Geschichte der Nordstadtliga

Wer von Dortmund und Fußball spricht, meint meist den BVB. Und wer die Geschichte des Bundesliga-Clubs gut kennt, weiß zudem, dass Borussia Dortmund der Nordstadt enger verbunden ist als jedem anderen Stadtteil der Ruhrgebietsmetropole. Schon seit mehr als 20 Jahren gibt es in der Dortmunder Nordstadt aber noch ein anderes Fußballthema, das für Aufmerksamkeit sorgt. Denn im Jahr 2001 wurde dort die Nordstadtliga gegründet – ein besonderes Straßenfußballprojekt, das auch bei den Profis vom BVB gut ankommt.   
Die Dortmunder Nordstadt ist mit rund 60.000 Einwohnern ein recht großer und sehr kinderreiche Stadtteil, der zugleich große Probleme mit Armut hat.
Die Straßenfußballliga wurde damals vom Jugendamt und der AWO Streetwork sowie dem Fanprojekt Dortmund e.V. ins Leben gerufen.  
Die Liga läuft übers ganze Jahr und ist für Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Altersklassen und mit verschieden ethnischen, religiösen und kulturellen Backgrounds. Auch die Mädchen haben im August 2022 ihre eigenes Fußballprojekt gegründet, die „Nordstadtliga-Queens“.
Die Nordstadtliga erreicht Jugendliche, die von Rassismus und Ausgrenzung betroffen sind, die in den Schulen oft Probleme haben, die sonst aus verschiedenen Gründen einfach unter dem Radar der Aufmerksamkeit laufen. Auch die Mitgliedschaft in normalen Fußballvereinen wäre eine Hürde für viele von ihnen. Die Nordstadtliga ist niedrigschwelliger. Hier fühlen sich die Jungen und Mädchen anerkannt, öffnen sich vielleicht auch und berichten über ihre Schwierigkeiten, die dann gemeinsam bearbeitet werden können.

Mirza Demirović – Das Herz der Nordstadtliga

Geleitet wird das Projekt seit Ende 2019 von Mirza Demirović, anfangs ehrenamtlich, inzwischen gibt es eine Finanzierung für seine Stelle. Er lernte die Nordstadtliga schon 2010 kennen. Damals begleitete er als Sozialarbeiter im Rahmen seiner Arbeit mit Geflüchteten ein Team der Liga. Er kennt die spezifischen Verhältnisse in der Nordstadt besser als viele andere. Nach seiner seiner Flucht aus Bosnien in den 1990ern hat er selbst dort gelebt. Das erleichtert seine Zugänge zu den Kids.

Es geht immer um die Kinder und Jugendlichen und deren Wünsche und Bedürfnisse. Ich bin glücklich, wenn die Kids glücklich sind

Mirza Demirović

Mehr als nur Fußball

Die Nordstadtliga ist also nicht nur ein Ort zum Fußballspielen. Projektleiter Mirza Demirović sagt, dass mit der Nordstadtliga die Vermittlung einer Haltung verbunden ist. Sie soll die sozialen Ungleichheiten, Rassismus und Antisemitismus entgegenwirken:
„Wir stehen dafür, dass wir uns gegen jegliche Diskriminierung engagieren, also gegen Ausgrenzungen, von denen auch die Teilnehmenden der Liga häufig betroffen sind.“

