Seit 1240 ziert sie den Magdeburger Dom: die Skulptur des Heiligen Mauritius. Sie ist eine Figur, die viele Besucher:innen überrascht. Das Abbild zeigt den spätantiken Schutzheiligen mit Ritterrüstung und Schwert als einen Schwarzen Mann. Auch sein Name, Mauritius (frz.: Maurice, dt.: Moritz), wird auf die lateinische Bezeichnung „Maure“ (dunkel) für verschiedene Bevölkerungsgruppen arabischer Abstammung zurückgeführt.

Heute möchte ich mich der Geschichte seiner Heiligenverehrung und -darstellung widmen. Sie beginnt im 4. Jahrhundert. Je weiter wir in der Zeit zurückgehen, desto ambivalenter erscheint uns das Beispiel des Heiligen Mauritius. Gleichzeitig zeigt es uns, dass manches in der Geschichte weniger ambivalent wirkte als von uns heute angenommen.

Die Legende des Heiligen Mauritius

Wer war Mauritius denn eigentlich? Historisch gesichert ist seine Geschichte nicht. Bekannt sind heute jedoch mehrere Legenden, die Jahrhunderte nach seinem (vermeintlichen) Tod den Kult des Heiligen festigen sollten. Die älteste, bekannte Erzählung stammt von einem Bischof aus Lyon und ist auf die Mitte des 5. Jahrhunderts zu datieren.

Dieser Legende nach handelte es sich bei Mauritius um den Befehlshaber einer römischen Legion aus Theben in Ägypten. Um 300 n.Chr. schickte sie der damalige Kaiser Maximian über die Alpen, um einen gallischen Aufstand niederzuschlagen. Der Auftrag erfolgte im Zuge einer von mehreren Christenverfolgungen. Außerdem verlangte der Kaiser von seinen Legionen, an einem Opferritual für römische Gottheiten teilzunehmen. Als die größtenteils christliche Legion um Mauritius das Ritual boykottierte und die Beteiligung an der Christenverfolgung verweigerte, ließ Maximian die gesamte Legion hinrichten.

Hautfarbe unbekannt? Der frühe Kult

Bereits wenige Jahre nach seinem Tod begann am mutmaßlichen Tatort in der Region Wallis in der heutigen Schweiz eine lokal begrenzte Heiligenverehrung. Sie bezog sich zunächst auf die ganze Legion. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte fokussierte sich der Märtyrerkult schließlich auf die Person des Anführers, Mauritius. Aus einem Massengrab im heutigen St. Maurice, benannt nach eben jenem Heiligen, verkauften Geistliche an verschiedene Bistümer und Herrscher in Mittel- und Nordeuropa die Überreste der Verstorbenen als Reliquien. So breitete sich die Heiligenverehrung über weite Teil des Kontinents, vor allem jedoch im Gebiet des heutigen Frankreichs, Deutschland, der Schweiz und Italien aus.

Anders als sein Name vermuten lässt, wurde der heilige Mauritius von seinen Anhänger:innen nicht unbedingt Schwarz gelesen. In den ersten Legenden steht nichts über die Hautfarbe oder Herkunft Mauritius geschrieben. So zeigen die frühen Darstellungen den Heiligen meist als weißen Mann in römischer Rüstung. Vermutlich entsprach dieses Bild auch der Vorstellung des ostfränkisch-deutschen Herrschers Otto I., der im 10. Jahrhundert den Kult mitsamt zahlreicher Reliquien ins Heilige Römische Reich „importierte“. Dort etablierte sich Mauritius als Schutzheiliger ganzer Städte, Adelsfamilien, Berufsstände sowie als Heiler verschiedener Krankheiten. Zum Zentrum der deutschen Mauritius-Verehrung entwickelte sich das Bistum Magdeburg. Aber auch andere Städte wie Wiesbaden, Coburg und Ingolstadt beanspruchten den Segen Mauritius zum Schutz ihrer Gemeinde.

Mauritius wird zum „Mauren“

Als explizit Schwarzer Heiliger erschien Mauritius erstmals im Jahr 1160 in der sogenannten Kaiserchronik. Diese beschrieb Mauritius als Anführer einer „Mo(h)renlegion“. Anzumerken ist für heutige Leser:innen jedoch, dass die damalige Bezeichnung von Schwarzen Menschen und sogenannten „Mo(h)renlanden“ sehr weit gefasst werden konnte. Unter Umständen wurden bereits Südeuropäer:innen ohne afrikanische Wurzeln als „Mor“ bezeichnet.

