Es ist […] geboten, das Verwaltungsverfahren und das gerichtliche Verfahren neu zu regeln und so auszugestalten, daß der politisch Verfolgte in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin Zuflucht findet, daß aber diejenigen Fälle, in denen offensichtlich wird, daß aus asylfremden Motiven ein Asylantrag gestellt wird, schnell entschieden werden.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses im deutschen Bundestag, 6. Mai 1982.
Heute vor vierzig Jahren, am 16. Juli 1982, beschließt der (west-)deutsche Bundestag ein neues Gesetz über die Aufnahme und Durchführung von Asylverfahren. Das sogenannte Asylverfahrensgesetz (kurz: AsylVerfG) ergänzt und korrigiert eine Reihe vorangegangener Asylgesetze. Die Neuerungen: Unter anderem sollen Aufnahmeverfahren in Zukunft verkürzt werden. Die Ziele der Gesetzesänderung sind vielschichtig. Ab Mitte der 1970er Jahre steigt die Zahl der Asylsuchenden in Westdeutschland stetig an. Die zuständigen Ämter melden daraufhin eine dauerhafte Überlastung an. Für die Asylbewerber:innen bedeutet diese Entwicklung lange Wartezeiten bis zur Aufnahme oder Ablehnung.
Durch verkürzte Verfahren erhalten Asylsuchende also endlich frühe Gewissheit darüber, wie es für sie weitergehen wird. Die neuen Regelungen haben aber auch Schattenseiten. Jetzt drohen den Bewerber:innen knappe Fristen. Auch eine endgültige Abschiebung erfolgt leichter als zuvor, denn die Möglichkeiten Widerspruch einzulegen sind begrenzt.
Die Angst „überrannt“ zu werden
Mit seiner Strenge und Effizienz ist das neue Asylverfahrensgesetz ein Ergebnis seiner Zeit. Die Anzahl der Asylbewerber:innen ist in den vorangegangen Jahren nicht nur gestiegen. Überfordert fühlen sich deutsche Behörden auch angesichts ihrer unterschiedlichen Herkunftsländer und Migrationsursachen. Neben ehemaligen „Gastarbeiter:innen“ und ihren Nachkommen, stammen viele der Asylsuchenden aus fernen asiatischen und afrikanischen Staaten.
Politische und gesellschaftliche Debatten über das „Asylproblem“ stehen ab Ende der 1970er Jahre auf der Tagesordnung. Viele Deutsche sehen die Ankunft der „neuen“ Asylbewerber:innen in Deutschland mit Unbehagen. Aber vor allem die Vorbehalte gegen Menschen aus der Türkei sind groß. Ihnen wird unter anderem unterstellt, sich weder an die deutsche Kultur und mitteleuropäisches Klima anpassen zu können noch zu wollen. In diesem Zusammenhang verbreitet sich die Sorge, dass sich die Mehrheitsverhältnisse bezüglich der ethnischen und kulturellen Bevölkerungszusammensetzung im eigenen Land zu ihren Ungunsten entwickeln könnten. Zudem befürchten viele Deutsche wirtschaftliche Nachteile. Besonders umstritten ist die Frage, welche Ursachen die Migration und eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in der BRD „rechtfertigen“.
Ablehnung sogenannter „Wirtschaftsflüchtlinge“
„Politische Verfolgte genießen Asylrecht“ – so steht es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland seit 1949. 1992/93 wird eine Grundgesetzänderung, der sogenannte „Asylkompromiss„, diesen Artikel drastisch eingrenzen. In der Zwischenzeit ranken sich zahlreiche westdeutsche Debatten um die Frage, was man unter einer politischen Verfolgung verstehen kann. Ein hartnäckiger Vorwurf richtet sich gegen sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“: Diese Menschen würden versuchen, Anspruch auf Asyl in Westdeutschland zu erheben, obwohl sie in ihrem Herkunftsland nicht aus politischen Gründen – beispielsweise als Oppositionelle – bedroht seien. Viele Deutsche bringen zwar Verständnis für die materielle Not der Asylsuchenden auf, lehnen ihr dauerhaftes Bleiben in der BRD aber dennoch ab.
