Mit diesem Beitrag starten wir die Reihe „FORMEN DER MIGRATION“. Im Laufe des Jahres berichten wir anhand historischer und aktueller Beispiele über verschiedene Formen und Wege der Migration nach Deutschland.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wanderten insgesamt über 430.000 Angehörige der deutschen Minderheiten Rumäniens in die BRD aus. Die Anzahl der im Land verbliebenen Rumäniendeutschen sank damit um 96% innerhalb weniger Jahrzehnte. Eine Ausreise war freiwillig und heiß begehrt. Sie wurde ab 1969 von deutscher Seite mit Milliardensummen nach mehreren Verhandlungen an den rumänischen Staat bezahlt. Diese Abkommen waren streng geheim und sind bis heute umstritten.
Wer sind die Rumäniendeutschen?
Tatsächlich verstecken sich hinter dem Begriff „Rumäniendeutsche“ mehrere deutschsprachige Minderheiten im Gebiet des heutigen Rumäniens. Die größten Gruppierungen bilden dabei die Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Auf Anwerben der ungarischen und habsburgischen Fürsten siedelten sie sich zwischen dem 12. und dem 19. Jahrhundert in den Gebieten Siebenbürgen, auch Transilvanien genannt, und dem Gebiet an der Westgrenze des heutigen Rumäniens, im Banat, an. Sie stammen vor allem aus dem Süden und Westen Deutschlands und gelten bis heute als Bürger:innen mit deutscher Nationalität. Zu Beginn ihrer Ansiedlung konnten Rumäniendeutsche von zahlreichen Privilegien profitieren und beteiligten sich am Aufbau der jeweiligen Regionen. Bereits im 18. Jahrhundert jedoch hatten sie sich einem zunehmenden Assimilierungsdruck zu stellen.
Beginn und Ablauf der Verhandlungen
Ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich ein Teil der deutschsprachigen Siedler:innen aus Rumänien in Deutschland. Angehörige der deutschen Minderheiten flüchteten vor den einmarschierenden, sowjetischen Truppen. Weitere begaben sich nach ihrer Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion direkt nach Deutschland. In den 1950er Jahren begannen schließlich erste „Familienzusammenführungen“ mit den bis dahin verbliebenen Verwandten in Rumänien.
Ab den 1960er Jahren wurden diese Ausreisen in politischen Verhandlungen zwischen der BRD und Vertretern des Rumänischen Staates geregelt. Der Deal: Die Ausreise einer festen Anzahl deutscher Siedler:innen wurde von rumänischer Seite gesichert. Im Gegenzug zahlte der deutsche Staat eine festgelegte Summe pro ausreisender Person. Die Höhe dieser „Kopfgelder“ orientierte sich bis 1978 an der jeweiligen beruflichen Qualifikation der Aussiedler:in. Bis 1989 waren somit schätzungsweise eine bis mehrere Milliarden D-Mark an die rumänischen Vertreter gezahlt worden. Insgesamt kam es bis zur Aufhebung der Abkommen im Dezember 1989 zu sechs solcher Verträge zwischen Rumänien und der BRD.
Dabei erfolgten die Verhandlungen unter strenger Geheimhaltung. Die deutsche Regierung agierte ab 1968 durch den Rechtsanwalt und CDU-Politiker Hans-Günther Hüsch. Die Identität der rumänischen Verhandlungsgpartner war anfangs unklar. Sie stellten sich schließlich als Mitarbeiter des rumänischen Geheimdienstes Securitate heraus. Eine Beteiligung an den Verhandlungen wurde von der rumänischen Regierung abgestritten, gilt jedoch als gesichert. Neben den Zahlungen forderte sie außerdem verschiedene Sachleistungen, von Autos bis hin zu Jagdgewehren.
Befreiung oder Menschenhandel?
Bis heute ist die Aktion auf deutscher wie rumänischer Seite umstritten. Mehrheitlich fällt die Bezeichnung eines „Freikaufs“ der Rumäniendeutschen. Journalist:innen und Wissenschaftler:innen sprechen von „Verkauf“ und „Menschenhandel“. Hans-Günther Hüsch verteidigt bis zuletzt die Aktion von deutscher Seite als humanitäre Hilfe für die ausreisewilligen Rumäniendeutschen. Mit ihrer deutschen Nationalität wurden sie als Landsleute und damit die deutsche Regierung als verantwortlich für ihr Wohlergehen betrachtet. Zudem habe die Regierung der BRD auch Maßnahmen eingeleitet, die die Verbesserung der Lebensbedingungen innerhalb Rumäniens sichern sollten. Inwiefern die deutsche Seite sich außerdem eigene Vorteile erhoffte, bleibt unklar. Kritiker:innen vermuten unter den Motiven einen versuchten Ausgleich gegen die drohende Überalterung der deutschen Bevölkerung. Möglich sei ebenfalls, dass dadurch ein gewinnbringender Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte gesichert werden sollte.
