Migration prägt die Moderne wie kaum ein anderes Phänomen, das neben gesellschaftlichen Veränderungen auch Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und sozialem Wandel aufwirft. Der 64. Band des Archivs für Sozialgeschichte widmet sich unter dem Titel „Migration in der Moderne. Wege – Orte – Erfahrungen“ der Vielschichtigkeit des Phänomens. Die interdisziplinäre Sammlung von Beiträgen analysiert Migration aus unterschiedlichen historischen Perspektiven. Dabei wird insbesondere die Wechselwirkung zwischen Migration und wirtschaftlichen, sozialen sowie politischen Entwicklungen deutlich. Erschienen ist der Band im Oktober 2024 im Dietz Verlag. Er wurde von Claudia Gatzka, Kirsten Heinsohn, Thomas Kroll, Anja Kruke, Philipp Kufferath, Friedrich Lenger, Ute Planert, Dietmar Süß, Nikolai Wehrs und Meik Woyke für die Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben. Inhaltlich fokussiert der Sammelband auf die Wege, Ziel- und Durchgangsorte sowie die individuellen und kollektiven Erfahrungen von Migration.

Wege

Ein Teil der Beiträge legt den Schwerpunkt auf die Wege der Migration. Carolin Liebisch-Gümüş analysiert die Flucht per Flugzeug und zeigt, wie sozioökonomische Bedingungen von der NS-Zeit bis zur Asylmigration in die Bundesrepublik die Nutzung dieses Verkehrsmittels prägten. In ihrem Beitrag wird deutlich, wie Migration und soziale Ungleichheit miteinander zusammenhängen. Agnes Gehbald untersucht die transatlantischen Migrationsbewegungen zwischen Europa und den USA um 1900. Dabei analysiert sie die Kategorienbildung der Migrationsstatistik zwischen staatlicher Regulierung, wissenschaftlicher Debatte und medialer Berichterstattung. Jana Stöxen und Lumnije Jusufi widmen sich in ihrer Studie den Pendelrouten südosteuropäischer Arbeitsmigranten und untersuchen, wie diese nicht nur von Infrastruktur, sondern auch von sozialen Netzwerken geprägt wurden. 

Orte

Des Weiteren beinhaltet der Band die Analyse von Ziel- und Durchgangsorten, die zeigt, wie Migration städtische und ländliche Räume veränderte. David Templin untersucht die Bahnhofsviertel westdeutscher Großstädte wie Frankfurt am Main, Hamburg und München in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese beschreibt er als multikulturelle und lebendige Orte, die jedoch häufig durch Segregation und Prekarität geprägt sind. Jens Gründler und Christoph Lorke beleuchten in ihrem Beitrag die Migration in mittelgroßen Städten wie Gütersloh, wo Weltmarktführer wie Bertelsmann und Claas die Migrationspolitik und das Stadtbild mitbestimmten. Stijn Carpentier analysiert katholische Initiativen für türkische und marokkanische Arbeitsmigranten in Brüssel während der 1970er- und 1980er-Jahre und zeigt die damit verbundenen stadt- und migrationsbezogenen Diskurse auf.  

Erfahrungen

Ein weiterer Bestandteil des Sammelbands widmet sich den individuellen und kollektiven Erfahrungen von Migration. Anne D. Peiter beschreibt in ihrem Beitrag die Migrationserfahrungen von Überlebenden des Genozids an den Tutsi in Ruanda anhand autobiografischer Texte. Diese ordnet sie mit Blick auf die Rolle von Gewalt, Trauma und Erinnerung ein. Stefanie Coché analyisert Briefe an die Überlebenden und Hinterbliebenen der Anschläge von Mölln und reflektiert, wie diese die Frage nach Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft verhandeln. Andrea Althaus, Linde Apel und Jana Matthies widmen sich in ihrem Beitrag persönlichen Perspektiven auf Migration und Stadt. Diese erörtern sie im Rahmen von Interviews mit Hamburgerinnen und Hamburgern mit persönlichem oder familiärem Migrationsbezug. 

Migration in der Moderne

Der Band „Migration in der Moderne. Wege – Orte – Erfahrungen“ ist ein umfassender Beitrag zur Migrationsforschung, der die Komplexität und Vielschichtigkeit des Phänomens Migration sichtbar macht. Die Beiträge ermöglichen einen Überblick über Dynamiken der Migration und deren Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Band eignet sich für alle Leserinnen und Leser, die sich mit den historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen von Migration auseinandersetzen möchten. 

Titelbild: Cover des 64. Bands des Archivs für Sozialgeschichte mit dem Titel „Migration in der Moderne. Wege – Orte – Erfahrungen“, der im Oktober 2024 beim Dietz Verlag erschienen ist.

Über den Autor

Annalena Piper

studiert Interdisziplinäre Antisemitismusforschung am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

Alle Artikel anzeigen