Die Erfahrungen der Eltern, die Erfahrungen der Kinder – Migrationsgeschichten über Generationen hinweg
Die Graphic Novel The Best We Could Do erzählt die Geschichte einer jungen Familie, die nach der Niederlage Südvietnams in den 1970er Jahren in die USA flieht. Die Autorin und Zeichnerin Thi Bui beschreibt darin die Vergangenheit ihrer eigenen Eltern, Geschwister und von sich selbst. So kam sie noch in Vietnam zur Welt und erlebte dann 1978 die Flucht der Familie als „Boatpeople“ mit. Entsprechend versteht sich die Graphic Novel, ausgezeichnet mit einem American Book Award, als „illustrierte Memoiren“.
Hintergründe
An dem 2017 erschienen Band arbeitete Thi seit 2005. Er basiert auf einem vorangegangenen Projekt, in dessen Rahmen sie sich intensiv mit der eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt hat. Beim Lesen verschwimmen deshalb häufig die Grenzen zwischen den Teilen, die die eigentliche Familiengeschichte erzählen, und denen, die eher die Arbeit This an der Graphic Novel dokumentieren. Dies stört aber keineswegs, sondern schafft ein rundes Ganzes und vermittelt das Gefühl, Teil des Lernprozesses zu sein.
Vor Beginn der eigentlichen, in einem schlichten Stil aus Schwarz, Grau- und Orangetönen gehaltenen Erzählung haben die Leser:innen die Möglichkeit, sich anhand einer Doppelseite über die vietnamesische Geschichte des 20. Jahrhunderts zu informieren. Generell ordnet Thi Bui die für ihre Familie relevanten Ereignisse an einigen Stellen in den historischen Kontext ein, visuell und verständlich, etwa mit Karten von Vietnam. Auch Leser:innen ohne historisches Vorwissen werden so an die Hand genommen abgeholt.
Illustrierte Memoiren
Die Geschichte von The Best We Could Do beginnt mit This Bedürfnis, ausgelöst durch die Geburt ihres Sohnes, sich intensiver mit den eigenen Eltern und der nicht unproblematischen Verbindung zu ihnen auseinanderzusetzen. Sie spürt ein schlechtes Gewissen, sich nicht besser um die beiden zu kümmern und keine engere emotionale Bindung zu ihnen zu haben. In der Hoffnung, dies ändern zu können, entscheidet sie sich, sich tiefergehend mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen.
Die Graphic Novel beschreibt zunächst, wie schwer das Ankommen in den USA Ende der 1970er Jahre für This Eltern war und wie die Situation, sich zuhause um die Kinder kümmern zu müssen, ihren Vater völlig überforderte, während die Mutter Geld verdiente.
Die meisten von This Kindheitserinnerung sind düster und drehen sich um Gefühle von Angst. Doch sie weiß, dass der Grund, warum ihr Vater so unnahbar ist, wiederum in seiner Kindheit liegt. Diese war geprägt von sehr viel Entbehrung und Enttäuschung, Gewalt und Verlust. Ihre Mutter hingegen wuchs sehr behütet und in einer wohlhabenden Familie auf – wenn auch mit einer strengen Mutter.
An verschiedenen Stellen übernehmen andere Personen die Rolle des/der Erzähler:in, so wird Thi beispielsweise dann, wenn ihre Eltern aus deren Kindheit und Jugend berichten, selbst zur Zuhörerin. Dies schafft Nähe, da wir Leser:innen scheinbar gleichzeitig mit Thi ihre eigene Vergangenheit entdecken dürfen.
1962 lernen sich schließlich This Eltern kennen. Doch der zunehmend eskalierende Vietnamkrieg macht das Leben der beiden und ihrer nach und nach zur Welt kommenden Kinder schwer. Kurz vor Ende des Krieges erblickt dann auch Thi Bui das Licht der Welt. Nach dem Sieg des Nordens übernehmen die Kommunisten im Süden die Macht und verwandeln Vietnam zunehmend in einen Überwachungsstaat.
Außerdem macht es die Mangelwirtschaft This Eltern in dieser Zeit immer schwerer, ihre Kinder zu ernähren. Deshalb ergreifen sie, als sich die Gelegenheit ergibt, 1978 auf einem Boot die Flucht nach Malaysia. Dort kommen sie zuerst einmal in einem Flüchtlingslager unter. Die Graphic Novel beschreibt diese Flucht sehr ausführlich und detailliert. Die Bedeutung dieses Unternehmens für die Familie und ihr weiteres Leben ist nicht zu übersehen.
Das Leben im Flüchtlingslager ist herausfordernd, doch Thi und ihre Familie haben Glück und können bereits nach wenigen Monaten in die USA ausreisen. Sie lassen sich schließlich in Kalifornien nieder, wo die Eltern den Kindern ein solides, aber streng geführtes Leben bieten. Nicht zuletzt geben sie ihnen den, wie Thi es nennt, „Flüchtlingsreflex“ mit auf den Weg: jederzeit bereit zu sein, das Gewohnte ohne Zögern hinter sich zu lassen, wenn bedrohliche Umstände es erfordern.
Thi lässt die Graphic Novel mit Gedanken dazu enden, was es letztlich heißt, Tochter, was es heißt, Mutter zu sein. Sie fragt sich, wie viel Eltern ihren Kindern (bewusst oder unbewusst) mit auf den Weg geben. Denn sie fürchtet, sie könnte ungewollt ihrem Sohn den Schmerz ihrer Familiengeschichte aufbürden. Doch letztlich ist sie zuversichtlich, dass er ein von diesem Schmerz befreites Leben führen wird.
Trauma und Hoffnung
Da The Best We Could Do die Familiengeschichte nicht streng chronologisch erzählt, sondern häufig zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin und her spring, verbindet sich die vietnamesische Herkunft der Protagonist:innen sehr direkt mit den migrantischen Erfahrungen in der neuen Heimat. Thi Bui beschreibt eindringlich, wie Traumata von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden können und wie schwer es ist, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Der Band lässt die Leser:innen aber nicht mit einem Gefühl der Verzweiflung oder Resignation zurück. Vielmehr gibt er Hoffnung, dass es an jedem und jeder Einzelnen und ihrer Bereitschaft zu Offenheit und Selbstreflexion liegt, inwiefern die Vergangenheit der eigenen Familie unsere Gegenwart bedrückt oder bereichert.
Titel: The Best We Could Do: An Illustrated Memoir
Autorin: Thi Bui
Verlag: Abrams & Chronicle Books
Erscheinungsdatum: 7. März 2017
Sprache: Englisch
Umfang: 330 Seiten
ISBN-10: 1419718770
ISBN-13: 978-1419718779
© Thi Bui, Abrams Books, 2017
Titelbild: © Thi Bui, Abrams Books, 2017 Bild: U.S. National Archives and Records Administration, via Wikimedia Commons Karte: Elan Howard (guideoftheworld)