Politische Arbeit geht auch mit Ball

Verbunden mit dem Sport werden auch politische Themen vermittelt. So wird in der Liga der Mehmet-Kubaşık-Cup ausgetragen, der an die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) erinnert. Eines der NSU Opfer war der aus der Nordstadt kommende Mehmet Kubaşık. Er prägte einst den legendären Satz: „Heute spielt Heimat, heute spielt Dortmund.“  
Aber auch am Heinrich-Czerkus-Lauf beteiligte sich die Nordstadtliga, in Gedenken an den ehemaligen Platzwart von Borussia Dortmund, einen kommunistischen Widerstandskämpfer während des Nationalsozialismus. Zudem sind Antisemitismus und Gadjé-Rassismus Themen für die Beteiligten, etwa im Rahmen des „Djelem Djelem“-Festival in Dortmund. In Zusammenarbeit mit Patrick Owomoyela, einem ehemaligen Nationalspieler und Spieler des BVB, konnte an verschieden Schulen, beispielsweise der Anne-Frank-Gesamtschule in Dortmund, der Film „Schwarze Adler“ gezeigt werden. Der Film thematisiert die Erlebnisse Schwarzer Spieler aus dem deutschen Profifußball und ihre Erfahrungen mit Rassismus. Im Nachhinein haben die Kindern und Jugendlichen gemeinsam mit Patrick Owomoyela über das Thema Rassismus und dem Umgang damit diskutiert.

In der Saison 2022/2023 wurde im Rahmen des Ligabetriebs eine komplette Woche lang das Projekt Europe direct durchgeführt. Kinder und Jugendliche hatten die Möglichkeit, sich über die Angebote der EU zu informieren, gleichzeitig Kritik und Wunsch an die EU zu äußern. 350 Kinder aus der Nordstadt haben an diesem einwöchigen Projekt teilgenommen.

„Herr*innen ihrer Lage“

Oberstes Prinzip der Nordstadtliga ist Eigenverantwortung. Die Kinder und Jugendlichen organisieren sich selbst. Die einzelnen Teams dürfen sich nennen, wie sie wollen, es darf nur nichts rassistisches, diskriminierendes oder dezidiert politisches beinhalten.

Wir spielen fair – wir sind immer fair zu den anderen, wir haben immer ein offenes Ohr für alle!

Zitat und Motto der Kids aus der Nordstadtliga

Für schwerwiegendere Fouls, Beleidigungen ist der Ligarat zuständig, der aus den Kapitänen aller Teams besteht. Der Ligarat trifft sich vor den Spieltagen und bespricht mögliche Strafen und Konsequenzen. Soll sie für eine Woche oder doch nur für zwei Spieltage gesperrt werden, darf er überhaupt wiederkommen?
„Die Jugendlichen sind Herr*innen ihrer Lage“ sagt Mirza Demirović

Respektpokal

Neben dem Pokal für die beste fußballerische Leistung gibt es in der Nordstadtliga einen weiteren Pokal zu gewinnen. Der viel größer ist als der normale Siegercup: der Respektpokal.
Die Teams starten mit drei Punkten in den Spieltag, für respektloses Verhalten oder Diskriminierung jeglicher Art werden Punkte abgezogen. Auch hier gilt: Die Jugendlichen entscheiden selbst über die Regeln und die Abzugsverfahren.
Am Ende der Saison überreicht Edin Terzić überreicht den Respektpokal, der Trainer von Borussia Dortmund. Ihm ist die Unterstützung der Nordstadtliga eine Herzensangelegenheit, wie er in einer Dokumentation des TV-Senders Sky sagte. Das Respektpokal-Gewinnerteam darf außerdem mit dem Mannschaftsbus quer durch die Stadt zum Fußballtraining von Borussia Dortmund fahren. Dort bekommen die Teammitglieder eigene BVB-Trainingssachen.

Die Stiftung des BVB, „leuchte auf“, ist Ende 2020 finanziell in das Projekt eingestiegen. Sie unterstützt seit 2012 gemeinnützige Projekte insbesondere in Dortmund und dem Ruhrgebiet.

Mirza wünscht sich für die Zukunft Stabilität, ein erstes Ziel wurde jetzt erreicht: Die Nordstadtliga hat jetzt ein festes Büro. Als Ort hätten sie keine schönere Adresse wählen können als den Borsigplatz 09. Denn in unmittelbarer Nähe wurde der Verein Borussia Dortmund NeunzehnhundertNullNeun gegründet.

Titelbild BVB

Über den Autor

Jette Franke

macht seit September 2023 einen Bundesfreiwilligendienst (Politik) in der Geschäftsstelle von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. in Berlin.

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