Wenn wir Menschen unsere Heimat verlassen, um uns an einem anderen Ort niederzulassen, reisen wir nie ohne Gepäck. Die Orte, in denen wir aufwachsen, die Personen, die uns geprägt haben, begleiten uns: Oft in Form von Gegenständen und den damit verbundenen Erinnerungen. In diesen Beiträgen erzählen Menschen über die Gegenstände, die sie mit ihrer Heimat verbinden.

Zuwanderungsgeschichten

Kaum eine andere Stadt in Deutschland ist so durch das Thema Migration geprägt wie Wolfsburg. Den Gegenständen, die die Zuwanderungsgeschichten hinterlassen haben, widmete sich das „Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation“ in Wolfsburg.

Die Autoren Alexander Kraus und Aleksandar Nedelkovski veröffentlichten die entstandenen Interviews in ihrem Sammelband: Mitgebracht. Eine Zuwanderungsgeschichte Wolfsburgs.

Iran: Die Schuhe – Mojtaba K. erinnert sich

Für Mojtaba K. bedeuten seine Schuhe auch traurige Erinnerungen. Foto: Ansgar Wilkendorf

Ich komme aus Iran, in dem wir Kurden nach wie vor kulturell und politisch unterdrückt werden. Als die politischen Spannungen wieder größer wurden, musste ich mein Land für immer verlassen und bin zunächst für etwa drei, vier Jahre in die Autonome Region Kurdistan geflüchtet. Sie ist Teil des Iraks.

Dort kommen viele Menschen aus den kurdischen Siedlungsgebieten hin, so unter anderem auch aus Syrien oder eben Iran. Doch ist es der dortigen Verwaltung nicht einfach möglich, allen Ankommenden Papiere auszuhändigen und ihnen den Aufenthalt zu gestatten.

Der Weg nach Deutschland

In dieser Zeit, 2015, habe ich im Fernsehen gesehen, dass sich viele Menschen auf den Weg nach Deutschland machen. Mir wurde gesagt, es sei gerade eine gute Gelegenheit, da es sich abzeichnete, dass ich auch in der Autonomen Region Kurdistan ohne Perspektive bleiben würde.

Mein Weg führte mich dann über die Türkei und Griechenland nach Mazedonien, von dort bin ich dann mit Bussen und Zügen weitergereist. Mir war es damals fast egal, in welches Land ich kommen würde, da klar war und mir immer wieder versichert wurde, dass ich nicht bleiben könne und wieder weg müsse. Angekommen bin ich dann zunächst in einem Asylheim im Harz, drei Monate später habe ich einen Platz in Wolfsburg bekommen.

Diese Schuhe habe ich mir zusammen mit warmer Kleidung noch im Irak in einem Gebrauchtwarenladen gekauft, da mir von den harten Wintern in Europa erzählt wurde. Ich trug sie während meiner Reise die ganze Zeit – sie haben mich vor der Kälte geschützt.

Heute erinnern mich Schuhe wie Kleidung an meine Geschichte, aber es ist ein trauriges Erinnern, denn um jetzt hier sein zu können, musste ich meine Familie und mein Land verlassen. Daher möchte ich diese Schuhe wie auch die anderen Kleidungsstücke im Grunde nicht mehr behalten.

Die Verfasser

Der vorliegende Text entstammt dem Band: Alexander Kraus, Aleksandar Nedelkovski (Hg.), Mitgebracht, Eine Zuwanderungsgeschichte Wolfsburgs. ecrivir Verlag, Hannover 2020. Er wurde in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation“ der Stadt Wolfsburg an dieser Stelle veröffentlicht.

Die Interviews wurden durch Aleksandar Nedelkovski geführt, die Texte wurden von Alexander Kraus verfasst. Das Foto der Schuhe nahm der Fotograf Ansgar Wilkendorf auf.

Über den Autor

Michèle W.

Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin.

Alle Artikel anzeigen