Massenmedien beeinflussen uns alle, unseren Alltag und unsere Weltsicht. Im Internet lassen sich weite Distanzen überbrücken. Internationale Kanäle und Plattformen helfen weltweit Kontakte aufrechtzuerhalten, ermöglichen aber auch, dass sich Propaganda und Hassbotschaften scheinbar grenzenlos ausbreiten können. Wir sind auf vielfältige Weise vernetzt. Besteht darüber hinaus nicht auch die Gefahr, dass lokale Bezüge langsam verblassen?

Nicht unbedingt. Seit 2008 gibt es im Netz das Webradio multicult.fm. Neben Musik aus aller Welt bietet der Sender verschiedene Programme in unterschiedlichen Sprachen und zu unterschiedlichen Themen. Allen gemeinsam ist der Bezug zu Berlin. Die Agenda des Webradios: die kulturelle Vielfalt der Hauptstadt widerspiegeln und eine Plattform schaffen, die Berliner:innen unterschiedlicher Herkunft verbindet. Vorläufer des Programms war der 2008 eingestellte Kanal Radiomultikulti des Rundfunks Berlin-Brandenburg rbb.

Radiomultikulti: der erste multikulturelle Radiosender Deutschlands

Nicht-deutsche Radioprogramme in Deutschland gibt es schon lange. Kurze Zeit nach der Ankunft erster „Gastarbeiter“ in Westdeutschland, entstanden Anfang der 1960er Jahre Sendungen in verschiedenen Sprachen. Ab 1966 schaltete auch der Sender Freies Berlin (SFB) fremdsprachige Programme im Rahmen des sogenannten ARD-„Gastarbeiterprojektes“.  Neben Lokalnachrichten beinhalteten die Programme Musik und Werbung in der jeweiligen Landessprache ihres Zielpublikums.

1994, knapp dreißig Jahre später, entstand schließlich ein eigener Kanal des SFB, damals mit dem Namen SFB 4 Multi Kulti, der sich an Berlinerinnen und Berliner mit unterschiedlicher Herkunft, mit und ohne Deutschkenntnisse richtete. Im Gegensatz zu den bisherigen Sendungen, die sich ausschließlich an Migrant:innen je einer spezifischen Diaspora wendeten, setzte sich der Kanal Radiomultikulti zum Ziel, innerhalb eines Senders viele unterschiedliche Kulturen zu repräsentieren. Es sollte auch keine Trennung zwischen Deutschen und Migrant:innen stattfinden. Das erste deutsche „Integrationsradio“ war entstanden.

Ein neues Weltkulturradio im Netz

Mit der Gründung von Radiomultikulti reagierten die Rundfunkanstalt sowie die derzeitige Bundesregierung als finanzielle Unterstützerin auch auf eine Zunahme an rechtsextremen Gewalttaten Anfang der 1990er Jahre. Als verbindender Kanal für eine diverse Gesellschaft und zum Abbau verbreiteter Ressentiments gegen kulturelle Einflüsse aus dem Ausland sollte Radiomultikulti dabei im Grunde ein Langzeitprojekt darstellen. Trotzdem zeichnete sich knapp vierzehn Jahre später das Ende des Senders ab. Daraufhin setzten sich Redakteur:innen und leidenschaftliche Hörer:innen monatelang für den Erhalt von Radiomultikulti ein. Dennoch wurde der Kanal im Zuge notwendiger Sparmaßnahmen des rbb am 31. Dezember 2008 eingestellt.

Anstelle des Berliner Kanals empfingen Berliner Hörer:innen auf der Sendewelle nun den multikulturellen Kanal Funkhaus Europa des WDR. Im Gegensatz zu Radiomultikulti fehlte dem nordrhein-westfälischen Sender jedoch der lokale Bezug zur Region Berlin-Brandenburg. Als weiteren Ersatz für Radiomultikulti ging darum wenige Minuten nach dessen Einstellung das Webradio multicult2.0 auf Sendung. Zwanzig ehemalige Mitarbeiter:innen des rbb-Kanals und andere Unterstützer:innen von Radiomultikulti machten es sich damit zur Aufgabe, das Berliner Integrationsradio fortzuführen – auch auf eigene Kosten und mit Erfolg: Bis heute konnte sich der Internetsender als Weltkulturradio erhalten und ausbauen.

Vielfalt im Angebot, Vielfalt hinter den Kulissen

„multicult.fm steht für den respektvollen, integrativen Umgang mit der kulturellen Vielfalt dieser Region.“ So heißt es auf der Website des Internetradios. Dabei meint Vielfalt hier nicht nur Themen und Sprachen im Programm, sondern auch hinter den Kulissen. Warum hört man eigentlich so selten Radiomoderator:innen mit Akzent? Bei multicult.fm wird auch der multikulturelle Hintergrund und Erfahrungsschatz der Mitarbeiter geschätzt wie genutzt.

Als zukünftiges journalistisches Kompetenzzentrum wollen wir kulturelle Vielfalt als Normalität im Programm abbilden, Chancen einer Einwanderungsgesellschaft aufzeigen sowie Hintergründe und Lösungsansätze bei Konflikten beleuchten. Es geht uns um die Ausweitung der interkulturellen Ausrichtung von Journalisten mit und ohne migrantischem Hintergrund.

About us, multicult.fm

Geleitet wird das aktuell achtzigköpfige Team seit 2008 von der ehemaligen Radiomultikulti-Redakteurin Brigitta Gabrin. Obwohl der Sender weiterhin auf Werbeeinnahmen verzichtet und keine Rundfunkanteile erhält, konnte neben dem Team auch das Programmangebot stetig erweitert werden. In mehr als zwanzig Sendungen erfahren Hörer:innen von politischen und sozialen Themen in unterschiedlichen Regionen der Erde sowie von Entwicklungen und Debatten rund um Diversität in Deutschland und Berlin. Dazwischen laden eine bunte Mischung aus Afropop, südeuropäischer Folklore, französischen Chansons, indischem Hiphop und vielem mehr zu einer musikalischen Entdeckungsreise ein. Rund um die Welt lässt sich der Kanal als multicult.fm weltkulturradio im Internet empfangen. In Berlin selbst ist der Sender außerdem über die UKW-Welle 91,0 MHz erreichbar.

Titelbild:Pixabay, gemeinfrei. 

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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