Die Dokuserie „Baseballschlägerjahre“ zeichnet Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt nach. Dadurch werden Perspektiven übernommen, die ein anderes Licht auf die Wendezeit werfen.

Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte

Ich wurde Anfang der 1990er Jahre im Westen geboren. Das Bild, das ich mir von der Wende lange machte, ist recht einfach beschreibbar: Im Vordergrund befinden sich vor Glück weinende Menschen, die in Schwarz-Rot-Gold gehüllt zu „Wind of Change“ auf den Überresten eines diktatorischen Regimes tanzen. Und im Hintergrund fliegen Sektkorken und Raketen über dem Brandenburger Tor herum. Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Ein Freudentaumel, der vielen Zeitzeug:innen unwirklich vorgekommen sein muss. Dieses Bild wurde jahrelang bei Jubiläumsveranstaltungen nachgezeichnet und in Fernsehdokus mit Farbe gefüllt. Staatsmänner flimmern über den Schirm, loben den Mut der Menschen und betonen schmunzelnd ihre eigenen Heldentaten auf dem diplomatischen Parkett. Neuerdings wird zwar auch die Lebensleistung der Ostdeutschen im harten Nachgang der Wende gewürdigt. Somit erscheint die bunte, nationale Erfolgsgeschichte zwar etwas verblasst. Dennoch steht fest: Ein Baseballschläger hatte auf dem naiven Bild, das ich vor meinem inneren Auge lange zeichnete, keinen festen Platz.

Erschreckendes Gegenbild

Andere haben bei der Erinnerung an ihre Neunziger und frühen Nuller aber genau den vor Augen. Ende Oktober 2019 rief der Journalist und Zeit-Autor, Christian Bangel, auf twitter dazu auf, über die Erfahrungen der „Baseballschlägerjahre“ zu berichten. Er schien einen wunden Punkt zu treffen. Damals erschuf Bangel den Begriff, der eben auch zum Bild der Wendezeit gehört. Der Schläger steht dabei sicherlich nicht für ein Gerät im US-Sport. Vielmehr ist er Symbol für eine Zeit, die in Teilen Deutschlands von rechtsfreien Räumen tief geprägt wurde. Räume in denen Neonazis unbehelligt von Polizei und Justiz das Recht des Stärkeren zelebrierten. Dies war nicht nur, aber vor allem in Ostdeutschland möglich. Eine Zeit voller brutaler, rassistischer Gewalt, die sich auf der Straße vornehmlich gegen Migrant:innen und Angehörige alternativer Jugendszenen richtete. Währenddessen wurde im Parlament in einer der „schärfsten, polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte“ (Ulrich Herbert) um den „Asylkompromiss“ gestritten. Der Baseballschläger ist ein Gegenbild zum nationalen Freudentaumel der Mehrheitsgesellschaft. Er ergänzt die Meistererzählung um schockierende Details in Form von Bomberjacke, Hitlergruß und rasant steigenden Todesopfern rechter Gewalt.

#baseballschlägerjahre

Dieses Gegenbild wurde durch hunderte Zeitzeug:innen aus Ost und West entworfen. Sie berichteten nach Bangels Aufruf unter dem Hashtag „Baseballschlägerjahre“ auf eindrückliche Weise von ihrem Alltag voller rechter Gewalt, Angst, Demütigung, Ohnmacht und Notwehr. RBB und Zeit Online haben knapp ein Jahr nach der Welle von Erlebnisberichten die Doku-Reihe „Baseballschlägerjahre – Die Wendegeneration und rechte Gewalt“ produziert. Dabei werden die Zuschauer:innen in sechs 15-minütigen Clips von Zeitzeug:innen zu persönlichen Erinnerungen und Orten der Neunziger geführt. Dabei gelingt der Serie auf beeindruckende Weise der Bogenschlag zur Gegenwart. Denn sie ordnet die Gewalt und den staatlichen sowie persönlichen Umgang damit in einen breiteren Kontext ein. Zu sehen ist unter anderem der „Namensgeber“ Christian Bangel, der über seine Jugendzeit in Frankfurt (Oder) spricht. Aus Magdeburg wird von tödlichen Gewaltexzessen der rechtsextremen Szene sowie fehlerhaften, staatlichen Gegenstrategien berichtet. Ein Freund eines Ermordeten sagt: „Es hat einfach niemanden interessiert.“

Migrantische Perspektiven

Ziel der Attacken waren seit jeher auch Migrant:innen. Ein trauriges Beispiel von vielen: Der Fall Amadeu Antonio. Er kam 1987 als Vertragsarbeiter aus Angola in die DDR. Der antifaschistische Mythos auf dem Papier sorgte nicht für eine antirassistische Haltung im Kopf. Amadeu Antonio wurde im Dezember 1990 von Neonazis getötet.  Ehemalige Kollegen und Freunde berichten in der Kurzdoku von ihren Erfahrungen in abgesonderten Vertragsarbeiterunterkünften. Sie erzählen von Hass, Gewalt und Gleichgültigkeit nach der Wende und warum sie trotzdem blieben. Auch Nguyen Dinh Khoi aus Rostock blieb und wehrte sich – trotz Erniedrigungen und Schlägen. Der selbsternannte „Fischkopp“ hat lange nicht darüber gesprochen und ist sich im Gespräch mit seiner Tochter sicher: „Ich bleibe. Warum soll die dunkle Zeit zurückkommen?“ Es sind diese persönlichen Einblicke und Schilderungen, von Migrant:innen sowie anderen Betroffenen rechtsextremer Gewalt, die überfällig sind, in das Gesamtbild aufgenommen zu werden. Der Baseballschläger ist keine Randerscheinung. Er sollte in der Bildmitte angekommen sein.

Einen Printbeitrag über die Baseballschlägerjahre des Journalisten und Autors Christian Bangel finden Sie online in DIE ZEIT

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Über den Autor

Thomas S.

Thomas S. studiert Geschichtswissenschaften in Berlin und ist studentische Hilfskraft bei Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V

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