Wenn wir Menschen unsere Heimat verlassen, um uns an einem anderen Ort niederzulassen, reisen wir nie ohne Gepäck. Die Orte, in denen wir aufwachsen, die Personen, die uns geprägt haben, begleiten uns: Oft in Form von Gegenständen und den damit verbundenen Erinnerungen. In diesen Beiträgen erzählen Menschen über die Gegenstände, die sie mit ihrer Heimat verbinden. Heute berichtet Asmae D. von ihrem “Mitbringsel” aus Marokko.

Zuwanderungsgeschichten

Kaum eine andere Stadt in Deutschland ist so durch das Thema Migration geprägt wie Wolfsburg. Den Gegenständen, die die Zuwanderungsgeschichten hinterlassen haben, widmete sich das “Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation” in Wolfsburg.

Die Autoren Alexander Kraus und Aleksandar Nedelkovski veröffentlichten die entstandenen Interviews in ihrem Sammelband: Mitgebracht. Eine Zuwanderungsgeschichte Wolfsburgs.

Eine Tajine aus Marokko – Asmae D. erinnert sich

Asmae D.s Tajine aus Marokko erinnert sie an gemeinsame Essen mit ihrer Familie. Foto: Ansgar Wilkendorf

Dies ist meine Tajine, ein traditioneller Garer aus den Maghreb-Staaten. Meist wird darin Fleisch, Fisch oder Gemüse gegart, das anschließend mit den unterschiedlichsten Gewürzen wie Pfeffer, Salz, Kurkuma oder Ingwer verfeinert wird.

Gemüse mit Hähnchenfleisch

Ich persönlich liebe den besonderen Geschmack von Gemüse mit Hähnchenfleisch und Gewürzen. All diese Gerichte werden bei niedriger Hitze gegart, was insbesondere dann wichtig ist, wenn Holzkohle verwendet wird. Andernfalls wird das Essen in der Tajine verkocht.

Am Wochenende

In Marokko steht die Tajine für die besonderen Köstlichkeiten des Landes. Einst wurde der Garer in marokkanischen Familien nahezu jeden Tag verwendet, heute jedoch fehlt vielen Familien arbeitsbedingt die Zeit dazu. Aus diesem Grund kommt das aus Lehm gebrannte Schmorgefäß meist an Wochenenden, bei Familienbesuchen oder anlässlich größerer Feste zum Einsatz, häufig zu Anlässen, an denen die gesamte Familie zusammenkommt.

In der Mitte des Tisches

Sobald sich alle Familienmitglieder zum Essen eingefunden haben, wird die Tajine in der Mitte des Tisches platziert – eine weitere Besonderheit, denn in Marokko wird das Essen nicht einzeln auf Tellern serviert, vielmehr bedient sich ein jeder mit den Händen oder mit Brot direkt aus der großen Tajine.

Frische Zutaten

Bereite ich hier in Wolfsburg etwas in meiner Tajine zu, so achte ich darauf, allein frische Lebensmittel zu verwenden. Ich gehe schon am Morgen auf den Markt oder in den Supermarkt, um die Zutaten möglichst frisch zu kaufen.

Gewürze aus der Heimat

Dennoch schmecken die hier in Wolfsburg zubereiteten Gerichte aus meiner Tajine nicht immer so wie in Marokko, weshalb ich bei meinen Besuchen in meinem Heimatland oft Gewürze einkaufe. Zwei- bis dreimal im Jahr bringe ich mir bestimmt zweihundert Gramm von diesem und zweihundert Gramm von jenem Gewürz mit, meist in einem zusätzlichen Koffer.

Die Wärme der Familie spüren – auch in Deutschland

Und es gibt noch einen weiteren Unterschied: In Marokko kommt mittags oder abends in der Regel die gesamte Familie zusammen, um gemeinsam zu essen, hier in Wolfsburg sind es allein mein Mann und ich. Gelegentlich lade ich natürlich auch Freundinnen zum Essen ein, aber auch das ist hier anders als in Marokko.

Als ich vor etwas mehr als vier Jahren mein Heimatland verließ, packte mir meine Mutter diesen Tajine-Garer ein, da sie wusste, wie sehr ich das mit ihr zubereitete Essen liebe. Zudem war auch mir bewusst, dass ich hier in Wolfsburg kein solches Schmorgefäß bekommen würde.

Ich habe die Tajine mit nach Deutschland gebracht, weil ich durch sie beim Essen mit meinem Mann die Wärme der Familie spüre. So erinnere ich mich an meine gesamte Familie, meine Mutter, meinen Vater und meine Geschwister. 

Die Verfasser

Der vorliegende Geschichte zum Land Marokko entstammt dem Band: Alexander Kraus, Aleksandar Nedelkovski (Hg.), Mitgebracht, Eine Zuwanderungsgeschichte Wolfsburgs. ecrivir Verlag, Hannover 2020. Er wurde in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation” der Stadt Wolfsburg an dieser Stelle veröffentlicht.

Die Interviews wurden durch Aleksandar Nedelkovski geführt, die Texte wurden von Alexander Krausverfasst. Das Foto der Tajine nahm der Fotograf Ansgar Wilkendorf auf.

Über den Autor

Michèle W.

Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin.

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