Der zweite Tag des Vernetzungstreffens in Nürnberg stand im Zeichen der praktischen Erinnerungsarbeit. Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, in zwei Sessions zwischen jeweils drei unterschiedlichen Workshops zu wählen.

Erinnerung an die deutsche Kolonialgeschichte

Der Aktivist Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland
gab einen Workshop zur „Erinnerung an die deutsche Kolonialgeschichte und deren postkoloniale Auswirkungen“.

Della verteilte Zitate, die einen unterschiedlichen Bezug auf das Thema Kolonialismus nahmen. Die Teilnehmenden sollten in Kleingruppen diskutieren, zu welcher Zeit, von welcher Person und in welchem Kontext die Statements abgegeben wurden.

So wurde deutlich, dass der Ansatz der Übung die Erwartungshaltungen und verinnerlichten Narrative der Teilnehmenden herausforderte. Beispielsweise stammten Zitate, die aufgrund ihres rassistischen Inhalts zunächst im 19. Jahrhundert verortet wurden, tatsächlich aus den frühen 2000ern.

Die Teilnehmenden mussten sich selbst somit kontinuierlich reflektieren, um vorschnelle Urteile zu vermeiden. Historisch gewachsene, rassistische Narrative sind bis heute ein Teil unserer Gesellschaft.

We Refugees Archive

Einen quellen- und biographiebasierten Ansatz bot der Workshop von Dr. Anne von Oswald und Anna-Elisabeth Hampel. Sie sind Teil des We Refugees Archive, das Materialien zu geflüchteten Menschen in der Historie und der Gegenwart sammelt.

Die Teilnehmenden sollten verschiedene Quellen bearbeiten und vergleichen. Sie arbeiteten Kontinuitäten und Brüche in den Quellen heraus. So zeigte sich, wie ähnlich Fluchterfahrungen in der Vergangenheit und Gegenwart sein können.

Das Archiv könnte etwa in der schulischen Bildung genutzt werden. Die Teilnehmenden schlugen vor, das Quellenmaterial in einem partizipativen Ansatz zu verwenden. So könnten beispielsweise Schüler*innen gemeinsam mit Lehrkräften von der Sammlung profitieren.

Selbstreflexive Zugänge

Franziska Göpner vom Projekt Verunsichernde Orte zeigte, welche Fallstricke in der historischen Bildungsarbeit zu bedenken sind. Ihr Workshop „Selbstreflexive Zugänge in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und Holocaust“ befasste sich mit der „Themenzentrierten Interaktion“.

Das Modell des „TZI-Dreiecks“ zeigt dabei die Wechselwirkungen zwischen Lernenden, Lehrenden und einem historischen Erinnerungsort.
Beschäftigte in einer Gedenkstätte müssten in ihrer Erinnerungsarbeit die bestehenden Narrative und Annahmen berücksichtigen, mit denen die Lernenden ihre Einrichtungen besuchen. Für eine differenzierte Erinnerungsarbeit gelte es, Verflechtungen zwischen der Umwelt und den lernenden Gruppen zu berücksichtigen.

Das „TZI-Dreieck“ gibt einen möglichen Ansatz für praktische Erinnerungsarbeit. Quelle: Wikimedia, Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication, Hugo Eigensinn.

Der Ansatz machte sich somit für eine Erinnerungsarbeit stark, in der eine stetige (Selbst-)Reflexion unumgänglich ist. Es sei entscheidend zu verstehen, dass in einer pluralistischen Gesellschaft auch plurale Positionen und damit plurale Erinnerungen vertreten würden.

Fazit?

Abschließend präsentierte Larissa Bothe die Ergebnisse unseres zweitägigen Programms. Diese erscheinen zunächst einmal „frustrierend“, denn wie Frau Bothe festhielt: „Die „eine“ Erinnerungskultur gibt es nicht.“ Erinnerungen seien dafür zu vielfältig.

Im Laufe der Veranstaltungen stellte sich immer mehr heraus, dass die diverse Gesellschaft, in der wir leben, ebenso pluraler Ansätze bedarf. Es sei dabei wichtig, unterschiedlichen Positionen auch mit einer gewissen Widerspruchstoleranz zu begegnen, so Bothe.

In der praktischen Erinnerungsarbeit sei es nicht zielführend, zu erwarten, dass stets alle Aspekte von allen Bildner*innen berücksichtigt würden. Es brauche eine gewisse „Fehlertoleranz“ und ein konstruktives Miteinander. In diesem müsste auf Missstände hingewiesen und marginalisierten Personen verschafft werden.

Eine Voraussetzung für dieses Miteinander sei auch die Bereitschaft zum Dialog. Es gelte zu erkennen, dass unsere eigenen Ansichten nur einen Teil eines großen Gesamtbildes darstellen.

In diesem Dialog der Erinnerungsarbeit müssten vor allem Betroffenengruppen eingebunden werden – gerade weil ihren Erfahrungen uns unangenehm sein können. Erst diese Konflikte erlauben es uns, einen neuen, gemeinsamen Blick auf das Erinnern zu werfen.

Über den Autor

Michèle W.

Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin.

Alle Artikel anzeigen