden ihm die Ungerechtigkeiten des Kolonialsystems deutlich vor Augen geführt. Die einheimischen Arbeitskräfte beim Eisenbahnbau mussten unter unmenschlichen Bedingungen schuften. Mehrere Ortsvorsteher beschweren sich über die Gräueltaten der Kolonialbehörden an der Bevölkerung. Körperstrafen und Misshandlungen, Zwangsarbeit und Enteignung sind keine Seltenheit.

Für Gleichheit

Zurück in Deutschland kämpft Dibobe dafür, dass Afrikaner:innen die gleichen Rechte erhalten wie Europäer:innen. Er tritt in die 1914 gegründete Liga für Menschenrechte ein und engagiert sich in der SPD.

Die Petition

Als in Deutschland 1918 der Kaiser abdanken muss und die Weimarer Republik gegründet wird, sieht Dibobe die Chance, dass seine Forderungen gehört werden. Im Juni 1919 übergibt er gemeinsam mit weiteren 17 Afrikaner „32 Forderungen der Afrikaner in Deutschland“ an die Nationalversammlung in Weimar. Diese Petition ist nach ihm benannt. Statt die Unabhängigkeit der Kolonien zu fordern, stellen Dibobe und die anderen Verfasser sich bewusst unter die Autorität der Nationalversammlung. „Unverbrüchliche Treue“ geloben sie der jungen Republik – doch verlangen sie tatsächlich eine kleine Revolution. Nämlich die gleichen Rechte für Einwohner:innen der Kolonien, wie sie alle deutschen Staatsbürger:innen genießen. Und die den Menschen in Kamerun und den anderen Kolonien zustehen sollten, wenn die Republik tatsächlich ihre Werte hochhalten und umsetzen will.

Unter den neuen Rechten, die Dibobe und seine 17 Mitunterzeichner fordern, sind beispielsweise das Ende der Prügelstrafe und der Zwangsarbeit. Und ebenso die ständige Repräsentation durch einen afrikanischen Abgeordneten in der Nationalversammlung oder im Reichstag. Diese Aufgabe war für Martin Dibobe vorgesehen. Doch es kam anders…

Keine Reaktion

Der Protest der Gruppe lief ins Leere. Weder die Weimarer Nationalversammlung noch das zuvor angeschriebene Reichskolonialministerium antworteten auf ihre Petition. Dann trat am 10. Januar 1920 der Versailler Vertrag in Kraft, durch den Deutschland alle seine Kolonien an andere Kolonialmächte verlor. Kamerun ging an Frankreich. Von der Dibobe-Petition redete niemand mehr.

Seine Spur verliert sich

Für Martin Dibobe ging das Jahr 1919 nicht gut aus. Er verlor seine Stellung bei der Berliner Hochbahn. 1922 entschied er sich, mit seiner Familie nach Kamerun zurückzukehren. Aber die Behörden der nun französischen Kolonie Kamerun ließen ihn nicht einreisen, weil er ihnen als politischer Unruhestifter bekannt ist. Notgedrungen zog er nach Liberia weiter. Dort verliert sich seine Spur, seit 1922 gilt er als verschollen. Auch sein Name geriet in Vergessenheit.

Fast 100 Jahre später

Seit dem 31. Oktober 2016, fast 100 Jahre nach dem Einreichen der Petition, erinnert eine Gedenktafel an Martin Dibobe und seine Mitstreiter. Initiiert wurde die Tafel durch den Verein „Berlin Postkolonial, der sich für die Offenlegung kolonialrassistischer Denk- und Gesellschaftsstrukturen einsetzt. Es war die erste offizielle „Berliner Gedenktafel“ für einen Afrikaner.

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Über den Autor

Dennis R.

Dennis R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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