Auseinandersetzungen über Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit sind immer wieder Bestandteil politischer Debatten in der Migrationsgesellschaft. Doch was bedeutet Zugehörigkeit und welche Implikationen hat diese für das Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft? Antworten darauf liefert eine Publikation des Sozialunternehmens „Dialog macht Schule“ mit dem Titel „Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft. Plädoyer für neue Ansätze in der Demokratiebildung“. Die darin enthaltenen Beiträge beleuchten den Begriff aus unterschiedlichen Perspektiven und setzen ihn in Bezug zu migrationsgesellschaftlichen Debatten. Dabei stehen Fragen nach der Bedeutung, den Bedingungen, den Chancen aber auch den Herausforderungen von Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft im Vordergrund. Der Band vereint theoretisch-analytische Überlegungen mit pädagogisch-praktischen Ansätzen und bildet ein breites Spektrum des Konzepts ab. Zugleich betonen die Herausgeber die Bedeutung von Zugehörigkeit als essenziellen Bestandteil und „Voraussetzung für Partizipation, Solidarität und Gemeinsinn in allen demokratischen Gesellschaften“. 

Blick in die Publikation „Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft. Plädoyer für neue Ansätze in der Demokratiebildung“

Bedeutungsebenen von Zugehörigkeit 

Ausgehend von der Mehrdeutigkeit des Begriffs erörtert Rainer Ohliger drei Bedeutungsebenen von Zugehörigkeit. Zum einen beschreibt er diese als eine „auf bestimmten Kriterien basierende Mitgliedschaft […] in einer Gruppe“ (S. 30), zum anderen als ein subjektives Gefühl, das sich in der emotionalen Verbundenheit mit einer Referenzgruppe ausdrückt. Die dritte, normative Bedeutungsebene, beschreibt einen „politisch geforderten oder gewünschten Zustand […], den Personen erzielen sollen, um den Anforderungen einer Referenzgruppe (oder Gesellschaft) zu genügen“ (S. 31). In seinen Überlegungen konzentriert sich Ohliger auf die Bedeutungsebenen der objektiven Voraussetzungen sowie den daraus resultierenden subjektiven Gefühlen von Zugehörigkeit. Dabei betrachtet er insbesondere das (Miss-)Verhältnis, in dem objektive Voraussetzungen und subjektive Gefühle von Zugehörigkeit stehen können. Als Beispiel führt er an, dass das objektive Kriterium der Staatszugehörigkeit nicht notwendigerweise ein subjektives Gefühl von gesellschaftlicher Zugehörigkeit nach sich zieht. 

Schule als Ort der Zugehörigkeit 

Die Schule als Ort der Zugehörigkeit steht in vielen der Beiträge im Fokus. Laut Armin Nassehi stellt diese einen Raum dar, „an dem die unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft nolens volens zusammenkommen“ (S. 17). Dadurch ermöglicht Schule grundsätzlich Zugehörigkeit, wenngleich Mechanismen der Ausgrenzung existieren, die auch vor dieser Institution keinen Halt machen. Nassehi zufolge schließt die Schule jedoch grundsätzlich niemanden aus, weshalb er sie als einen Ort bezeichnet, an dem Zugehörigkeit stattfindet. Des Weiteren nennt er Familien, Vereine, Nachbarschaften und Freundeskreise. Grundsätzlich plädiert Nassehi für inklusive Zugehörigkeiten, womit er die Diversität innerhalb dieser Räume meint, die eine Bandbreite an Positionen und damit auch Differenzen bedeutet. 

Kontroversität als zentraler Bestandteil von Zugehörigkeit

Kontroversität ist auch Rainer Ohliger zufolge ein wichtiger Bestandteil des Aushandlungsprozesses um Zugehörigkeit. Dass dabei auch Konflikte entstehen können, ist seiner Meinung nach offensichtlich. Zudem sei Kontroversität ein wichtiger Baustein der Demokratie, innerhalb derer Formen von Zugehörigkeit ausgehandelt werden. Kontroversität als Chance begreift auch Cordula Heckmann, die vier Jahre lang Direktorin der Rütli-Gesamtschule in Berlin-Neukölln war. Aus ihrer pädagogischen Erfahrung schlussfolgert sie, dass Kontroversität eine Voraussetzung für Zugehörigkeit darstellt. Ein Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft kann daher nur funktionieren, wenn „wir Zweifel zulassen, an unserer eigenen Haltung, unseren Überzeugungen und Handlungen“ (S. 81). Das bedeutet, Diskursräume zu schaffen, in denen sich „Denken, Haltungen und Weltbilder auf Basis einer guten Beziehung, gegenseitigen Vertrauens und somit eines ehrlichen Austauschs entwickeln können“ (ebd.). 

Partizipation als Voraussetzung für Zugehörigkeit 

Unterschiedliche Perspektiven zuzulassen ist auch ein zentrales Prinzip der Arbeit von Jouanna Hassoun, die unter anderem im Rahmen politischer Bildung in Schulen zum Nahostkonflikt arbeitet. Ihr ist wichtig, den Schülerinnen und Schülern zunächst zuzuhören und anschließend mit ihnen gemeinsam ihre Positionen zu reflektieren und einzuordnen. Dabei betont sie die Wichtigkeit, unterschiedlichen Gefühlen Raum zu lassen, um anschließend darüber zu sprechen. Dazu gehöre auch die Bereitschaft, kontroverse Haltungen und Perspektiven zuzulassen, um diese anschließend reflektieren und einzuordnen zu können. Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft erfordere demnach Partizipationsmöglichkeiten – sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich. 

Die Publikation kann als barrierefreies PDF heruntergeladen und als Printausgabe bestellt werden unter: Neue Publikation: „Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft“ – Dialog Macht Schule

Titelbild: Die Publikation "Zugehörigkeit in der Migrationsgesellschaft. Plädoyer für neue Ansätze in der Demokratiebildung", die auf der Seite von "Dialog macht Schule" kostenlos als pdf verfügbar ist. 

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Über den Autor

Annalena Piper

studiert Interdisziplinäre Antisemitismusforschung am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

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