Die Rolle historischer Institutionen

Kulturelle Institutionen, besonders historische Museen, Gedenkstätten und Erinnerungsorte können das Zusammenwachsen multikultureller Gesellschaften unterstützen. Sie vermitteln den Menschen die Geschichte des Landes und tragen so zur Entwicklung einer gemeinsamen Identität bei. In verschiedensten Ausprägungen, etwa als nationales Museum, Stadtmuseum oder Gedenkstätte, beleuchten sie unterschiedliche Vergangenheiten, legen verschiedene Schwerpunkte und entfalten die unterschiedlichsten Erzählungen. Museums- und Ausstellungsmacher werden sich über ihre Rolle und die Auswirkungen ihrer Arbeit immer bewusster. Neue Perspektiven und Faktoren, die bisher in der Konstruktion unserer Geschichte kaum oder keine Beachtung fanden, halten Einzug in die Debatten darüber, wie diese in Ausstellungen einfließen sollen und können. Neben wichtigen Diskussionen, um beispielsweise Partizipation oder Inklusion in Museen ist auch das Thema Auswanderung und Einwanderung – Migration – seit einiger Zeit als wichtiger Bestandteil unserer Geschichtsschreibung in den Mittelpunkt gerückt.

Auswanderung und Einwanderung im Museum

Auswanderung und Einwanderung waren und sind zentrale Themen der deutschen Geschichte und Gegenwart. Deshalb sollen und müssen sie auch Einzug in die Ausstellungen der Museen halten. Migrantische Perspektiven in die Erforschung und Darstellung deutscher Vergangenheiten einzubeziehen, kann unser Identitätsempfinden verändern und dazu beitragen, Schranken abzubauen, für andere Erfahrungen zu sensibilisieren und ein Zusammenwachsen der Menschen zu fördern. Neben einer langen Liste von Sonderausstellungen rund um das Themenfeld Migration widmen sich auch eigene Museumstypen diesen Themenbereichen – die Migrationsmuseen.

Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven

Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven ist ein solches Migrationsmuseum. Am historischen Ort Bremerhaven fokussierten sich die Inhalte der Dauerausstellung zunächst auf die deutsche Auswanderungsgeschichte. Insgesamt 7,2 Millionen Auswanderer reisten von den Häfen der Stadt ab. 2012 wurde das Museum durch einen Neubau erweitert und die Ausstellung um 300 Jahre deutsche Einwanderungsgeschichte ergänzt. Das Erlebnismuseum folgt nicht nur innovativen Ausstellungsideen und versucht sowohl die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen und neue Zielgruppen zu erreichen. Anhang von Biografien und Erzählungen lässt es einmalige Einblicke in die Geschichten von Aus- und Einwanderern zu. Die Beteiligung von denjenigen Menschen, die diese Erfahrungen gemacht haben, sind in den Ausstellung von höchster Bedeutung. Sie wollen diese Perspektiven und Geschichten ernstnehmen und ihre Erzähler*innen selbst zu Wort kommen lassen.

Gesellschaftliche Verantwortung

Dieses Jahr steht die Eröffnung eines weiteren Anbaus an. Er soll das Museum nicht nur architektonisch vergrößern und verändern, sondern auch Raum für neue inhaltliche Schwerpunkte geben. Im Mittelpunkt steht hier die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung. In einer Pressemitteilung schreibt das Museum:

„Rassismus und Gewalt haben zugenommen. Was kann ein Migrationsmuseum wie das Deutsche Auswandererhaus zu dieser gesellschaftlichen Situation nachhaltig beitragen?“

Pressemitteilung Deutsches Auswandererhaus 2019

Sprich, welche Inhalte muss das Museum zeigen und wie sollten diese vermittelt werden, um ein Zusammenwachsen der Gesellschaft und ihrer vielfältigen Perspektiven, Erinnerungen und Geschichten zu fördern?

Ausgangspunkt Mensch

Geplanter Neubau Auswandererhaus Bremerhaven mit Wechselausstellungen
zu aktuellen Migrationsthemen und der Academy of Comparative Migration Studies,
© Visualisierung und Architektur: Andreas Heller Architects & Designers, Hamburg.

Biografien sind Hauptbestandteil der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses und es werden stets weitere Menschen gesucht, die bereit sind ihre Geschichten zu teilen. Die Fassade des Erweiterungsbaus wird zahlreiche Reliefs von Einwander*innen und ihrer Nachfahr*innen zeigen, die sich auf Museumsaufrufe hin gemeldet haben. Die Menschen, um deren Geschichten es geht, werden hör- und sichtbar gemacht.

Multiperspektivität und Vergleiche

Multiperspektivische und komparative, also vergleichende Darstellung von Migrationsgeschichte ist neben den Biografien der zweite wichtige Ansatz des Museums: Dargestellt werden sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart von Migrationsbewegungen; der Umgang mit Migration in Deutschland und anderen Einwanderungsgesellschaften; migrantische Perspektiven sehr zahlreicher Gruppen sowie Migration als kontinuierliche Bewegungsgeschichte und nicht als Einzelphänomen. Dabei ist die Kolonisationsgeschichte kein Bestandteil des Konzeptes.

Forschung

Der entstehende Neubau bietet außerdem Platz für die „Academy of Comparative Migration Studies“ (ACOMIS). In der Akademie wird ein Bildungsinstitut zur Museumspädagogik für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung sowie ein Institut für Migrationsforschung untergebracht sein. Wissenschaftler*innen des Deutschen Auswandererhauses und Universitäten werden hier künftig gemeinsam zu historischen und vergleichenden Migrationsfragen forschen.

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Über den Autor

Svenja Heissner

hat Geschichtswissenschaften und Internationale Literatur an der Universität Tübingen und Public History an der Freien Universität Berlin studiert. Sie arbeitet seit Anfang Januar 2021 als Community Managerin der European Digital UniverCity an der Universität Potsdam. Sie ist zuständig für Kommunikation und Veranstaltungen sowie für den Outreach des Projektes. Sie ist außerdem Coach im Projekt #BeInterNett des Vereins Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und gibt dort Workshops zum Umgang mit Hatespeech.

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