Eine Rezension des filmischen Essays über eine subjektive Geschichte des Rassismus vom oskarnominierten Regisseur Raoul Peck

Der haitianische Filmemacher Raoul Peck erzählt in „Rottet die Bestien aus!“ (englischer Originaltitel „Exterminate All the Brutes!“) die verworrene globale Geschichte des Kolonialismus, der Sklaverei und des Rassismus.
In seinem vierteiligen dokumentarischen Essay zeichnet er in einer Collage aus älteren Spielfilmen, dokumentarischen Aufnahmen, persönlichen Familienaufnahmen und fiktiven Spielszenen eine über 600-jährige Geschichte von Entmenschlichung, Verfolgung und Völkermorden.

Raoul Peck kümmert sich in seinem bewusst subjektiven und emotionalen Film nicht groß um die Einwände, dass verschiedene Menschheitsverbrechen wie die Shoah und der Kolonialismus nicht gleichzusetzen sind. Zu den Aufnahmen der Ansammlungen von menschlichen Gebeinen aus dem Völkermord im Sudan sagt die lakonische Stimme aus dem Off:

„Ich habe diese Bilder schon einmal gesehen: sie sehen alle gleich aus.“

Raoul Peck als Sprecher in „Rottet die Bestien aus!“

Er schlägt hier den Bogen zu den Bildern von menschlichen Überresten anderer Genozide und verdeutlicht die mörderischen Parallelen. Der menschenfeindliche Rassismus in seinen verschiedenen Ausformungen bildet dabei die gemeinsame Triebfeder.

Ein Foto von Indigenen Cordova zwischen 1906 und 1915 am Copper River in Alaska © Library of Congress/Prints & Photographs Division Foto: ARTE France

Dokumentation als filmische Intervention in
geschichtspolitische Debatten

Peck, der filmisch unter anderem in Berlin ausgebildet worden ist, kreiert eine bildgewaltige Intervention. Er verarbeitet darin eine längst überfällige Grundsatzfrage: Was ist das für eine Gesellschaft, deren Geschichte von diesen grausamen Abgründen geprägt ist?
Dieser Film stellt einen radikalen Perspektivenwechsel auf die Geschichte dar. Zugleich verdeutlicht er jene geschichtspolitische Brisanz, die hierzulande mit der Aufarbeitung kolonialer Geschichte aufkommt.

Das Bild zeigt eine Karte von Nordamerika mit den Namen indigener Volksgruppen, welche vor der Kolonisierung dort lebten.
Verteilung der nordamerikanischen „Indianerstämme“ vor der Ankunft der Briten © Velvet Film Foto: ARTE France

Er greift unter anderem die wichtigen antikolonialen Einsichten des haitianischen Anthropologen Michel-Rolph Trouillot auf, wonach Christopher Kolumbus Südamerika natürlich nicht „entdeckt“ habe. Dieser hat lediglich die zeitgenössischen europäischen Landkarten der Welt erweitert und somit das Tor für die imperiale Unterwerfung eines ganzen Kontinents geöffnet.
Der Beitrag bricht radikal mit so manchen gewohnten populär-geschichtlichen Erzählungen des europäischen Publikums.

Gegen Westlich-europäische Überheblichkeit

Wie der Filmemacher in einem Interview mit dem britischen Guardian beschreibt, ist sein persönliches aufklärerisches Motiv nämlich gegen die ignorante Überheblichkeit Europas gerichtet. Demnach ist für Peck Kolonialismus und Sklaverei nicht ein Problem Amerikas, sondern ein genuin europäisches.
Dies macht er mit der zugrundeliegenden streitbaren These der Kontinuität zwischen der Ausrottung der indigenen Bevölkerung der USA, dem Kolonialrassismus und schließlich der nationalsozialistischen Rassenideologie deutlich.

Eine vielschichtige und emotionale Erzählung

Das Bild zeigt einen Indigenen neben einem christlichen Geistlichen; Zwangskonvertierungen sind Teil von Unterdrückung und Rassismus.
Rassismus und Unterdrückung hatten in Zeiten des Imperialismus und Kolonialismus viele Facetten – unter anderem die Zwangskonvertierung. © The Denver Public Library/Western History Collection Foto: ARTE France

Der dokumentarische Essay hat auch seine Schwächen: dass sich der rote Faden der vielschichtigen Dokureihe nicht immer finden lässt, ist dabei nicht das größte Manko. Die intendierte Konfrontation der westlich-europäischen Geschichtswahrnehmung kann von einem nicht dekolonial geschulten Publikum in seiner Fülle womöglich eher nicht nachvollzogen werden. Hier steht eher die eindringliche und emotionale Erzählweise im Vordergrund, die betroffen macht und einen bleibenden Eindruck hinterlässt, aber auch in Verwirrung münden kann.

Die koloniale Dimension der Gegenwart

Der Dokumentarfilm liefert eindrückliche Denkanstöße und ist trotz des weitläufigen Themenfeldes eine sehenswerte filmische Intervention. Dies gilt auch und gerade für Menschen, welche die koloniale Dimension der Gegenwart begreifen möchten.
Die Dokumentarfilmreihe stellt darüber hinaus eine wichtige Wegmarke für geschichtspolitische Debatten dar. So zeigt er die Wichtigkeit, den eurozentristisch-beschränkten Blick zu weiten und die globale Verworrenheit von vermeintlich fortschrittlicher Kultur und barbarischer Brutalität in den Blick zu nehmen.

Die Dekonstruktion europäischer geschichtlicher Mythen und Selbstbilder und das Zu-Wort-kommen-lassen Indigener, Schwarzer und People of Color jedenfalls nimmt mit Beiträgen wie diesen seinen Lauf.

Der vierteilige Dokumentarfilm kann in der deutschsprachigen Version noch bis zum 31.05.2022 in der Arte-Mediathek abgerufen werden. 

Über den Autor

Noël Schepp

Arbeitet als studentischer Mitarbeiter bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und studiert im Master "Gender, Intersektionalität und Politik" an der Freien Universität Berlin.

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