Wenig wissen die meisten Deutschen über die mehr als 20.000 Menschen aus Mosambik, die zwischen 1979 und 1989 aufgrund binationaler Verträge als sogenannte Vertragsarbeiter in die DDR kamen. 1989 waren immerhin etwa 16.000 von ihnen noch im Land. Birgit Weyhe hat den Geschichten dieser Menschen in ihrer Graphic Novel „Madgermanes“ nachgespürt.

Wer sind die ehemaligen Vertragsarbeiter und Madgermanes?

Die Vertragsarbeiter aus Mosambik sind quasi Opfer eines Betrugs geworden. Sie kamen auf Basis des Versprechens, sie würden in der DDR eine Ausbildung erhalten. Letztlich sind sie aber nur für manuelle Hilfsarbeiten eingesetzt worden. Zudem zahlte man ihnen in der DDR nur einen Teil des Lohns aus, den Rest sollten sie nach der Rückkehr in Mosambik erhalten. Dort ist ihnen aber nichts mehr ausgezahlt worden.

Madgermanes war anfangs eine Fremdbezeichnung in der mosambikanischen Gesellschaft. Sie bezeichnete die zurückgekehrten Vertragsarbeiter. Bald übernahmen diese den Begriff MADGERMANES als Selbstbezeichnung. Einige meinen, der Begriff sei eine Verballhornung von „Made in Germany“. Andere vermuten den Ursprung in der Bantu-Sprache Shangaan. Da bedeutet „Ma German“ „die, die aus Deutschland zurückkommen“.

Verflochtene Lebensgeschichten

In der Graphic Novel beschreibt Weyhe drei miteinander verflochtene Lebensgeschichten. Es handelt sich um die beiden Männer Basilio und José und die Frau Anabella. Alle drei kommen in dem Buch als sehr junge Erwachsene in die DDR. Sie lernen sich kennen und im Fall von Anabella und José auch lieben. Dabei handelt handelt es sich, so Weyhe, um eine fiktionale Geschichte. Ihre Protagonisten hat sie auf der Basis von eigenen Recherchen und Interviews erfunden. Dabei ging es ihr darum, drei Prototypen zu schaffen.

Nacheinander erzählt Weyhe die drei Biografien, entblättert Schicht für Schicht die persönlichen Details und geschichtlichen Zusammenhänge. Sie erzählt von kultureller Identität und neuen Welten, von Ablehnung und Anpassung, vom mehr oder weniger offenen Rassismus durch die deutsche Bevölkerung, aber auch von guten und fruchtbaren Begegnungen mit Deutschen – wobei das für José (Toni), Basilio und Anabella jeweils etwas anderes bedeutet.

Blick in das Buch MADGERMANES von Birgit Weyhe, S. 17.

Rückkehr nach Mosambik

Zwei der Figuren im Buch kehrten nach Mosambik zurück, haben aber im Land ihrer Geburt nicht mehr Fuß fassen können – so, wie es auch in der Realität einigen Madgermanes erging. Sie kamen quasi mit leeren Händen zurück. Für die zurückgebliebenen Großfamilien war das schwer verständlich. Zwar haben die Rückkehrer einige Konsumgüter mitgebracht, doch ihre erwirtschafteten Reichtümer waren verschwunden, weil der Mosambikanische Staat sie inoffiziell behielt. Sie konnten ihren Reichtum also nicht teilen. Ihnen wurde nun vorgeworfen, sich vor dem Bürgerkrieg gedrückt zu haben und alles Geld alleine verprasst zu haben, während die Daheimgebliebenen leiden mussten.

Zusätzlich hatte sich der Blick der Heimkehrer auf die Heimat verändert. Dinge, die nach dem verheerenden Bürgerkrieg in Mosambik Luxus waren, erschienen den Heimgekehrten als selbstverständlich – etwa fließendes Wasser und Stromversorgung. In der Folge wurden als arrogant wahrgenommen.

Vielseitige Bildebenen

Die Bildebene gestaltet die Künstlerin Birgit Weyhe vielseitig. Die recht harten, farbarmen Zeichnungen aus dem Alltag der Madgermanes durchbricht sie mit zahlreichen grafischen Elementen. Einerseits sind das Zeitdokumente aus der DDR und Mosambik: Briefmarken, Filmplakate, Wappen, Abzeichen, Markenprodukte. Andererseits aber auch illustrative Bilder von hoher assoziativer Kraft: Tiere, Blumen, Muster. Immer wieder findet Birgit Weyhe Wege, Stimmungen und Gefühle zu illustrieren, variiert Zeichenstile und Auftragstechnik. Dass sie dabei auch Anleihen an afrikanische Motiviken macht, erklärt sich nicht allein aus dem Stoff von MADGERMANES: Birgit Weyhe selbst hat ihre Kindheit in Uganda und Kenia verbracht.

Komplexität und Vielschichtigkeit der Welt in der Graphic Novel

Die Graphic Novel MADGERMANES hat die Funktion des dokumentarisch-graphischen Erzählens. Nebeneinander werden mehrere Geschichten eines historisch Geschehens für die Leserinnen und Leser denkbar und lesbar gemacht.

„Den Blick auf die verschiedenen Lebensspuren, der sich auch in den Problematiken der Migration abzeichnet, findet man nicht nur in Dialogen zwischen den Figuren, sondern auch in der Montage von Warnschildern oder symbolisch ausgeführten Aufforderungen sowie Verboten. In Amtssprache wird klargestellt oder eben symbolisch dargestellt, was die mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR zu tun und zu unterlassen haben. So werden zum Beispiel in einem Panel hellhäutige Frauen mit einem fett ausgeführten Kreuz durchgestrichen.“ (Peter Rinnerthaler: Die Ästhetik der Vermittlung, S. 124.)

Die Graphic Novel MADGERMANES ist erschienen im avant-verlag und kann dort auch bestellt werden.

Text & Zeichnung: Birgit Weyhe

Veröffentlichung: Mai 2016

240 Seiten, Klappenbroschur, 17 x 24 cm

ISBN: 978-3-945034-42-2

24,95 €, inkl. MwSt, zzgl. Versandkosten

Für ihr Buchprojekt Madgermanes, erhielt Birgit Weyhe 2015 als erste Künstlerin den höchstdotierten deutschen Comicpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung und die Auszeichnung als „Bester deutscher Comic“ beim Max-und-Moritz-Preis. 

Buchcover MADGERMANES

Quellen:

https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/235690/sie-kamen-quasi-mit-leeren-haenden-zurueck/

https://phbl-opus.phlb.de/frontdoor/deliver/index/docId/571/file/Jahrbuch_GKJF_2017_114-129_Rinnerthaler.pdf

https://www.fluter.de/comic-madgermanes-ddr-vertragsarbeiter-mosambik

Titelbild: Darstellung aus „Magermanes“ von Birgit Weyhe,

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arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Der Begriff SEITEN:BLICK steht für die Blicke, die wir links, rechts und hinter "die Dinge" werfen wollen.

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