Am 6. November 2022 wählten die Bewohnerinnen und Bewohner Frankfurt Mains den amtierenden Oberbürgermeister Feldmann ab. Nach dieser Abwahl wird die 57-Jährige Grünenpolitikerin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg das kommissarische Oberhaupt der Stadt Frankfurt am Main. Seit 2001 arbeitet die promovierte Psychologin für die Stadt Frankfurt. Seit 2021 ist Narges Eskandari-Grünberg Bürgermeisterin sowie Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie ist bundesweit die erste Geflüchtete, die zur Bürgermeisterin gewählt wurde.
Geboren in Teheran
Nargess Eskandari kommt 1965 in der iranischen Hauptstadt Teheran zur Welt. In einem Interview mit der Hessenschau 2022 erzählt sie: „Ich war Schülerin an einer Mädchenschule. Ich habe ein Plakat gebastelt, auf dem stand: ‚Für Freiheit und für Demokratie‘. Daran habe ich damals sehr geglaubt, das hat mir viel Kraft gegeben. Aber das hat auch zu meiner Verfolgung geführt, weil ich diesen Flyer hatte und diesen Protesten für Freiheit und Demokratie gefolgt bin.“ Ihr Protest gegen das Mullah-Regime hat zur Folge, dass sie verhaftet und ins berüchtigte Foltergefängnis Evin gebracht wird, so Eskandari. Dort bringt die damals 18-Jährige ihre Tochter Maryam zur Welt.
Nach eineinhalb Jahren kommt Eskandari aus der Haft frei. Mit gefälschten Papieren gelingt ihr die Ausreise aus dem Iran. 1985 flieht sie mit ihrer zweijährigen Tochter nach Deutschland.
„Für mich war klar, ich will in Freiheit leben, ich will studieren und ich wollte natürlich für Maryam eine bessere Welt.“
Nargess Eskandari-Grünberg im Interview mit der Frankfurter Neuen Presse, 14.11.2021
Nargess Eskandaris Ankunft in Frankfurt Main und Deutsch lernen mit Kassetten
Am Heiligen Abend kommt die damals 20-Jährige mit ihrer Tochter in Frankfurt an. Alle Läden sind geschlossen und es ist schwierig, etwas zu Essen zu kaufen. Sie überbrückt die ersten Nächte in Frankfurt in einem Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofes, erinnert sich Eskandari-Grünberg. Dann wohnt sie mit ihrer Tochter in einer Flüchtlingsunterkunft. Deutsch bringt sie sich unter anderem mit Hilfe von Kassetten bei. Später studiert sie Psychologie, wird promoviert und betreibt eine eigene Praxis. Sie heiratet den Psychoanalytiker Kurt Grünberg, mit dem sie ein weiteres Kind bekommt. Sie sei sehr zielstrebig und leistungsorientiert, sagt Eskandari-Grünberg über sich selbst. Und ja, sie sei auf jeden Fall ein optimistischer Mensch – trotz des Leids und all der negativen Erfahrungen, die sie im Gefängnis gemacht hat. Denn: „Das Gute ist, was bleibt, das Böse ist kurzweilig.“
Narges Eskandari-Grünbergs Weg in die Politik
Narges Eskandari-Grünberg gehört der Partei Bündnis 90 / Die Grünen an. Seit 2001 ist sie Stadtverordnete in Frankfurt am Main. Bis sie 2008 vom Stadtparlament zur Nachfolgerin des verstorbenen Jean Claude Diallo als Stadträtin und ehrenamtliche Dezernentin für Integration gewählt wird. Damit ist sie Mitglied des Magistrats der Stadt Frankfurt.
Fortan schaut Eskandari-Grünberg z.B. auch in der Frankfurter Stadtverwaltung genauer hin. Denn auch dort sieht sie noch Nachholbedarf bei der interkulturellen Öffnung. Der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund sei noch zu gering, beklagt sie 2015. Etwa ein Siebtel der Mitarbeitenden hat keinen deutschen Pass. Von den Frankfurtern aber hat fast jeder Zweite einen Migrationshintergrund. Und die Zahl steigt.
Die Bürgermeisterin Narges Eskandari-Grünberg – „Ich habe Frankfurt viel zu verdanken“
Nach den Kommunalwahlen 2021 wird Narges Eskandari-Grünberg erneut in den Magistrat der Stadt gewählt; diesmal als hauptamtliche Dezernentin. Da sie die meisten Stimmen auf sich vereint, wird sie Bürgermeisterin der Stadt Frankfurt. Kurz nach ihrer Wahl sagt sie in einem Interview „Ich habe Frankfurt viel zu verdanken“ und das möchte sie auch zurückgeben.
Seit September 2021 führt sie auch die Behörde für Integration hauptamtlich und hat sie direkt umbenannt. Sie heißt nun „Dezernat für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftliches Zusammenleben“, was Eskandari-Grünberg zeitgemäßer erscheint. Ihr Motto lautet: Diversität ist unsere Stärke.
„In Frankfurt leben Menschen aus 180 Nationen. Diese Pluralität und Diversität zu gestalten, auf der Grundlage demokratischer Werte ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen.“
Nargess Eskandari-Grünberg im Interview mit der Frankfurter Neuen Presse, 14.11.2021
Dass nicht alles Friede, Freu und Eierkuchen ist, bekommt Nargess Eskandari-Grünberg auch selbst zu spüren. Bereits mehrfach wurde sie in der Vergangenheit für ihr Engagement aus rechtspopulistischen Kreisen persönlich angegriffen. Gleichzeitig zollen ihr auch politische Gegner Respekt für ihre Haltung, wie z.B. ihr Vorgänger, der Ex-Bürgermeister Uwe Becker (CDU).
Nach der Abwahl des Amtsinhabers Peter Feldmann ist sie seit dem 12. November 2022 bis zur Neuwahl kommissarisch die Oberbürgermeisterin der Stadt.
Oberbürgermeister:innen mit Migrationshintergrund sind sehr selten
Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen und in der Politik sind in Deutschland noch nicht hinreichend repräsentiert. Weit mehr als 300 Oberbürgermeister gibt es in Deutschland. Aber nur gut eine Handvoll hat einen Migrationshintergrund, sagt der Mediendienst Integration. Im März 2022 regierten in nur fünf Städten Oberbürgermeister:innen mit Migrationshintergrund. Das entspricht nicht einmal zwei Prozent. Und der Anteil könnte in Kürze weiter sinken.
Die Recherche des Mediendienst Integration zeigt: Nur fünf von 337 Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern (OB) in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Das entspricht rund 1,5 Prozent. Zum Vergleich: In der Bevölkerung haben knapp 27 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Auch im deutschen Bundestag haben nur 11,3 % der Abgeordneten eine Migrationsgeschichte.
Titelfoto: Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg. Foto: Katharina Dubno