Dieser Beitrag ist Teil unserer sechsteiligen Sommerserie „Musik in der Migrationsgesellschaft“.

Ab den 1950er Jahre warb das wirtschaftlich schnell wachsende Nachkriegsdeutschland Arbeitskräfte aus Anrainerstaaten des Mittelmeers in die Bundesrepublik. Dieser Migrationsprozess hatte nicht nur Einfluss auf den Arbeitsmarkt, sondern auch auf die Musikindustrie in Deutschland. Musizieren und Musikhören wurde für viele dieser sogenannten „Gastarbeiter“ zu einem wichtigen Bestandteil der Freizeitgestaltung: Schlagerlieder über Migration erinnerten an die Heimat und konnten verbindende Momente zwischen den Menschen schaffen, die als Mitbürger*innen in Deutschland größtenteils unerwünscht blieben.  

Der politische Aspekt der Schlagerlieder

In diesen Liedern ging es jedoch nicht nur um Heimat und den Schmerz des Verlustes. Vor allem auch die oftmals ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Diskriminierungen der “Gastarbeiter” wurden Thema der Musik. Die Schlagerlieder über Migration waren neben emotionalen Aspekten ebenso Ausdruck der Selbstermächtigung und Sozialkritik der Arbeitsmigrant*innen, von denen zu dieser Zeit viele hochpolitisiert waren.  

Im Jahr 1978 erschien zum Beispiel der Song “Deutsche Freunde” des Liedermachers Ozan Ata Canani. In diesem Lied bezieht er sich auf das berühmte Zitat des Schriftstellers Max Frisch: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“. Imran Ayata und Bülent Kullukcu entdeckten das Lied 2013 neu, das für die Compilation „Songs of Gastarbeiter, Vol.1“ von Ata Canani nochmals aufgenommen wurde (Auf das Projekt „Songs of Gastarbeiter“ wird unser nächster Blogbeitrag dieser Reihe noch ausführlicher eingehen). 

Deutsche Freunde

Arbeitskräfte wurde gerufen
Unsere deutsche Freunde
Aber Menschen sind gekommen
Unsere deutsche Freunde
Nicht Maschinen sondern Menschen
Aber Menschen sind gekommen
Unsere deutsche Freunde,
Freunde, Freunde,
Sie haben am Leben Freude
 
Aus Türkei, aus Italien,
aus Portugal, Spanien
Griechenland, Jugoslawien,
Kamen die Menschen hierher
Unsere deutsche Freunde
Kommen die Menschen hierher
Unsere deutsche Freunde,
Freunde, Freunde,
Sie haben am Leben Freude
 
Als Schweißer, als Hilfsarbeiter
Als Drecks- und Müllarbeiter
Stahlbau und Bandarbeiter
Sie nennen uns Gastarbeiter
Unsere deutsche Freunde
Sie nennen uns Gastarbeiter
Unsere deutsche Freunde,
Freunde, Freunde,
Sie haben am Leben Freude
 
Und die Kinder dieser Menschen
Sind geteilt ins zwei Welten
Ich bin Ata und frage euch
Wo wir jetzt hingehören
Unsere deutsche Freunde
Ich bin Ata und frage euch
Wo wir jetzt hingehören
Unsere deutsche Freunde,
Freunde, Freunde,
Sie haben am Leben Freude

Liedtext “Deutsche Freunde” des Liedermachers Ozan Ata Canani https://lyricstranslate.com
Ozan Ata Canani am 16. Juli 2021 im Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Foto: RomanDeckert auf Wikimedia, gemeinfrei.

Kommerzieller Erfolg von Migration und Musik

Migration und Musik – eine Verbindung, die sich in der deutschen Schlagerszene auch als lukrativ herausstellen sollte. Internationale Stars wie die griechischen Sängerinnen Melina Mercouri und Nana Mouskouri sangen ihre Hits unter anderem auch auf Deutsch und mit erkennbarem Akzent. Spätestens mit den Arbeitsmigrant*innen war eine für die Musikindustrie spannende Zielgruppe nach Deutschland gekommen. Alben mit Schlagerliedern über Migration wurden millionenfach verkauft. Deutschsprachige Schlagersänger wie Conny Froboess, Udo Jürgens oder Peter Alexander bedienten sich an Thematik oder dem Stil der „Gastarbeiter*innen“-Musik. Udo Jürgens „Griechischer Wein“ handelt vom Heimweh in die verlassene Heimat und dem sich Fremdfühlen in der neuen Stadt.

Es war schon dunkel, als ich durch Vorstadtstraßen heimwärts ging. 
Da war ein Wirtshaus, aus dem das Licht noch auf den Gehsteig schien. 
Ich hatte Zeit und mir war kalt, drum trat ich ein. 
 
