Heute startet unsere neue Serie ARBEITSMARKT IN DER MIGRATIONSGESELLSCHAFT. Eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe von  Menschen an der Gesellschaft ist ein Beruf oder eine Arbeit. Wir fragen  nach Entwicklungen und Unterschieden zwischen Menschen mit und ohne  Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt. Klar ist: ohne Zuwanderung würde in vielen Branchen kaum noch etwas funktionieren.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird in verschiedenen Ländern der Welt der erste Mai als Labour Day beziehungsweise Tag der Arbeit gefeiert. In Europa jährt sich am ersten Mai aber noch ein anderes historisches Datum: Im Jahr 2004 wurden erstmals europäische Länder des ehemaligen „Ostblocks“ in die Europäische Union aufgenommen.

Im Zuge dieser ersten, sogenannten EU-Osterweiterung schlossen sich Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn sowie der griechische Landesteil Zyperns dem europäischen Staatenbund an. Bis 2013 folgten Rumänien, Bulgarien und Kroatien. Die EU entwickelte sich somit zum größten Binnenmarkt weltweit. Gleichzeitig garantieren offene Grenzen die Freizügigkeit aller EU-Bürger:innen innerhalb der Außengrenzen. Außerdem wird von ihnen in EU-Staaten keine zusätzliche Arbeitserlaubnis benötigt. Kein Wunder also, dass viele die Möglichkeit nutzen, auch im Ausland zu arbeiten und zu leben.

Wie alles begann….

Unabhängig von der Gründung der Europäischen Union hatte es schon immer arbeitsbedingte Migration gegeben. Das Anwerbeabkommen zwischen Westdeutschland und der Türkei 1961 beispielsweise beweist, dass Arbeitsmigration auch ohne ein umfangreiches, internationales Bündnis wie der EU gefördert werden kann. In ihrer Gründungsgeschichte spielen wirtschaftliche Vorteile durch Freizügigkeit und Handelsfreiheit aber eine ebenso große Rolle wie die politische Solidarität zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten.

1951 schlossen sich zunächst Frankreich, die BRD, Belgien, Luxemburg, Italien und die Niederlande zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zusammen. 1957 entwickelte sich daraus die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Ihr Hauptaugenmerk galt – wie der Name bereits besagte – der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Bündnisstaaten. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Europäische Gemeinschaft um weitere Mitgliedstaaten an. 1992 schließlich gründete sich die Europäische Union als Nachfolgebündnis der EWG. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Vereinbarungen verfolgt der Staatenbund mit eigenem Parlament fortan auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie beispielsweise Vereinbarungen im Kultur-, Gesundheits- und im polizeilichen Bereich. 2012 wurde die EU als wichtiger Stabilitätsfaktor in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

EU-Osterweiterungen gegen die europäische Teilung

Während sich die ersten, westeuropäischen Staaten in den 1950er Jahren zu einer engen Zusammenarbeit verpflichteten und mit den USA verbündeten, baute die sowjetische UdSSR ihren Einfluss in den östlichen Staaten Europas weiter aus. Der Kontinent war gespalten. Als 1989 und 1990 dieser „Eiserne Vorhang“ endlich fiel, stand Europa vor einer herausragenden Aufgabe. Es galt die europäische Teilung in Ost und West zu überwinden. Nach mehreren Assoziierungsabkommen innerhalb der 1990er Jahre, begannen 1997 erste Beitrittsverhandlungen ehemaliger, europäischer Ostblock-Staaten mit der Europäischen Union.

Der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten ist aber wahrlich kein westeuropäischer Gnadenakt. Er ist eine historische Notwendigkeit.

Bundespräsident Johannes Rau, am 30. April 2004

Seit 1993 bestimmen die Kopenhagener Kriterien die Grundbedingungen für einen Beitritt in die EU. So müssen die jeweiligen Kandidaten beispielsweise über eine konkurrenzfähige Marktwirtschaft verfügen, einen gewissen Grad an politischer Stabilität aufweisen und sich in Worten und Taten zu den Menschenrechten und Grundwerten der Europäischen Union bekennen. Innerhalb der betroffenen Staaten wurde der Beitritt mit einem Referendum im Jahr 2003 beschlossen. Trotz der erfolgreichen Verhandlungen und Volksabstimmungen wurden die Osterweiterungen auch von scharfen Protesten begleitet.

Anfängliche Befürchtungen

Eine Angleichung an den Westen bedeutete in vielen Staaten Osteuropas zunächst große wirtschaftliche Chancen. Vorrangig nationalistische Initiativen und Parteien lehnten jedoch in lautstarken Protesten die Kopenhagener Kriterien als „Diktat“ der westeuropäischen Staaten ab. Mit einem Beitritt in den internationalen Bund, fürchteten und fürchten bis heute viele den Verlust der nationalen Unabhängigkeit.

