Fahrendes Volk, Nomaden und viele weitere Bezeichnungen sind in der Vergangenheit für Sinti*zze und Rom*nja verwendet worden. Warum diese Begriffe nicht zutreffen und was hinter deren Verwendung steckt lohnt sich jedoch zu erkunden.

Nomaden – Nomadismus

Ein Nomade wird im DWDS als ein „Angehöriger eines Hirtenvolkes, Wandervolkes, das innerhalb eines begrenzten Gebietes umherzieht“ beschrieben. In einer etwas weiter gefassten Bedeutung werden dagegen alle Menschen als Nomaden bezeichnet, die häufig ihren Wohnort wechseln beziehungsweise keinen festen Wohnort besitzen.

Nomadismus beschreibt als Sammelbegriff die Wirtschafts- und Gesellschaftsform dieser traditionellen Hirtenvölker aus Wüsten-, Steppen- und Tundra-Gebieten, welche um Weidewirtschaft zu betreiben ihren Standort abhängig vom Zustand der Weiden verändern. Gemeinsamkeiten der vielen verschiedenen Völker lassen sich in den Kulturelementen finden. Dazu gehören die transportablen Unterkünfte, wenige Besitztümer, die ähnliche materielle Kultur und der hohe Stellenwert der Reit- und Zugtiere.

Nomaden in der Mongolei (Wikimedia Commons, Foto: Gabideen)

Unterscheidung zum Fahrenden Volk

Im Gegensatz zu den Nomaden wird das Fahrende Volk unter anderem darüber definiert, das sie regellos umherziehen, also nicht in Abhängigkeit von beispielsweise Weideflächen. Zudem sind die Gruppen, die mit diesem Sammelbegriff bezeichnet wurden, häufig nicht nur aus ökonomischen Gründen mobil geblieben.

Mit dem Begriff des Fahrenden Volks wurde eine ganze Reihe verschiedenster Gruppen mit einer Vielfalt an Tätigkeiten bezeichnet. Was sie jedoch verband, war die Mobilität bzw. Wanderschaft innerhalb einer Region oder eines Landes, um einer (meist Nischen füllenden) Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie hatten einen niedrigen sozialen Stand und waren meist von der jeweils ansässigen Gesellschaft ausgeschlossen. Ihnen wurde zudem eine geringe Schulbildung und Armut zugeschrieben, sowie dass sie von Verbrechen wie Bettelei, Betrug und Diebstahl leben. Vor allem von offizieller behördlicher Seite wurde ihnen mit Misstrauen und Ablehnung begegnet.

Auch Sinti*zze und Rom*nja Gruppen wurden lange Zeit zu den Fahrenden Leuten gezählt.

Migration der Sinti*zze und Rom*nja

Die Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja ist in ihren Einzelheiten nur wenig durch Quellen nachvollziehbar zu machen. Vor allem an Schriftquellen der Gruppen selber mangelt es.

Die Herkunft der in Europa lebenden Sinti*zze und Rom*nja konnte durch sprachwissenschaftliche Forschungen auf Indien beziehungsweise Pakistan festgelegt werden. Durch Wanderungsbewegungen seit dem 8. Jahrhundert über Persien, Kleinasien oder den Kaukasus, Griechenland und den Balkan im 13. und 14. Jahrhundert gelangten sie nach Mittel, Nord- und Westeuropa.

Als Sinti*zze werden vor allem die Gruppen bezeichnet, die Ende des 14. beziehungsweise zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Deutschland und den umliegenden Ländern Mitteleuropas eintrafen. Als Rom*nja dagegen gelten die Gruppen in Ost- und Südosteuropa, die dort seit dem Mittelalter leben. Die Rom*nja kamen im Gegensatz zu den Sinti*zze erst wesentlich später nach Deutschland, ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Wobei die meisten von ihnen erst nach dem Zweiten Weltkrieg migrierten. Unter anderem als Gastarbeiter, Geflüchtete vor dem jugoslawischen Bürgerkriegs oder im Zuge der Erweiterung der EU seit 2000. Heute leben zwischen acht bis zwölf Millionen Sinti*zze und Rom*nja in Europa. Geschätzte 70.000 bis 150.000 davon in Deutschland.

Lange bestand die Sichtweise, dass die andauernde Migration der Sinti*zze und Rom*nja durch eine Art Wandertrieb bedingt war. Die Gründe für die allein bezogen auf Mitteleuropa etwa 500 Jahre andauernden Wanderbewegungen findet man jedoch in der Verfolgung und Vertreibung sowie der Flucht vor Kriegen und wirtschaftlichen Notlagen.

Demonstration von Sinti und Roma am 28. Januar 1983 anlässlich des 50. Jahrestags der Machtergreifung der Nationalsozialisten (Foto: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma)

Gesellschaftliche Stellung und Diskriminierung

Das Sinti*zze und Rom*nja durch Begriffe wie „Nomaden“ und „Fahrendes Volk“ als dauerhaft mobile Außenseitergruppen ohne festen Wohnsitz und mitunter als Bedrohung dargestellt wurden, beruht auf historisch geprägten Ansichten und Klischees. Von vielen werden diese Darstellungen als verletzend empfunden. Denn die mit den Begriffen verbundenen Narrative wurden genutzt, um die ihnen gegenüber gezeigte Diskriminierung und Ausgrenzung zu legitimieren. Jahrhunderte lang waren Sinti*zze und Rom*nja von wirtschaftlichen Notlagen, politischer Verfolgung und Niederlassungsverboten in die Migration gezwungen worden. Nicht aufgrund eines freiwillig oder aus wirtschaftlichen Gründen gewählten Lebensstils.

Die Ablehnung, Diskriminierung und Verfolgungspolitik gegen Sinti*zze und Rom*nja durch die Mehrheitsgesellschaft wird als Antiziganismus bezeichnet. Antiziganismus als Grundhaltung gegenüber Mitgliedern der Sinti*zze und Rom*nja Gruppen ist bis heute durchaus verbreitet. Es werden Bilder auf sie übertragen, die sie verallgemeinernd als kriminell, fremd, faul, primitiv, nomadisch, musikalisch oder frei beschreiben. Diese voreingenommenen Bilder pauschalisieren die vielfältigen Gruppen und befeuern diskriminierende Ansichten. Bis heute besteht so das Bild umherziehender Außenseiter*innen, obwohl aktuelle Studien belegen, dass über 90 Prozent der europäischen Rom*nja einen festen Wohnsitz haben.

Quellen:
https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/nomaden/
https://www.bpb.de/themen/europa/sinti-und-roma-in-europa/179536/ein-unbekanntes-volk-daten-fakten-und-zahlen/#node-content-title-2
https://www.vielfalt-mediathek.de/wp-content/uploads/2023/11/Rassismus-gegen-Romnja-und-Sintizze_Sinti-und-Roma-in-Deutschland.pdf
https://www.dwds.de/wb/Nomade
https://www.tagesspiegel.de/kultur/von-wegen-fahrendes-volk-4605193.html
https://migrations-geschichten.de/sintizze-und-romnja/
https://migrations-geschichten.de/porajmos-anfaenge-und-anerkennung-eines-genozids/
https://referenceworks.brill.com/display/entries/EDNO/SIM-262623.xml
https://dokuzentrum.sintiundroma.de/vermittlung/bildungsportal/
https://www.romarchive.eu/de/voices-of-the-victims/genocide-holocaust-porajmos-samudaripen/
Titelbild: Fahrendes Volk am Rheinufer bei Mainz, um 1900 (Wikimedia Commons, Sunrise 1873)