Wie weit reicht die Geschichte von Schwarzen in Zentraleuropa zurück? Gab es Afrodeutsche bereits im Mittelalter? Und wie wird heute an sie erinnert?

Black History – Schwarze Geschichte – ist in Deutschland nach wie vor ein Randthema. Die Geschichte von Schwarzen in Zentraleuropa beginnt in unseren Köpfen meist mit dem fortschreitenden Kolonialismus des 18. und 19. Jahrhunderts. Aber ist das so? Wissenschaftliche Untersuchungen aus dem Bereich der Germanistik, Kunst-, Religions-, Alltags- und Gesellschaftsgeschichte sagen nein. Allerdings braucht es mehr als gut sortierte Bibliotheken oder Vorträge, um diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenzubringen und in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Heute wollen wir euch ein Projekt vorstellen, das Schwarze, deutsche Geschichte im Internet sichtbar macht.

Was ist Black Central Europe.com?

Am Anfang steht eine Entdeckung. Bei meinen Recherchen zum Artikel über Schwarze Kammerdiener im 18. Jahrhundert stoße ich auf eine Website, die ich bislang noch nicht kannte. Ein einführender Slogan erklärt das ehrgeizige Ziel der Betreiber:innen:

We bring you over 1000 years of Black history in the German-speaking lands and show you why it matters right now

Black Central Europe.com, Stand 8. Februar 2023

Hier sollen Interessierte also Eindrücke vom Wirken und Lebenswirklichkeiten Schwarzer Menschen in deutschsprachigen Ländern von 1000 bis heute sammeln können. Im Fokus stehen die Gebiete des heutigen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Seite nennt sich Black Central Europe.com. Erstaunlicherweise ist ein großer Teil der Inhalte nur in englischer Sprache verfügbar. Eine Ausnahme stellt die kommentierte Quellensammlung dar, die sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch abrufbar ist.

Wer steckt dahinter?

Ein Klick auf den Button „About us“ verrät, wer die Urheber:innen der Seite sind. Es handelt sich dabei um ein kleines Team aus Wissenschaftler:innen und Künstler:innen um den amerikanischen Historiker Jeff Bowersox. Auch die großen Förderer stammen aus dem angelsächsischen Raum: Genannt werden an erster Stelle das University College London (UCL) und die University of Southern Mississippi. Eingebettet ist das Projekt wiederum in einem internationalen Netzwerk: 2014 gründete sich das Black Central European Studies Network – kurz BCESN – mit der Absicht, Recherchen über zentraleuropäische, Schwarze Geschichte zu erleichtern. Über einen eigenen Twitter-Account, die Plattform H-Black-History und eine entsprechende Facebookgruppe tauschen sich Forschende und Aktivist:innen über das breite Themenfeld Black Central Europe damals und heute aus. Ziel des Netzwerkes ist es aber auch, diese Geschichte öffentlich sichtbar zu machen. Wie das gelingen kann, zeigt ihre Website Black Central Europe.com

Worum geht es?

In erster Linie ist die Seite ein buntes Sammelsurium. Im Fokus steht eine vielfältige Auswahl an Quellen, die teils übersetzt, abgetippt, in Ausschnitten oder komplett einsehbar sind. Ein Blick in diese Sammlung macht schnell klar: Afrodeutsche Geschichte beginnt nicht erst mit den ersten deutschen Kolonien im 19. Jahrhundert. Stattdessen startet die Auswahl an historischen Quellen um 1000 und führt uns bis in die Gegenwart.

Untergliedert ist die Sammlung chronologisch wie thematisch. Ein Großteil der Quellen berichtet von Rassismus, Kolonialismus und Sklaverei. Sie ziehen sich wie ein roter, bedrückender Faden durch die Schwarze deutsche Geschichte. Daneben tun sich aber auch ganz neue Themenfelder und Perspektiven auf. Mit schriftlichen Quellenauszügen, über historische Fotos, Plakate und vieles mehr erfahre ich beispielsweise von Schwarzen Charakteren in mittelhochdeutscher Lyrik. Ich lerne Kants Haltung zu Kolonialismus kennen und lese eine Petition von Asylbewerber:innen in Brandenburg aus dem Jahr 2000.

Was gibt es noch zu entdecken?