Da saßen Männer mit braunen Augen und mit schwarzem Haar, 
Und aus der Jukebox erklang Musik, die fremd und südlich war. 
Als man mich sah, stand einer auf und lud mich ein. 
 
Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde. 
Komm‘, schenk dir ein und wenn ich dann traurig werde, liegt es daran, 
Dass ich immer träume von daheim; du musst verzeih’n. 
Griechischer Wein, und die altvertrauten Lieder. 
Schenk‘ nochmal ein! Denn ich fühl‘ die Sehnsucht wieder; 
In dieser Stadt werd‘ ich immer nur ein Fremder sein, und allein. 
 
Und dann erzählten sie mir von grünen Hügeln, Meer und Wind, 
Von alten Häusern und jungen Frauen, die alleine sind, 
Und von dem Kind, das seinen Vater noch nie sah. 
 
Sie sagten sich immer wieder: Irgendwann geht es zurück. 
Und das Ersparte genügt zu Hause für ein kleines Glück. 
Und bald denkt keiner mehr daran, wie es hier war. 

Auszug aus Griechischer Wein, Udo Jürgens, 1974

Der melancholische Text traf offensichtlich den Nerv der Zeit: Das Lied landete auf Platz Eins der Hitparade. Kommerziell erfolgreich und ebenfalls auf Platz Eins war zwölf Jahre zuvor der Schlager „Zwei kleine Italiener“ von Conny Froboess von 1962. Die fröhliche Melodie und die Verniedlichung im Titel lassen das Lied zunächst als kitschigen Schlager daherkommen. Bei näherer Betrachtung werden aber auch hier die Motive der Sehnsucht und Einsamkeit deutlich.

Eine Reise in den Süden 
Ist für andre schick und fein 
Doch zwei kleine Italiener 
Möchten gern zuhause sein 
 
Zwei kleine Italiener 
Die träumen von Napoli 
Von Tina und Marina 
Die warten schon lang auf sie 

Zwei kleine Italiener 
Die sind so allein 

Auszug aus „Zwei kleine Italiener“, Conny Froboess, 1962

Die zwei Italiener ohne Namen sehnen sich nach Napoli und nach Tina und Marina, die dort auf sie warten. Vielen und nicht nur italienischen „Gastarbeiter*innen“ wird es ähnlich gegangen sein. Die Sehnsucht nach der Heimat steht hier außerdem im Gegensatz zur Sehnsucht der deutschen „Wirtschaftswunder“-Mehrheitsgesellschaft nach dem beliebten Reiseziel und in die Ferne. Der Refrain des Liedes „Zwei kleine Italiener“ macht diesen – auch gesellschaftlichen – Bruch in Deutschland deutlich. „Eine Reise in den Süden ist für andere schick und fein, doch die beiden Italiener möchten gern zuhause sein.“ 

Schlagerlieder über Migration und die Sehnsucht

Auch abseits der „Songs of Gastarbeiter“ ist das Thema Sehnsucht und Migration in der deutschen Schlagerlandschaft ab den 1960er Jahren ein beliebtes Motiv.

Sehnsucht heißt ein altes Lied der Taiga 
Das schon damals meine Mutter sang 
Sehnsucht lag im Spiel der Balalaika 
Wenn sie abends vor dem Haus erklang 
 
Und heut′ bleiben davon nur noch kurze Träume 
Die in langen Nächten oft vor mir entsteh’n 
Und tausend Ängste, dass ich es versäume 
Die geliebte Taiga noch einmal zu seh′n 
 
Sehnsucht sind die vielen heißen Tränen 
Und die Hoffnung, die im Herzen schwingt 
Sehnsucht liegt noch immer in den Tönen 
Abends, wenn das alte Lied erklingt 
 
Da-dada-da-da-dadada-dei 
Da-dada-da-da-dadada-dei 
 
Die endlosen Steppen und die tiefen Wälder 
Die wie graue Schatten oft vor mir ersteh’n 
Neblige Flüsse, taubedeckte Felder 
Alles möcht‘ ich einmal, einmal wiederseh′n 

Auszug aus „Sehnsucht“ (Das Lied der Taiga), Alexandra, 1968

Alexandra singt in diesem Schlager aus dem Jahr 1967 über die Erinnerungen an ein Leben in der Taiga – und sie singt über die Angst, diese nie wieder zu sehen. Doris Nefedov, der bürgerliche Name der Sängerin, wurde 1942 in Heydekrug in Ostpreußen geboren. Zwei Jahre später floh die Familie vor der Roten Armee über Sachsen nach Schleswig-Holstein. Nach verschiedenen Stationen unter anderem einer Schauspielausbildung bei Margot Höpfner in Hamburg, schaffte Alexandra Mitte der 1960er Jahre den Durchbruch als Sängerin. Alexandra wurde anschließend zum Inbegriff der „Russland-Romantik“. Sie bediente das Bild der Sehnsucht nach einer alten verlorenen Heimat. Eine Sehnsucht, die im Nachkriegsdeutschland viele Menschen teilten.