Eine etwas eindeutigere Zuschreibung erhielt der Heilige Mauritius schließlich um 1240 mit der ersten bildlichen Darstellung als Schwarzer Mann. Ganz im Gegensatz zu einigen späteren Abbildungen ist die ursprünglich lebensgroße Figur aus Sandstein nicht mit Stereotypen oder gar rassistischen Attributen ausgestattet. Eine moderne Rekonstruktion im Magdeburger Dommuseum zeigt wie die Skulptur ursprünglich ausgesehen haben könnte: Sie stellt den Schwarzen Heiligen als einen edlen Ritter dar, der sich lediglich durch seine Gesichtsfarbe und -züge von weißen Heiligen unterscheidet. Gleichzeitig betont die goldglänzende Rüstung die dunkle Hautfarbe und damit die „neue“ ethnische Zuschreibung des Heiligen.

Eine positive Darstellung als Propaganda

Dieser Wandel einer Heiligenfigur vom weißen zum Schwarzen Märtyrer ist kein Zufall. Aus heutiger Sicht kommen Einem zunächst mögliche rassistische Motive in den Sinn. Oder könnte vielleicht eine Trendwende hin zur Anerkennung der multiethnischen Bevölkerung um 300 dahinter stecken? Historiker:innen vermuten als Hintergrund des ikonografischen Wandels eine propagandistische Neuausrichtung.

Mit der Figur des Schwarzen, christlichen Märtyrers schufen die damaligen Auftraggeber ein „Vorbild“ für alle nicht-christlichen Bevölkerungen, die es aus ihrer Sicht noch zu missionieren gelte. Nach außen hin betonte der heilige, Schwarze Mauritius also einen Universalanspruch des Christentums, das über das nähere Umfeld in Mitteleuropa hinausreichte. Mit dieser Botschaft setzte sich von Magdeburg ausgehend, das Bild des Schwarzen Mauritius in den meisten deutschsprachigen Gebieten durch. Vor allem in der Mitte und im Osten des Reiches schmückte der Schutzheilige als dunkelhäutige Figur fortan zahlreiche Wappen und Kirchen. Neben dieser Missions-Theorie sind weitere oder alternative Erklärungen für den Wandel des weiß dargestellten Märtyrers zum Schwarzen Heiligen nicht auszuschließen.

Der heilige Mauritius trifft auf den heiligen Erasmus, Gemälde von Matthias Grünewald um 1520; heute gemeinfrei.

Schwarz oder weiß – lokale Gegensätze

Naheliegend ist die oben genannte Deutung insofern, dass im Westen des Reiches sowie vor allem außerhalb des Reiches Mauritius weiterhin als weißer Mann dargestellt wurde. Frankreich und die westlichen Herzogtümer und Grafschaften im Heiligen Römischen Reich wie beispielsweise Burgund waren um 1250 weniger an Expansionszügen und Missionierungs-Kampagnen in nicht-christlichen Gebieten beteiligt. Eine Instrumentalisierung des Schutzheiligen wie im Osten des Reiches war also schlichtweg nicht notwendig.

Vielmehr ließ sich hier die Legende des Märtyrers problemlos mit wachsendem Fremdenhass in der Neuzeit verbinden. Ein Beispiel ist das Deckengemälde der Kirche St. Maurice im elsässischen Ebersmunster. Obwohl die Gemeinde im 13. Jahrhundert zum Bistum Straßburg und damit noch zum Heiligen Römischen Reich gehörte, konnte sich das Bild des Schwarzen Mauritius hier nicht etablieren. Im drastischen Gegensatz zu den Magdeburger Abbildungen erscheinen auf dem Gemälde aus dem Jahr 1727 Schwarze Männer explizit als Täter. Die abgebildete Szene zeigt die Enthauptung des weißen Mauritius durch einen Schwarzen „Wilden“. Aber auch die deutschen Darstellungen von Mauritius als Schwarzer Heiliger vermischten sich im Laufe der Jahrhunderte allmählich mit rassistischen Stereotypen.

Auf dem Deckengemälde der Église St. Maurice wird derselbe als weißer Mann dargestellt. Ohne ersichtlichen Zusammenhang zur Legende steht der Schwarze Mann, der hier die Enthauptung durchführt. Foto: Ralph Hammann, CC BY-SA 4.0.

Vom edlen Ritter zum „edlen Wilden“

Die Mauritiusstatue von 1240 macht deutlich, dass am Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter weitestgehend rassismusfreie Darstellungen von Schwarzen Menschen möglich waren. Wie aber stand es um die Verehrung eines Schwarzen Heiligen im Zeitalter von Sklavenhandel und Kolonialismus?