In den alten Mitgliedstaaten wurden wiederum Bedenken über die möglichen wirtschaftlichen Folgen der EU-Osterweiterungen geäußert. Laut Statistiken stimmte 2004 in Deutschland weniger als ein Drittel der Bevölkerung der Osterweiterung zu. Die größten Sorgen drehten sich um den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen durch einen verstärken Zuzug „günstigerer“ Arbeitskräfte. Und wie stark würden die Löhne hierzulande infolgedessen wohl sinken?

Verstärkte Migration als Folge

Entsprechend der genannten Prognosen verstärkten sich seit 2006 Migrationsbewegungen nach Deutschland, ausgelöst vor allem durch die vielen Arbeitnehmer:innen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten. Im Jahr 2020 zählte Polen zu dem Land, aus welchem die zweitgrößte Anzahl an Migrant:innen in Deutschland stammen. Während in den westlichen Ländern mit den EU-Osterweiterungen die Immigration also zunahm, sind die östlichen, neueren EU-Länder von deutlichen Abwanderungsbewegungen betroffen. 2017 befanden sich beinah 20 Prozent aller Erwerbsfähigen zwischen 20 und 64 Jahren aus Rumänien im Ausland. Haben sich die Prognosen über negative Folgen für die beteiligten Staaten demnach bewahrheitet?

Wirtschaftlicher Aufschwung

Allen Befürchtungen zum Trotz belegen verschiedene Studien seit Beginn der 2010er Jahre wirtschaftliche Wachstumsraten in Folge der EU-Osterweiterungen – und das sowohl auf Seiten der alten, wie auf Seiten der neuen Mitgliedstaaten. Durch Aufbauhilfen und durch die Beteiligung am EU-Binnenmarkt stieg beispielsweise das Brutto Inlands Produkt (BIP) Polens zwischen 2000 und 2020 um 96 Prozent an. In Deutschland wiederum profitieren viele Unternehmen von der Möglichkeit zollfreie Waren in die neuen EU-Länder zu liefern.

Der erwartete Verlust von Arbeitsplätzen innerhalb der westlichen EU-Länder hielt sich dabei in Grenzen. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, gleichen sich auch die Gehälter in den neuen Mitgliedstaaten weiter an. In Folge emigrieren immer weniger Menschen. Dabei sind manche Branchen in Deutschland inzwischen auf Arbeitnehmer:innen aus dem Ausland angewiesen.

Probleme und Prognosen: Wird es weitere EU-Osterweiterungen geben?

Diskussionen ranken sich derweil um die politischen Folgen der EU-Osterweiterungen. So wurden in den 2010er Jahren wiederholt Bedenken an illiberalen, politischen Maßnahmen in einigen der neueren Mitgliedstaaten geäußert. Die Zurechtweisungen werden oft mit Kritik an dem europäischen System beantwortet. Doch auch in westlichen EU-Ländern haben nationalistische Parteien an Gewicht gewonnen, die eine zunehmend EU-feindliche Haltung einnehmen. 2016 erfolgte mit dem britischen Referendum erstmals der Austritt eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union.

Während die einen gehen, wollen andere beitreten: Seit 2005 finden Verhandlungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union statt. Auch weitere Balkanstaaten wie beispielsweise Serbien, Montenegro und Albanien streben einen Beitritt in die EU an. Die Verhandlungen gehen jedoch nur schleppend voran. Fortbestehende wirtschaftliche Schwierigkeiten Rumäniens und Bulgariens sowie politische Auseinandersetzungen mit Ungarn und Polen werden unter anderem als Gründe für die gehemmte Aufnahmebereitschaft der EU genannt. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine steht auch verstärkt die Eingliederung der Ukraine in den europäischen Staatenbund zur Debatte. Der ausdrückliche Wunsch zu diesem Beitritt sowie Abkommen mit der Europäischen Union prägen die ukrainische Politik schon über 20 Jahre. Im Zusammenhang des Krieges gewinnen aber besonders die sicherheitspolitischen Ziele der Europäischen Union an Bedeutung. Wie eine folgende Osterweiterung letzten Endes ablaufen könnte, lässt sich indes nur schwer vorhersagen.

Titelbild: Seit den Osterweiterungen zieht es viele Menschen aus östlichen Ländern der EU zum Arbeiten in westliche EU-Staaten, Foto: pixabay, lizenzfrei.

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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