Beide deutsche Staaten nahmen das Recht politisch Verfolgter auf Asyl 1949 in ihre Verfassungen auf. Doch was bedeutete das konkret?

Der Erfurter Historiker Patrice G. Poutrus untersucht in seinem Buch „Umkämpftes Asyl“ (2019 im Ch. Links Verlag erschienen) die Entwicklung des Asylrechts in Deutschland. Die Untersuchung reicht von der Nachkriegszeit über die Grundgesetzänderung von 1993 bis in die Gegenwart. Welche Konsequenzen ergaben sich aus dem sogenannten Asylkompromiss für das Anerkennungsverfahren, die Aufnahme von Geflüchteten und die europäische Migrationspolitik? Poutrus zeigt, dass es in der Asylrechtdebatte stets um grundlegende Fragen der politisch-moralischen Orientierung der deutschen Gesellschaft geht.

Asyl. Die doppelte Nachkriegsgeschichte

Poutrus skizziert die großen Linien der Kontroversen um das Thema Asyl. Die Auseinandersetzungen des Parlamentarischen Rates im Jahr 1948, die Diskussionen über die Aufnahme kommunistischer Flüchtlinge in den 1950er-Jahren, der Streit um den Umgang mit politisch Verfolgten aus Chile, die vor der Diktatur Pinochets geflohen waren, bis zur Aufnahme der vietnamesischen Boat-People Ende der 1970er Jahre und dem asylpolitischen Streit in der jungen Berliner Republik Anfang der 1990er-Jahre.

Damals, im Jahr 1993, hatten sich die Parteien nach heftigem Streit auf eine Einschränkung des Asylrechtes geeinigt. Poutrus nennt es einen, „weiterer Gründungsakt“ des wiedervereinigten Deutschlands. Er war getrieben von hässlichen ausländerfeindlichen Kampagnen großer Zeitungen und mörderischen Pogromen gegen Migranten in Ost und West.

Der Autor erzählt eine doppelte Nachkriegsgeschichte. Er blickt also auch auf den Umgang der DDR mit Geflüchteten. Seine Bilanz zum Thema Asyl in der DDR:

Entscheidend für den Umgang mit Fremden im Staatssozialismus war die mit der Totalität des marxistisch-leninistischen Herrschaftsanspruch verbundene Homogenitätsvorstellung der kommunistischen Staatspartei. Nicht das Postulat des universalen Menschheitsfortschritts, sondern die dichotome Struktur des Klassenkampfes kann für den Umgang mit Fremden im „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ als grundlegend angesehen werden. Für DDR-deutsche Kommunisten wie auch für einfache DDR-Bürger war es unter Berufung auf den proletarischen „Internationalismus“ durchaus möglich, im Alltag fremdenfeindliche Vorurteile beziehungsweise nationalistische Stereotype bedenkenlos zu benutzen, ohne dadurch in Konflikt mit der „sozialistischen Staatsgewalt“ zu geraten.

P. Poutrus: Umkämpftes Asyl, 2019, S. 158

Politische Stimmungslage entscheidend

Eine zentrale Aussage des Buches ist: Unabhängig davon, was im Grundgesetz steht, entscheidet letztlich die politische Stimmungslage, wer und wie viele aufgenommen werden. Die so oft als „schlicht und schön“ bezeichnete Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ war in der Umsetzung meist weder schlicht noch schön. Im Gegenteil, die Knappheit des Artikels hatte komplizierte Folgen. Mangels Konkretion bestimmten die Behörden eben selbst, wer als „politisch Verfolgter“ Asyl bekam. Das führte wiederum zu einer unendlichen Kette von Gerichtsverfahren.

Streit um Asyl und Asylrecht ist Kern der bundesrepublikanischen Identität

Poutrus sieht in den immer wiederkehrenden Kontroversen um das Asylrecht einen Kern der bundesrepublikanischen Identität berührt. Über die Aufnahme kommunistischer Flüchtlinge wurde in den fünfziger Jahren ebenso erbittert und hässlich gestritten wie in den siebziger Jahren um vietnamesische Boat People und chilenische Exilanten. Oder wie in den neunziger Jahren um osteuropäische Flüchtlinge.

Bevölkerung offen für politische Flüchtlinge

Der Autor kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die Bevölkerung in großen Teilen offen für politische Flüchtlinge war und ist.

Wir finden eigentlich immer wieder in der Geschichte der Bundesrepublik, dass es in der Bevölkerung – nie bei allen, aber bei einem relevanten Teil der Bevölkerung – eine erheblich größere Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen in einer Notsituation gab, als sowohl von Politikern als auch Vertretern der Verwaltung immer angenommen wurde.

Deutschlandfunk, 9.9.2019

Lob in den Medien

Das 2019 erschienene Buch erhielt in den Medien viel Aufmerksam und großes Lob. Es rührt vor allem daher, dass Patrice G. Poutrus einen lesenswerten Überblick zu den Asyldebatten in der Bundesrepublik vorgelegt hat. Wer sich mit der Geschichte des Asyls in Deutschland näher befassen will, dem wird dieses Buch immer wieder empfohlen.

Das fand auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die 2020 dieses Buch in seine Schriftreihe aufgenommen hat. „Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart“ ist über den Online-Shop der BpB gegen eine Schutzgebührt von 4.50 € erhältlich.

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arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Der Begriff SEITEN:BLICK steht für die Blicke, die wir links, rechts und hinter "die Dinge" werfen wollen.

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