Ich schaue mich im Raum um und bekomme eine Gänsehaut: Die Generation unserer Eltern spricht über Themen, für die wir damals keine Worte hatten. Dieses Gefühl ist ergreifend, aber nicht ganz leicht zu benennen. Wie reden zwei Generationen der vietnamesischen Diaspora in Deutschland über Themen, die damals keine Daseinsberechtigung hatten, weder sprachlich noch inhaltlich? Ein kurzer Einblick in einen Generationendialog.
Es ist Nachmittag, der 21. August, und etwa 20 Personen haben sich in einem kleinen Saal in Leipzig zusammengefunden. Anwesend sind Menschen mit verschiedenen Lebensrealitäten: Vietnames*innen der 1. Generation, die unter anderem als ehemalige Vertragsarbeitende der DDR nach Deutschland eingewandert und geblieben sind.
Vietnames*innen der 2. Generation, vietnamesisch sozialisierte Personen und/oder viet-deutsche Personen, es gibt verschiedene Selbstbezeichnungen. Gemeinsam haben sie, dass sie entweder in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind.
Vietnames*innen der 1,5. Generation, die im Jugendalter nach Deutschland gekommen sind, um zu studieren und zu leben.
Barrieren im Generationendialog
Dialoge zwischen zwei Generationen sind zwar nichts Neues, deswegen aber trotzdem noch besonders relevant. Gibt man Generationendialog in Suchmaschinen ein, findet man vordergründig Veranstaltung von und für weiß-deutsche Personen der Mehrheitsgesellschaft. Oftmals hat es das Ziel, eine Brücke zwischen älterer und jüngerer Generation zu schaffen. Doch für viele Familien gab es diese Angebote bisher nicht oder nur selten. Heimat ist ein Thema über das früher oder später viele Menschen stolpern. Meist sind es Menschen mit Migrationsbezug. Nur wenige haben die Möglichkeit, generationenübergreifend darüber zu sprechen. Kommunikation über Emotionen, Vergangenheit oder die eigene Geschichte sind in vielen Familien kaum vorhanden. Sprachbarrieren hemmen die Kommunikation, wenn sie über die alltäglichen Dinge des Lebens hinausgehen. Unterschiedliche Lebensauffassungen der Generationen sind damit nur ein weiteres Thema, das unausgesprochen existiert und Barrieren schafft.
Angeleitete Gesprächsrunden im Generationendialog
In angeleiteten Gesprächsrunden und einem gemeinsamen Abendessen konnte dies im Rahmen des ,,Kompetenznetzwerkes für das Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft‘‘, organisiert vom Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) angestoßen werden.
Das Ziel war es, einen Raum zu schaffen, in dem das (politische) Verständnis zweier Generationen zu den Themen Heimat, Integration, Kultur und Werte miteinander erörtert werden kann. Es ging darum unterschiedliche Lebensauffassungen und -realitäten kennenzulernen und sich dadurch zu verstehen und wieder anzunähern. Die Hoffnung ist, mittelfristig die vietnamesisch diasporische Community zu transformativen (Denk-)Prozessen anzuregen. Mithilfe einer Sprachmittlung sollten vor allem die Emotionen klar transportiert werden.
Unterschiedliche Herausforderungen der zwei Generationen
Während der Veranstaltung interviewen sich die Generationen gegenseitig mit vorgegebenen Fragen, um sich kennenzulernen. Zum Abschluss kommen alle zusammen und tauschen sich im großen Kreis über ihre Erkenntnisse aus.
Dabei werden schnell die unterschiedlichen Herausforderungen der zwei Generationen deutlich. „Wir haben keine Unterstützung oder Orientierung vom Staat bekommen und hatten auch Schwierigkeiten mit der Sprache, deshalb mussten wir uns alles selbst aufbauen. Wir haben Glück, dass unsere Kinder die bilinguale Erziehung gut durchgemacht haben. Sie haben alle einen guten Job gefunden, das bedeutet für uns gute Integration.“ erzählt später eine Teilnehmerin der 1. Generation. Während sie ihren Fokus zwangsläufig darauf legen musste, eine Existenz aufzubauen und finanzielle Sicherheit zu erlangen, um der eigenen Familie eine gute Zukunft zu bieten, musste die 2. Generation ihren Eltern früh bei Behördengängen unterstützen und sich häufig alleine zurechtfinden. „Es ist ein Privileg, hier in Deutschland wohlbehütet und nicht in Armut aufzuwachsen. Dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar. Die Schwierigkeit für uns lag darin, mit zwei Kulturen aufzuwachsen und damit täglich konfrontiert zu werden. In der Gesellschaft sind wir Ausländer, zu Hause oder in Vietnam waren wir zu Deutsch oder nicht vietnamesisch genug.“ Im weiteren Verlauf wird gemeinsam über Erziehungsstile, Diskussionskultur zu Hause, Migrationserfahrungen und andere Themen gesprochen. Insgesamt sehr heilsam und zumindest ein erster Schritt. Der nächste große Schritt könnte sein, wie wir die Strukturen (z.B. Vereine) und Vernetzungen beider Generationen verbinden können, um gemeinsam demokratische und zivilgesellschaftliche Prozesse zur Mitgestaltung anzustoßen.
Die Zeit zu kurz, die Inhalte schwer, die Bedarfe groß
Beim Abendessen merken wir alle, der Austausch ist wertvoll, doch die Zeit zu kurz, die Inhalte zwar sehr schwer, die Bedarfe jedoch groß. Nach der Veranstaltung kommen Rückmeldungen, dass dieser Raum für manche endlich den Anstoß gegeben hat, mit ihren Eltern ähnliche Prozesse aus der Veranstaltung anzustoßen. Teilnehmenden hoffen auf weitere Generationendialoge, auch und gerade weil dabei schwere Themen angesprochen werden.
Titelfoto: Teilnehmende des Generationendialoges am 21.8.2022 in Leipzig. Foto: DaMOst