Jeden Mittwoch laufen die MADGERMANES mit Deutschlandfahnen durch die Straßen der Mosambikanischen Hauptstadt Maputo. Sie machen Lärm mit Trillerpfeifen und singen. Seit über 30 Jahren treffen sie sich einmal die Woche. Sie protestieren gegen das Unrecht, das ihnen widerfahren ist – von ihrer eigenen und der DDR-Regierung.
Mehr als 20.000 Mosambikanerinnen und Mosambikaner lebten und arbeiteten nach 1979 als Vertragsarbeiter in der DDR. Die meisten von ihnen kehrten nach 1989 zurück nach Mosambik. Dort demonstrieren sie bis heute für ihre Rechte. Die in Mosambik oft als MADGERMANES bezeichneten Rückgekehrten wollen aufmerksam machen auf ihre Geschichte.
Eine Film vom Malte Wandel erzählt eindrucksvoll über die Proteste und die Menschen.
MADGERMANES
Anfangs war es eine Fremdbezeichnung in der mosambikanischen Gesellschaft. Sie bezeichnete die zurückgekehrten Vertragsarbeiter. Bald übernahmen diese den Begriff MADGERMANES als Selbstbezeichnung. Einige meinen, der Begriff sei eine Verballhornung von „Made in Germany“. Andere vermuten den Ursprung in der Bantu-Sprache Shangaan. Da bedeutet „Ma German“ „die, die aus Deutschland zurückkommen“.
Doch, wie kam es dazu, dass Mosambikanerinnen und Mosambikaner in die DDR gingen?
Ein Abkommen im „Zeichen der Völkerfreundschaft“
1979 unterzeichneten die Staatschefs der DDR und Mosambik, Erich Honecker und Samora Moisés Machel, ein Abkommen. Inhalt war „die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben in der DDR“. Beschönigt als „Zeichen der Völkerfreundschaft“, sollte der Vertrag den Arbeitskräftemangel in der DDR lindern. Zugleich sollten Arbeiter in Mosambik die Basis für einen industriellen Aufbau schaffen.
Jahrhunderte lang wurde Mosambik durch die portugiesischen Kolonialherren ausgebeutet. Erst 1975 war das afrikanische Land unabhängig geworden. In der DDR ausgebildete Fachkräfte sollten nach ihrer Rückkehr die Wirtschaft Mosambiks voranbringen.
Doch eines wussten die Vertragsarbeiter nicht. Mit ihrer Arbeit sollten sie auch einen Teil von Mosambiks Schulden abstottern. Die DDR hatte den Handel mit dem jungen afrikanischen Staat begonnen, um begehrte Devisen zu beschaffen. Mosambik war jedoch ab 1977 Schauplatz eines blutigen Bürgerkriegs. Das Land konnte nicht zahlen. So sollten die Vertragsarbeiter das Minus ausgleichen.
Leere Versprechungen und leere Konten
Von den etwa 17.000 mosambikanischen Vertragsarbeitern erlebten viele in der DDR Ausgrenzung und Rassismus. Statt der versprochenen Qualifikation wurden sie häufig nur als billige Fabrikarbeitskräfte eingesetzt. Und: Ein Teil ihres Lohns – zwischen 25 und 60 Prozent oberhalb eines Sockelbetrags von 350 DDR-Mark – wurde einbehalten. Mit dem Versprechen, es werde auf ein Konto eingezahlt. Auf dieses Konto sollten sie nach ihrer Rückkehr in Mosambik zurückgreifen können.
Doch als sie nach 1989 zurückgeschickt wurden, waren die meisten dieser Konten leer. Auch ihre Renten, in die sie eingezahlt hatten, erhielten sie nie. Insgesamt wurden die Vertragsarbeiter Schätzungen zufolge um fast 600 Millionen Euro betrogen.
Fehler im Einigungsvertrag
Im Einigungsvertrag von 1991 ist das Thema vollkommen ausgeklammert worden. Auch die Gewerkschaften, die Reste des FDGB und auch der DGB, setzten sich nicht für diese Menschen ein. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wo das Geld einbehalten wurde. Das Auswärtige Amt gibt an, dass alle ausstehenden Gelder nach Mosambik geflossen seien. Dies wurde von der mosambikanischen Botschaft bestätigt. Damit sei das Problem innermosambikanisch, so die Bundesregierung.
„Man muss letztlich sagen, dass das niemanden interessiert hat. Sie waren letztlich ein Opfer der Wiedervereinigung.“ sagt die Historikerin Christine Bartlitz.
Wissenschaftler sehen ethische Verantwortung
Dr. Christine Bartlitz vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam beschäftigt sich vor allem mit Fotoarchiven. Auf einer Tagung sah sie zum ersten Mal eine Sammlung mit Aufnahmen der mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR. Vor allem Privatfotos, die sie nach Hause geschickt hatten. Die Fots zeigen sie als stolze Arbeiterinnen und Arbeiter im sozialistischen Bruderland. Bartlitz war begeistert von den Fotos. Sie sind eine wertvolle Quelle für Historiker. Gleichzeitig kamen aber auch Fragen unter den Wissenschaftlern auf. Erwächst aus der Forschung am Schicksal der sogenannten MADGERMANES nicht auch eine ethische Verantwortung?
„Und wir können jetzt als Historikerinnen und Historiker einfach nur sagen, toll, wir nutzen diese Fotos, dann machen wir unsere Forschungsprojekte, schreiben unsere Bücher, aber was mit den Menschen ist, das kümmert uns nicht.“
Christine Bartlitz in: Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR, Deutschlandfunk, 13.4.2021.
Offener Brief an die Bundesregierung. Für Entschädigungszahlungen an die sogenannten MADGERMANES
Die Bundesregierung sieht das Thema als abgegolten an. Es sei eine „innermosambikanische Angelegenheit“. Das genügt nicht, sagen die Betroffenen – und nun auch rund 100 Wissenschaftler. Christine Bartlitz initiierte gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabel Enzenbach von der TU Berlin einen offenen Brief an die Bundesregierung. Rund hunderte Historikerinnen und Historiker der DDR-, Zeit- und Migrationsforschung unterzeichneten das Schreiben.
„Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist es überfällig, das Unrecht, das diese Menschen erlitten haben, anzuerkennen und finanzielle Entschädigung zu leisten“, heißt es in dem offenen Brief. Ende Mai dieses Jahres wurde er an die Bundesregierung übergeben.
Updates über weitere Entwicklungen aufgrund des offenen Briefes bekommst Du hier.