Zweifelsfrei bildet die Sammlung das Kernstück der Website. Daneben bietet die Seite für englischsprachige Besucher:innen aber viele weitere Funktionen. So lassen sich auf einer interaktiven Karte beispielsweise Namen, Daten und Abbildungen von Schwarzen Musiker:innen im deutschsprachigen Raum zwischen 1856 und 1914 abrufen. Der Verweis auf ihr Wirken zeigt unter anderem, dass sich das Leben von Schwarzen Menschen in der zentraleuropäischen Geschichte nicht auf eine passive Opferrolle reduzieren lässt. Einfluss wie Einschränkungen von Schwarzen Menschen in Europa stehen schließlich auch im Zentrum der Kategorie „Biographies„. Über 20 Kurzbiografien berichten vom Leben Schwarzer Intellektueller, Künstler:innen, aber auch weitgehend unbekannten Schwarzen Personen in deutschen Quellen vom 3. Jahrhundert bis heute.

Wie kann ich damit arbeiten?

Durch ein modernes, übersichtliches Layout sowie knappe einführende Texte, ist Black Central Europe.com gerade für (englischsprachige) Nicht-Fachleute sehr Nutzerfreundlich gestaltet. Damit wird die Seite dem Anspruch ihrer Betreiber:innen gerecht, die behandelten Themen an ein breites Publikum zu vermitteln.

Eingeschränkt werden Nutzungsmöglichkeiten lediglich durch kleinere technische Fehler sowie Sprachbarrieren für Menschen ohne ausreichende Englischkenntnisse. Inwiefern die Seite allgemeine als weitgehend barrierefrei gelten kann, bleibt noch zu überprüfen. Deutschsprachige Nutzer:innen können sich immerhin über die gute Nachricht freuen, dass nach Angabe der Macher:innen zur Zeit eine vollständige deutschsprachige Fassung in Arbeit ist.

Anzumerken bleibt außerdem, dass neben diesen sprachlichen oder technischen Hürden auch inhaltliche Vertiefungsmöglichkeiten auf der Website begrenzt sind: Wer einen fundierten Überblick über eine spezifische Thematik erwartet, wird auf Black Central Europe.com kaum fündig werden.

Dafür bietet die Seite Vorschläge, wie die aufbereiteten Quellen und Kurztexte im Rahmen einer umfassenderen Vermittlungsarbeit genutzt werden können. Unter dem Reiter „Teaching“ haben Multiplikator:innen Zugriff auf verschiedene (englischsprachige) pädagogische Materialien zu afroeuropäischer Geschichte und Gegenwart. Für alle, die tiefer in die besagten Themen einsteigen wollen, finden sich auf der Seite außerdem verschiedene Links zu Dokumentationen, Spielfilmen oder kleineren Videoclips über einzelne Themenbereiche.

Was nehme ich mit?

Alle Optionen zusammengenommen, ist Black Central Europe.com als niederschwelliger Lernort über Schwarzes Leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz bestens geeignet. Wie geht es nun aber weiter? Auf das Lernen über einschränkende Rassismen einerseits neben dennoch bestehender Handlungsmöglichkeiten andererseits, folgt bestenfalls das Engagement für mehr Toleranz oder das eigene Empowerment. Um auch dafür einen ersten Anschub zu leisten, stellen uns die Redakteur:innen der Website eine Liste engagierter Organisationen im Bereich Anti-Rassismus zur Verfügung. In diesem Sinne geht Black Central Europe.com über die Vermittlung von Black History hinaus. Hier wird aufgezeigt, welche Rolle Geschichte im heutigen Kampf gegen Rassismus einnehmen kann.

Blicke ich auf den einführenden Slogan der Website, komme ich dementsprechend zu dem Schluss: Dieses Seite hält, was sie verspricht. Bislang überzeugt das Angebot vor allem durch seine Offenheit gegenüber Zielgruppen außerhalb wissenschaftlicher Fachkreise. Darum möchte ich gerne die einladenden Worten der Macher:innen weiterleiten, die sich an alle ernsthaft Interessierten richten:

[Y]ou’re welcome here. Let us know what you think!

Black Central Europe.com, Stand 8. Februar 2023
Titelbild: Pixabay, gemeinfrei. 

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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