In der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte vor dem Haus Nr. 92, in dem jetzt ein bilingualer Kindergarten untergebracht ist, steht eine Gedenkstele. Sie steht an der Stelle, wo sich bis 1948 das Reichskanzlerpalais befand. Die dreisprachige Stele erinnert aber nicht an das Palais. Sondern an eine Konferenz, die dort ab dem 15. November 1884 stattfand. Sie wird Kongo-Konferenz , Westafrika-Konferenz oder auch Afrika-Konferenz genannt.
Bismarck lädt ein
Ihr Auftakt fand im Reichskanzlerpalais statt, weil Reichskanzler Bismarck die diplomatischen Vertreter europäischer Mächte, der USA und des Osmanischen Reiches eingeladen hatte, um über Afrika zu sprechen. Genauer gesagt, um die völkerrechtlichen Grundlagen für die koloniale Inbesitznahme des afrikanischen Kontinents festzulegen. Waren Afrikaner dabei? Kein Einziger.
Humanitäre Ziele?
Immerhin, in der Präambel der Generalakte, die als Dokument der Kongo-Konferenz entsteht, werden die „eingeborenen Völkerschaften“ erwähnt. Und dass man sich für die Verbesserung ihrer „sittlichen und materiellen Wohlfahrt“ einsetzen werde. Außerdem wurde auf der Konferenz in Berlin der Sklavenhandel verboten. Humanitärer Fortschritt? Leider nur auf dem Papier. Der Menschenhandel innerhalb und außerhalb Afrikas ging unvermindert weiter. Und auch die „sittliche und materielle Wohlfahrt“ war eher ein Papiertiger.
Wettlauf um Afrika
Ernst nahmen die Teilnehmenden der Konferenz stattdessen die „effektive Besetzung“ Afrikas. Die Konferenz war der Startschuss für den „Wettlauf um Afrika“. Die Kolonialmächte beeilten sich in den Folgejahren, alle noch nicht besetzten Gebiete einzunehmen und Grenzen zu ziehen. Und das Deutsche Reich bemühte sich, in diesem Wettlauf gegenüber den großen Kolonialmächten England und Frankreich aufzuholen. Bis 1918 entstanden so die deutschen Kolonien Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi und Ruanda), Kamerun und Togo.
Koloniale Infrastruktur
Ab 1884 wurde Berlin zum Zentrum des deutschen Kolonialimperialismus. Es entwickelte sich in Berlin eine Infrastruktur aus Instituten, Verbänden, Museen und Verwaltungseinrichtungen, die allesamt kolonialistisches Gedankengut verbreiteten. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges verlor das Deutsche Reich seine Kolonien und auch die koloniale Infrastruktur in Berlin verschwand.
Berlin postkolonial
In den letzten Jahren löst sich die koloniale Vergangenheit Berlins und Deutschlands langsam aus dem „Erinnerungsschatten“, den Nationalsozialismus und Holocaust werfen, heraus. Die Gedenkstele an die Kongo-Konferenz in der Wilhelmstraße ist ein gutes Beispiel dafür. 2005 aufgestellt, war sie das erste antikoloniale Denkmal in Berlin, initiiert von Dr. Victor Dzidzonou, dem Vorstandsvorsitzenden des Afrika-Forums e.V. Waren bei ihrer Enthüllung offizielle Vertreter Berlins oder Deutschlands dabei? Kein Einziger.
Inzwischen wird über Deutschlands koloniale Vergangenheit viel geforscht und geschrieben. Dazu passt auch das Buch „Berlin – Eine postkoloniale Metropole“ von Oumar Diallo und Joachim Zeller, 2021 im Berliner Metropol Verlag erschienen. Es nimmt die Lesenden mit auf einen historisch-kritischen Stadtrundgang im Bezirk Mitte auf den Spuren deutscher Kolonialgeschichte. Durch das Buch bin ich auf die Gedenkstele und ihre Geschichte aufmerksam geworden. Auf seiner Basis habe ich diesen Artikel verfasst. Und ich werde in nächster Zeit mit dem Buch in der Hand noch weitere kolonialhistorisch bedeutsame Erinnerungsorte in Berlin besuchen.