Am 3. Februar 2021 schrieb eine Kollegin in einer Bürorundmail: „… Ich schließe mit einem kurzen virtuellen Jubelschrei: Gestern um 12:40 Uhr habe ich die Nachricht erhalten, dass meine Mutter ihre zweite Corona-Impfdosis erhalten hat. Dafür bin ich Herrn Şahin und Frau Türeci sehr dankbar.“

Ein globales Weihnachtsgeschenk

Anfang November 2020 ging die Nachricht durch die Presse. Nach ersten Ergebnissen einer Phase-III-Studie hat ein Corona-Impfstoff von BioNTech und Pfizer nach Angaben der Unternehmen eine Wirksamkeit von 90 Prozent erreicht. Es war der erste Wirkstoff weltweit, der diesen Entwicklungsstand erreichte. Und dann wurde es ein Weihnachtgeschenk: Am 21.12.2020 erteilte die europäische Medizinbehörde Ema die Freigabe des Corona-Impfstoffs von BioNTech und Pfizer in der EU. Am selben Nachmittag zog die EU-Kommission mit der Marktzulassung des Präparates nach. Özlem Türeci und Uğur Şahin war es gemeinsam gelungen, worauf die ganze Welt gewartet hat: einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu entwickeln.

Geteilte Leidenschaft – Ein geniales Forscherpaar

Özlem Türeci und Uğur Şahin lernen sich während Ihres Medizinstudiums in Homburg im Saarland kennen. Beide fasziniert die Krebsforschung und die Vorstellung, die körpereigene Immunabwehr so anzuleiten, dass sie sich selbst gegen Angreifer wehrt. 2002 heiraten Türeci und Şahin. Vor und nach dem Standesamt stehen sie im Labor. Beide sind bis heute leidenschaftliche Radfahrer. Ein Auto besitzen sie nicht.

Gemeinsam wechseln sie zur Jahrtausendwende an die Universität Mainz. Diese Wahl ist kein Zufall. Der Standort gilt international als herausragend im Bereich der Immunologie, also der körperlichen Abwehr von Krankheitserregern. Schnell fallen beide als erfolgreiche Ärzte in der Tumorklinik auf. Sie sind auch in der Forschung stark unterwegs, Ulrich Förstermann vom Klinik-Vorstand der Uni Mainz erinnert sich in einem Interview: „Leider ist es nicht häufig, dass hervorragende Wissenschaftler auch mit einem entsprechenden wirtschaftlichen Verständnis unterwegs sind. Diese Kombination hatten aber beide.“

„Sie sind ein geniales Forscherpaar“, sagt Christoph Huber in einem ARD-Interview, der mit ihnen zusammen 2008 BioNTech gegründet hat. Er vergleicht sie mit den Nobelpreisträgern Marie und Pierre Curie, „leidenschaftlich und hochintelligent“.

Türeci und Şahin. Die Elon Musk’s der Pharmaindustrie

Was das Paar als Ärzte und Forscher antreibt, ist der gemeinsame Wille, dass die Forschung den Patienten schneller helfen soll. Darum wollen Türeci und Sahin schon früh Forschungsergebnisse effektiver in Produkte umsetzen. Dafür brauchen sie aber wesentlich mehr Geld, als in einer Uniklinik zu bekommen ist. 2001 gründen sie ihre erste Fima „Ganymed“.  Mit „Ganymed“ können Türeci und Sahin Sponsorengelder einwerben. Die Firma wird 2016 Jahren für mehr als 400 Millionen Euro an ein japanisches Pharmaunternehmen verkauft.

Screenshot www.biontech.de

2008 folgte die Gründung des Forschungsunternehmens BioNTech. Ziel ist es, statt einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung den Körper individuell und gezielt so zu trainieren, dass er den Krebs selbst bekämpft. Ein völlig neues Verfahren mittels mRNA. Die Kosten dafür waren wieder enorm hoch. Aber auch hier finden sie interessierte Unternehmen, die sich mit hohem Startkapital an der Gründung beteiligten.

Özlem Türeci – eine preußische Türkin

Özlem Türeci wurde 1967 im niedersächsischen Lastrup geboren. Dortin war Ihr Vater aus der Türkei gekommen und arbeitete an einem katholischen Krankenhaus als Chirurg.  Die ersten Jahre wächst sie bei ihren Großeltern in Istanbul auf. Mit vier Jahren holen sie die Eltern nach Lastrup. Nach dem Abitur studiert sie in an der Universität des Saarlandes in Homburg Medizin. Dort lernt sie Şahin kennen. Die kluge und disziplinierte Wissenschaftlerin wird 1992 promoviert und zehn Jahre später habilitiert.  „Ich bin eine preußische Türkin“, sagte sie einmal der Süddeutschen Zeitung in einem Interview.

