Am Rande der Altstadt der sächsischen Bergstadt Freiberg, zwischen Dresden und Chemnitz, liegt ein ungewöhnlicher Friedhof. Gleich am Eingang steht eine Gedenktafel aus Bronze. „Auf diesem Friedhof fanden 1375 Männer, Frauen und Kinder aus Ost-Preußen, Pommern, Schlesien und Sudetenland ihre letzte Ruhestätte. Ihr Schicksal bleibt unvergessen.“ Der sogenannte Vertriebenenfriedhof.

Eingang zum Vertriebenenfriedhof Freiberg. Foto: RW

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen sie aus Schlesien oder Ostpreußen

Nach dem Ende des Zeiten Weltkrieges fand rund eine halbe Million Flüchtlinge und Vertriebene Zuflucht in Sachsen. Sie kamen aus den ehemaligen Ostgebieten, wie z.B. Schlesien und Ostpreußen. Fast jeder Einwohner in Sachsen hat Vorfahren, die geflohen sind oder vertrieben wurden. Fluchterfahrung ist quasi Teil vieler Familienbiografien. Nicht immer herzlich fiel damals die Aufnahme durch die einheimische Bevölkerung aus.

Allein Freiberg, eine Stadt mit damals rund 40.000 Einwohnern, wurde nach 1945 von 72.000 Vertriebenen durchlaufen. Am 20. August 1945 zählte man in der Bergstadt Freiberg 35.609 Flüchtlinge. Einige zogen weiter, andere blieben. Untergebracht wurden sie in Schulen und anderen Einrichtungen. Mehre Tausend wurden damals eingebürgert und haben in Freiberg über Jahrzehnte gelebt und gearbeitet.

Und die, die vor Entkräftung von den Strapazen der Flucht, aus Krankheit oder vielleicht aus Kummer um die verlorene Heimat starben, fanden auf diesem Friedhof am Rande der Stadt ihre letzte Ruhestätte. Gleich neben dem Donatsfriedhof. Dieser wurde Anfang des 16. Jahrhunderts außerhalb der Stadtmauer als Pestfriedhof angelegt. Ab 1987 nutzte man ihn nur noch vereinzelt .

Der Vertriebenenfriedhof zu DDR-Zeiten

In der DDR waren die Vertriebenen ein weitgehendes Tabuthema. So wurde versucht, durch Assimilation der Vertriebenen alle Erinnerungen an die alte Heimat zu unterdrücken – aus Angst vor Revanchismus, der sich gegen die neuen osteuropäischen Verbündeten gerichtet hätte. Nachbarstaaten wie Polen und Tschechien sollten als „Bruderstaaten“ und nicht als Vertreiber der deutschen Bevölkerung betrachtet werden. Öffentliches Sprechen über Heimat, Vertreibung und Flucht war in der SBZ und DDR tabu

Darum wurden die Gräber auf dem Freiberger Vertriebenenfriedhof in der DDR einfach eingeebnet. Die politische Führung der DDR stellte das öffentliche Erinnern und Bekennen der Vertrieben zu ihrer alten Heimat unter Strafe. Seit dieser Zeit lag ein jahrzehntelanges Schweigen über diesen Gräbern in Freiberg. Kein Grabhügel erinnerte mehr an die Toten.

Neue Erinnerung auf dem Vertriebenenfriedhof Freiberg nach 1989

Nach dem End der DDR und der Wiedervereinigung 1990 formierten sich auch im Osten Deutschlands die Heimatvertriebenen. Sie machten Ihre verborgenen Erinnerungen und Orte sichtbar. Bereits am 24. April 1993 weihten die Heimatvertriebenen in Freiberg den ,,Stein der Mahnung“ auf dem Donatsfriedhof, dem heuten Vertriebenenfriedhof, ein. Am 14. September 2002 fand die Einweihung des dreiteiligen Gedenksteines aus schlesischem Granit statt. Neben dem ,,Stein der Mahnung“ enthält der linke Stein den Text: ,,Ihr Schicksal bleibt unvergessen: Auf diesem Friedhof fanden 1375 Männer, Frauen und Kinder aus Ost – Westpreußen,
Pommern, Schlesien und Sudetenland ihre letzte Ruhestätte.“ Der rechte Stein enthält 144 Ortsnamen aus Schlesien, dem Sudetenland, Ost- und Westpreußen, Pommern und Siebenbürgen, denn Menschen aus diesen Landesteilen fanden auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhe

Erinnerungsstein auf dem Vertriebenenfriedhof Freiberg 2024. Foto RW

Vertriebenendenkmale und -friedhöfe als Erinnerungsort der regionalen Migrationsgeschichte

An diesen Erinnerungsorten entzündeten sich in der Vergangenheit immer wieder hitzige Debatten. Die Erinnerung an das Schicksal der Heimatvertriebenen hat eine solche radikale Politisierung jedoch nicht verdient. Vielmehr sind solche Orte beredte Zeugen für die Migrationsgeschichte eines Ortes. Gerade vor dem Hintergrund aktueller Migrationsdebatten kann der Blick auf die Migrationsgeschichte eines Ortes hilfreich sein.

Praktische Ideen und Tipps, wie die lokale Migrationsgeschichte in Ost und West in kleinen Projekten erforscht werden kann, liefern die beiden Publikationen Auf den Spuren von Migration in Wolfsburg sowie Auf den Spuren von Migration in Strasburg (Uckermark). Eine Handreichung zur Spurensuche lokaler Migrationsgeschichte in Ostdeutschland.

Titelbild: Blick auf den Vertriebenenfriedhof Freiberg im Juli 2024. Foto: RW

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arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Der Begriff SEITEN:BLICK steht für die Blicke, die wir links, rechts und hinter "die Dinge" werfen wollen.

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