Die Vorteile der Abkommen auf rumänischer Seite erscheinen klarer: Trotz des steigenden Drucks auf nationale Minderheiten war deren Ausreise nicht erwünscht. Jedoch halfen die „Kopfgelder“ die wirtschaftliche Notlage des Staates auszugleichen. Bekannt ist außerdem, dass es nicht bei den offiziellen Zahlungen blieb. Um einen Ausreiseantrag stellen zu können oder die Ausreise zu beschleunigen, mussten viele Rumäniendeutsche zusätzliche Schmiergelder zahlen. Diese reichten vom Handel mit verschiedenen Naturalien bis hin zu vierstelligen Summen. Nichtsdestotrotz dauerte es oftmals über 10 Jahre von der Antragstellung bis zu ihrer Ausreise.
Gründe der Rumäniendeutschen zur Ausreise
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges sahen sich die deutschen Siedler:innen mit diskriminierenden Bezeichnungen wie „Hitleristen“ und „Imperialisten“ konfrontiert. Tatsächlich hatte ein großer Anteil der Rumäniendeutschen in der Waffen-SS und in der deutschen Wehrmacht gedient. Nach dem Ende des Krieges wurden daher insgesamt 10.000 Siedler:innen in die Sowjetunion deportiert. Eine zweite Zwangsumsiedlung der Banater Schwaben innerhalb Rumäniens folgte 1951. Diese kollektiven Erfahrungen erzeugten großes Misstrauen gegenüber der Regierung. Auch das Wahlrecht blieb den verschiedenen Minderheiten Rumäniens verwehrt.
Darüber hinaus litten die Rumäniendeutschen ebenso wie andere Bevölkerungsgruppen unter den wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen des kommunistischen Regimes. Die beruflichen Perspektiven in Rumänien schienen begrenzt. Auch der Druck auf Regimegegner:innen blieb nicht auf die deutschen Siedler:innen beschränkt. An ihrer Stelle bestand jedoch das Potenzial einer doppelten Diskriminierung.
Die Abwanderung von knapp 20.000 Rumäniendeutschen nach Deutschland bis Mitte der 70er Jahre beschleunigte die Auswanderungswelle zunehmend. Betroffene beschreiben ihren damaligen Wunsch zur Ausreise als selbstverständlich. Zu groß war die Angst der letzten Aussiedler:innen, alleine in der Heimat zurückgelassen zu werden.
Wie ging es nach der Einreise weiter?
Den Anfang im neuen Land schilderten viele der Emigrierten als schwierig und beängstigend. Waren die Deutschen aus Rumänien ausgereist, wurden sie in Deutschland plötzlich zu „Rumän:innen“. Gegenüber anderen Migrant:innen profitierten sie jedoch von einem Vorteil: Vom Beginn ihrer Ansiedlung im heutigen Rumänien bis zu ihrer Ausreise im 20. Jahrhundert hatte sich unter den Siedler:innen Deutsch als Muttersprache erhalten. Aus ihrer Geschichte heraus dominiert auch das Selbstverständnis einer äußerst integrationswilligen und -fähigen Gemeinschaft. Wie gut es den Aussiedler:innen schließlich gelang, sich in ihre neue Heimat einzuleben, hing nicht zuletzt von verschiedenen Faktoren wie Alter und Zeitpunkt ihrer Ausreise ab.
Unterschiede gab und gibt es auch in den Beziehungen, die zwischen Emigrierten und ihrer Herkunftsgemeinde in Rumänien weiterbestehen. Manche haben inzwischen den Bezug verloren und grenzen sich von ihrer Migrationsgeschichte ab. Andere pflegen ihre Kontakte in die Heimatorte bis heute, die sie regelmäßig besuchen. Auch wenige Rückkehrer:innen sind bekannt.
Verlassene Dörfer – die Folgen der Emigration der Rumäniendeutschen
Verheerend wirkte sich die Migration auf die verbliebenen Ortschaften in Siebenbürgen und im Banat aus. Von ca 750.000 Rumäniendeutschen im Jahre 1945 leben heute noch etwa 30.000 in Rumänien. Besonders der Abzug von Führungskräften bedroht die Existenz der deutschen Gemeinden. Um zumindest die rumäniendeutschen Geistlichen im Land zu behalten, verhinderte ein Abkommen mit der evangelischen Kirche Deutschlands deren Neuanstellung in der BRD. Bereits während des Kalten Krieges zeichnete sich auch ein Mangel an deutschsprachigen Lehrer:innen ab. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind die Abkommen über den „Freikauf“ der Rumäniendeutschen zwischen 1969 und 1989 umstritten.
Seit Mitte der 90er Jahre hat sich die weitere Abwanderung der deutschen Minderheiten stark entschleunigt. 2014 wurde erstmals ein Siebenbürger Sachse, Klaus Johannis, zum Staatspräsidenten Rumäniens gewählt. Im Schnitt ist die deutschsprachige Bevölkerung jedoch überaltert und die Zahlen sinken weiter. In den hinterbliebenen Ortschaften der Rumäniendeutschen haben sich inzwischen andere Minderheiten und Rumän:innen angesiedelt. Einige unter ihnen führen die deutschen Traditionen weiter.
Mehr über deutsche Minderheiten im Ausland erfahrt ihr in dem Beitrag über RUSSLANDDEUTSCHE.
Titelfoto: Blick auf den historischen Marktplatz von Sibiu (auch: Hermannstadt) in Rumänien. Sibiu ist für die germanische Altstadtarchitektur bekannt, ein Erbe der sächsischen Siedler aus dem 12. Jahrhundert. Foto: Tudor44 auf Pixabay, gemeinfrei