Am Beispiel einzelner Stadt- und Familienwappen haben Wissenschaftler:innen die Entwicklung der Ikonografie um Mauritius über den Lauf der Jahrhunderte untersucht. Zeigten frühe Wappen den Heiligen als edlen Ritter, mit prachtvoller Rüstung, werden die Abbildung ab dem 16. Jahrhundert zusehends minimalistischer. Damit entsprachen sie zunächst einem allgemeinen Trend in der Wappengestaltung, der einzelne aussagekräftige Symbole in der Vordergrund rückte. Spätestens die karikaturesken Darstellungen des 19. Jahrhunderts lassen sich damit allein aber nicht mehr erklären. Auf dem Wappen der adeligen Familie von Wolfskeel beispielsweise trägt der heilige Mauritius nunmehr statt einer römischen Uniform oder einer mittelalterlichen Rüstung einen Strohrock und große, goldene Ohrringe. Auch die Gesichtszüge sind gröber gestaltet, der Gegensatz zu Darstellungen weißer Heiliger hat sich verschärft. In diesem verzerrten Bild des Schwarzen Märtyrers spiegeln sich eindeutig die rassistischen Vorstellungen der weißen, europäischen Bevölkerung im 19. Jahrhundert wieder.

Die Grenzen der Ehrfurcht

Der Umgang mit einem Schwarzen Heiligen in Deutschland zur Zeit des blühenden transatlantischen Sklavenhandels stiftet Verwirrung. Zwar wurde Mauritius weiterhin von den Bewohner:innen Magdeburgs und Familien, die sich auf ihn bezogen, in Ehren gehalten. Diese (vermeintliche) Ehrfurcht hielt sie jedoch nicht davon ab, ihn als primitiven Menschen zu präsentieren.

Ernsthafte Debatten darüber, wie der Heilige öffentlich dargestellt werden sollte, entwickelten sich schließlich erst in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Verfechter:innen der besagten, stereotypen Abbildungen argumentieren, seine Verehrung in vorrangig weißen Gesellschaften vom Frühmittelalter bis in die späte Neuzeit setze ein Zeichen von Toleranz und Inklusion. Die bis heute bekannten Bilder von Mauritius mit Ohrringen und Perlenkette stünden demnach in einem nahezu anti-rassistischen Kontext.

Ins Gewicht fällt bei aktuellen Debatten um die Darstellung Mauritius auch das Vorgehen der Nationalsozialisten. Ab den 1930er Jahren waren Städte wie Coburg dazu gezwungen, das Profil Mauritius in ihrem Wappen durch ein Hakenkreuz zu ersetzen. 1945 ließ der kommissarische Oberbürgermeister der Stadt prompt den Schwarzen Heiligen als Identitätsmarker der Stadt re-installieren. Auch verschiedene Marken, Apotheken und vieles mehr beziehen sich seither wieder in ihren Logos und Namen auf den heiligen „Mohren“ Mauritius.

Mauritius im Zentrum aktueller Rassismusdebatten

Den Gegner:innen der gängigen Embleme und der umstrittenen Bezeichnung werfen seine Verteidiger:innen vor, einen regelrechten Bildersturm zu organisieren. Der Angriff auf das Stadtwappen erinnert viele nur zu sehr an die Verbannung der Schwarzen Figur im Nationalsozialismus. Was ihre Argumente jedoch nicht einbeziehen ist der Kontext, in dem die heute geläufigen Darstellungen entstanden sind. Denn es geht vielen Kritiker:innen nicht darum, die Geschichte und das Bild des Heiligen Mauritius aus einer Stadt wie Coburg zu entfernen.

Vielmehr kreist ihr Anliegen um die Frage, wie diese Darstellung aussehen soll. Nicht zuletzt gilt es in den aktuellen Debatten zu bedenken, dass unsere Gesellschaft in der Zwischenzeit selbst „bunter“ geworden ist. Neben jeder Identitätsstiftenden Wirkung nach innen senden die Abbildungen und Begriffe Signale nach außen, an Besucher:innen, neu Hinzugezogene usw. Demnach werden mit steigender Mobilität und Migration auch berechtigte, kritische Fragen lauter: Was bedeutet der „Coburger M[auritius]“ für Menschen, die heute gegen rassistische und primitive Aneignungen ihrer eigenen Geschichte ankämpfen müssen? Wie können konstruktive Entwürfe aussehen, die die positiven Traditionen der Stadt mittragen ohne dabei auf rassistische Bilder kolonialer Zeitalter zurückzugreifen? Wie schaffen wir es, gemeinsam eine Lösung zu finden?

Titelfoto: Kopf der Magdeburger Mauritius-Skulptur, entstanden um 1240, gemeinfrei. 

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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