Die „Wirtschaftwunderdeutschen“ wünschten sich weg aus ihrem Land, ob nach Italien ans Meer oder zurück in längst vergangene Zeiten – bloß weg von der Nazivergangenheit und den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs.

„Exotisierung“ und Klischees

Der Schlager lieferte zu dieser Zeit durch Lieder voller Exotismen und Urlaubsfantasien einen Gegenentwurf zur Realität. Exotismus bezeichnet die „Faszination für das Fremde“, die scheinbar wohlwollend und harmlos daherkommt, aber eng mit Sexismus und rassistischen Handlungs- sowie Denkweisen verknüpft ist. Die Sängerin Dunja Rejter wurde in Zagreb geboren und kam in den 1960er Jahren als Schauspielerin und Sängerin nach Deutschland. Sie besang zum Beispiel mit “Was ist schon dabei” oder “Salem Aleikum” die damals populäre Faszination für das „Exotische“.

Ein weiteres Beispiel dieser „Exotisierung“ ist der Jazz-Musiker Billy Mo, der in den 1960er Jahren zum Schlagerstar wurde. Billy Mo wurde als Peter Mico Joachim auf Trinidad geboren. Mitte der 1940er Jahre kam Billy Mo nach Europa. 1953 promovierte er der Musikhochschule in London, im Jahr darauf arbeitete er als Jazz-Trompeter in Hamburg. Es folgten Auftritte als Schauspieler und Sänger in der deutschen Unterhaltungsindustrie. Der Song “Ich kauf mir lieber einen Tiroler-Hut“ wurde 1962 zum Nummer-eins-Hit und Billy Mo deutschlandweit bekannt.

Aus Las Vegas kam ein Mann
Bot mir tausend Dollar an
Er sagt: „du wirst großer Star“
Doch als ich nach drüben kam
War alles gar nicht wahr

Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut
Der steht mir so gut
Der steht mir so gut
Dann mach‘ ich Sonntag Abend Blasmusik
Immer nur dasselbe Stück

In San Remo reiche Frau
Machte mit mir große Schau
Sagte zu mir: „lieber Bill
Ich nehm‘ dich zum Mann
Doch du musst machen, was ich will“
[…]
Dann kam ich zum Militär
Kinder, war das Leben schwer
Sagte zu mir Corporal
„Wenn du erst Gefreiter bist
Bist du auch General“

Auszug aus „Ich kauf mir lieber einen Tiroler-Hut“, Billy Mo, 1962

Er wurde in der Folge nicht nur auf seinen Hut reduziert, sondern immer wieder auch auf das rassistische Klischee des ungebildeten und dem Alkohol nicht abgeneigten „Frauenhelden“ (unter anderem mit Titeln wie „Herr Wirt, wo ist mein Hut“ oder „Wenn ich die blonde Inge“).

So sehr Migrationsprozesse die Gesellschaft in Deutschland veränderten, veränderten sie auch die (Schlager-)Musik – und andersherum. Schon Mitte der 1960er Jahre habe das gegolten, was wir heute als Globalisierung kennen, sagt der Musikjournalist Klaus Walter in seinen Popstories „Ohne Migration kein Pop“. „Der Markt kennt keine Grenzen, […] gesungen wird dort, wo das meiste Geld fließt“.

Quellen:
„Gastarbeiter“-Musik zwischen Selbstermächtigung und kommerziellem Erfolg. Motivserie: „Migrationsgeschichte in Bildern“, Dokumentationszentrum und Museum für über die Migration in Deutschland e.V.
hr-iNFO Wissenswert · Ohne Migration kein Pop (Teil 4) – Songs of Gastarbeiter: Vom Schlager zum deutschen Rap · Podcast in der ARD Audiothek
Milena Danielzik und Daniel Bendix: Exotismus. „Get into the mystery …“ der Verflechtung von Rassismus und Sexismus, freiburg-postkolonial.de
Jens Balzer: Schmalz und Rebellion – Spiel noch einmal für mich, Habanero (fr.de)

Titelbild: Bild von israel palacio auf Unsplash, gemeinfrei