In seinem Werk Recht auf Asyl. Studien zu einem mißdeuteten Grundrecht von 1985 kommt der Rechtswissenschaftler Helmut Quaritsch zu dem Schluss:
Das sog. Wohlstandsgefälle zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern zieht naturgemäß auch solche Menschen an, die als „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht politischer Verfolgung, sondern der Not entfliehen wollen […] So viel Mitgefühl jeder einzelne dieser Fälle durch seine bedrückenden Umstände auch hervorruft: Das Asylgrundrecht ist schon durch seinen Zuschnitt auf den individuellen Einzelfall und Grundrechtsträger kein geeignetes Instrument, die Not dieser Welt auch nur zu lindern.
Helmut Quaritsch, Recht auf Asyl. Studien zu einem mißdeuteten Grundrecht (1985)
Gegenstimmen
Neben den kritischen Stimmen kommen Ende der 1970er Jahre aber auch zivilgesellschaftliche Verbände, Politiker:innen und Prominente zu Wort, die sich für eine Aufnahme der „Wirtschaftsflüchtlinge“ aussprechen. In einem Interview mit dem SPIEGEL am 18. Oktober 1981 argumentiert der Schriftsteller Heinrich Böll im Zusammenhang mit der Aufnahme der sogenannten Boat People:
Ich glaube, daß die Bundesrepublik ein so begrenztes Land nicht ist. […] Angesichts der Tatsache, daß unsere Bevölkerung offenbar abnimmt, bin ich nicht nur für ein sehr liberales Einwanderungsgesetz, sondern auch für ein sehr liberales Einbürgerungsgesetz.
Heinrich Böll im Interview mit dem SPIEGEL, 18. Oktober 1981
Ferner kritisiert Böll die Unterscheidung zwischen politisch Verfolgten und sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“:
Im Grunde ist doch die Wirtschaft eines Landes die Folge der Politik. Auch ein Wirtschaftsflüchtling ist also ein politischer Flüchtling. Man kann das eine vom anderen nicht trennen.
Heinrich Böll im Interview mit dem SPIEGEL, 18. Oktober 1981
Eine andauernde Debatte
Im Herbst 1982, wenige Monate nach der Verabschiedung des Asylverfahrensgesetzes, wird Helmut Kohl neuer Bundeskanzler. Sein Kabinett verkündet 1983 vehement: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“. Auch die Zahl der bereits im Land befindlichen Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft soll bestenfalls um die Hälfte sinken. Nachdem die Asylanfragen kurze Zeit darauf tatsächlich absinken, steigen sie ab Mitte der 1980er Jahre wieder an. Auch die Debatten um angemessene Asylverfahren und die Rolle Deutschlands als Zielort von Migrant:innen halten weiter an.
Mit dem „Asylkompromiss“ 1992/93 wird vielen Migrant:innen das Anrecht auf Asyl in Deutschland abgesprochen. Dennoch zwingen Kriege, Katastrophen und andere Bedrohungen Menschen aus aller Welt zur Flucht – unter anderem nach Deutschland. Und obwohl die Zahl der Abschiebungen auf einem hohen Niveau bleibt, betont das Regierungsprogramm der „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Grüne im November 2021: Ja, Deutschland ist ein Einwanderungsland!
Ein weiterer Literaturtipp zum Thema Asylpolitik und Migrationsentwicklung in Deutschland zwischen 1949 bis heute: Patrice G. Poutrus: Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwar, Berlin 2019 | Ch. Links Verlag | ISBN: 978-3-96289-036-0 Hier geht es zur Rezension des Buches...
Titelbild: Gerichtshammer, Quelle: pixabay, gemeinfrei.