Türeci ist seit 2018 der Chief Medical Officer von BioNTech, also Vorstand Medizin. Von Anfang an berät sie die Firma. Operativ kümmerte sie sich viele Jahre um die Forschungsfirma „Ganymed“, die das Paar 2001 gegründet hatte. 2007 wird sie deren Vorstandschefin und bleibt es bis zum Verkauf 2016. „Özlem Türeci – Das medizinische Mastermind hinter dem BioNTech-Impfstoff“ titelte kürzlich das Manager Magazin. Ohne Özlem Türeci gäbe es den ersten Corona-Impfstoff nicht – und logischerweise jetzt auch keinen Durchbruch in den USA. Sie ist Spitzenforscherin und Unternehmerin zugleich.

Uğur Şahin – Wissenschaftler und Mann von Prinzipien

In der türkischen Mittelmeerstadt İskenderun kam Uğur Şahin 1965 zur Welt. Als er vier Jahren alt war, zog seine Mutter mit ihm nach Köln. Dort arbeitete sein Vater bereits bei den Kölner Ford-Werken. Sein Abitur macht Şahin 1984 am Erich-Kästner-Gymnasium in Köln-Niehl, als erstes türkischstämmiges „Gastarbeiterkind“ der Schule. Er hatte die Leistungskurse Mathematik und Chemie belegt und wurde Jahrgangsbester. Anschließend studiert er Medizin an der Universität zu Köln. Später berichtet Şahin, sein Interesse für die Immunologie sei früh durch eine Fernsehsendung mit dem Arzt und Wissenschaftsjournalisten Hoimar von Ditfurth geweckt worden. 1992 wird Şahin promoviert und folgt seinem Doktorvater an die Universität des Saarlandes. Dort lernt er Özlem Türeci kennen. Parallel zu seiner Habilitation und der Arbeit als Arzt studiert er 1992 bis 1994 Mathematik an der Fernuniversität Hagen.

Als BioNTech 2018 eine Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Pfizer startet, lernt Şahin den griechischstämmigen Albert Burla, den CEO von Pfizer kennen. Ihre Herkunftsländer liegen schon lange im Streit. Doch aus der Zusammenarbeit der beiden Männer entwickelt sich eine Freundschaft. In einem Interview sagen sie, es sei der gemeinsame Hintergrund als Wissenschaftler und Immigrant, der sie vereint.

“Ugur is a very, very unique individual.  He cares only about science. Discussing business is not his cup of tea. He doesn’t like it at all. He’s a scientist and a man of principles. I trust him 100 percent.”

Albert Bourla, Pfizer’s CEO, in einem Interview im Oktober 2020 über Uğur Şahin

Türeci und Şahin im Kampf gegen das SARS-CoV-2-Virus

Als Uğur Şahin im Januar 2020 in einem Magazin über das neue Virus liest, geht er mit seiner Idee zuerst zu seiner Frau. Mitte Januar 2020 startet BionTech das globale Entwicklungsprojekt, um einen gut verträglichen, potenten Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus in kürzest möglicher Zeit zu entwickeln. Schon drei Monate später werden die ersten klinischen Tests durchgeführt. Im November 2020 teilt Biontech mit, dass der zusammen mit Pfizer entwickelte Coronavirus-Impfstoff eine Wirksamkeit von über 95 % beim Schutz vor der Krankheit COVID-19 biete. Uğur Şahin repräsentiert das Unternehmen nach außen, gibt Erklärungen ab, beantwortet Interviewfragen. Innerhalb des Unternehmens agieren Türeci  und Şahin als ebenbürtige Partner.

Das große Verdienstkreuz und Hall of Fame der deutschen Forschung für Özlem Türeci und Uğur Şahin

Ende Februar 2021 wurde bekannt, dass das Paar für seine Grundlagenforschung und die schnelle Übersetzung in den praktischen Nutzen den Großen Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland erhält. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeichnet Özlem Türeci und Uğur Şahin am 19. März 2021 im Schloss Bellevue mit der höchsten staatlichen Auszeichnung Deutschlands aus. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird anwesend sein.  

Knapp drei Woche später steht zudem fest, dass die beiden Impfpioniere auch in die Hall of Fame der deutschen Forschung berufen werden.

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