Im Herbst 1916 kamen 7.000 griechische Soldaten, darunter 430 Offiziere, im sächsischen Görlitz an. Auf diese Weise hatte Kaiser Wilhelm seinem Schwager, dem griechischen König Konstantin, geholfen, ein Armeecorps vor den Alliierten im Ersten Weltkrieg in Sicherheit zu bringen.

Irrungen und Wirrungen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs

Der griechische König Konstantin I., der mit einer Schwester von Kaiser Wilhelm II. verheiratet war, sympathisierte währen des Krieges mit dem deutschen Kaiserreich. Die Regierung in Athen unter Eleftherios Venizelos hielt es jedoch mit den Alliierten Großbritannien und Frankreich.

Die Spannungen wurden angeheizt, als bulgarische Truppen (mit Zustimmung Berlins) in Griechenland einmarschierten – obwohl der deutsche Botschafter in Athen den Griechen zugesichert hatte, die Souveränität ihres neutralen Landes werde gewahrt. Im östlichen Makedonien geriet daraufhin das dortige IV. Griechische Armeekorps in höchste Bedrängnis. Die Lage spitzte sich derart zu, dass Korps-Kommandant Oberst Ioannis Chatzopoulos auf eine ungewöhnliche Idee kam.

Um der Gefangennahme zu entgehen, wandte er sich an Generalfeldmarschall Hindenburg und fragte, ob es möglich sei, das gesamte Korps samt Waffen nach Deutschland zu überführen und seinen Aufenthalt bis Kriegsende zu sichern. Andernfalls wolle man sich in Thessaloniki, wo Venizelos eine Gegenregierung geschaffen hatte, den Briten ergeben.

Hindenburg stimmt zu

So beginnt der Abmarsch aus Kavala nach Norden. Zwischen 15. und 27. September 1916 machen sich 6.100 Soldaten und 430 Offiziere in zehn Eisenbahnzügen auf den Weg nach Görlitz. Dort gibt es Platz in einer leeren Kaserne. Sogar Gebirgskanonen haben die Griechen dabei. Die Offiziere bringen auch Frauen und Kinder mit.

Willkommenskultur in Görlitz

Der Empfang in Görlitz ist ausgesprochen herzlich, Willkommenskultur mitten im Weltkrieg. Girlanden und Transparente mit der Aufschrift „Xairete“ (Seid gegrüßt) hängen bereit. Eine Militärkapelle spielt.

Görlitz stellt sich auf die Gäste ein. Die Wirtshäuser wetteifern mit griechischen Speisekarten um das neue Publikum. Die Offiziere bekommen schließlich ihren Sold weiter. Abends müssen die einfachen Soldaten zurück in die Kaserne, während die Offiziere privat wohnen dürfen. Die deutsche Heeresleitung und die Regierung stellt aus einem eigenen „Griechenfonds“ gut zehn Millionen Mark zur Verfügung. Innerhalb kürzester Zeit verändern die Griechen das Bild der Kleinstadt an der Neiße. Die Bevölkerung ist begeistert.

Griechen von Görlitz werden zum Studienobjekt

Im Juli 1917 reist die Königlich-Preußische Phonographische Kommission nach Görlitz. Die Wissenschaftler verfolgen die Vision eines Stimmenmuseums der Völker. Musik ließ sich bereits auf Schellackplatten und Wachswalzen bannen. Die Aufnahme findet im Geheimen statt. So singen und spielen die Griechen in Görlitz für ein Lautarchiv, das noch heute besteht, in der Humboldt-Universität in Berlin. Bis heute dokumentieren 140 Schellackplatten die Lieder und Geschichten der Griechen. Erhalten hat sich die wohl weltweit erste Aufnahme einer Bouzouki.

Die Griechen richten sich in Görlitz ein

Zeitung für die griechischen Gäste in Görlitz

Täglich erscheint eine Zeitung in griechischer Sprache. Für die Ladenbesitzer sind die Gäste willkommene Kunden, werden sie doch aus dem deutschen „Griechenfonds“ ordentlich besoldet. In der Gaststätte „Drei Raben“ wird griechischer Wein offeriert, und die Görlitzer Damenwelt, ist von den jungen Soldaten fasziniert. Zahlreiche Heiraten sind dokumentiert.

Ein deutscher Professor gibt Sprachunterricht und sammelte zahlreiche Lieder und andere griechische Überlieferungen. Mehrere Tausend Griechen arbeiten in der Landwirtschaft und in der Industrie. Offenbar erhalten sie die gleichen Löhne wie ihre deutschen Kollegen.

Doch nach der Kriegserklärung Griechenlands an die Mittelmächte Ende Juni 1917 und der Abdankung König Konstantins verändert sich die Lage. „Venizelistische“ Offiziere werden gefangen genommen, Soldaten zum Arbeitsdienst verpflichtet.

Und wie geht es nach dem Kriegsende mit den Griechen von Görlitz weiter?

Nach Kriegsende kehren die meisten Griechen in ihre Heimat zurück. Dort wird ihnen nicht selten der Prozess gemacht. Offiziere werden entlassen oder gar verbannt. Etwa 200 Griechen bleiben in Görlitz und gründen Familien. 133 werden zwischen 1916 und 1923 auf dem städtischen Friedhof beerdigt, die meisten sterben an der Spanischen Grippe. Seit 2014 erinnern zwei Grabplatten an ihre Namen, seit 2016 ein Denkmal.

Übrigens:

Nach 1949 kommen wieder Griechen nach Görlitz oder besser: in seinen nunmehr polnischen Stadtteil Zgorzelec auf der östlichen Seite der Neiße. Es handelt sich um kommunistische Flüchtlinge aus dem griechischen Bürgerkrieg. Die meisten bleiben bis zum Ende der Obristenherrschaft in Griechenland 1974 in der Stadt.

Und wer mehr über die Görlitzer Griechen erfahren möchte, dem sei dieses Buch empfohlen: Gerassimos Alexatos: Die Griechen von Görlitz 1916–1919, Berlin 2017.

Verlag Frank & Timme GmbH, 232 Seiten, Payperback,

ISBN 978-3-7329-0414-3

Titelfoto: Blick von der Neiße auf die Altstadt von Görlitz und die Pfarrkirche St. Peter und Paul. Foto: privat 

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