Kaum eine politische Debatte ist so stark polarisiert wie die Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt – verstanden als Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Im öffentlichen und medialen Diskurs entsteht oft der Eindruck, es gebe lediglich zwei Positionen. Dass es sehr viele unterschiedliche Perspektiven gibt, zeigt nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit dem Konflikt in der historisch-politischen Bildung. Der Berliner Verein ufuq, der zu Pädagogik, politischer Bildung und Prävention in der Migrationsgesellschaft arbeitet, hat 2023 die Publikation „Über Israel und Palästina sprechen. Der Nahostkonflikt in der Bildungsarbeit“ herausgegeben. Darin werden Hintergründe und Herausforderungen in Bezug auf den Konflikt dargestellt sowie Methoden und Zugänge der politischen und historischen Bildung erläutert.

Hintergründe und Herausforderungen

Ufuq e.V. zufolge ist der Nahostkonflikt in Schulen ein wiederkehrendes Thema. Dabei gehe es nicht nur um die Ereignisse des Konflikts, sondern auch um den Umgang damit in Deutschland. Dieser sei „eine Projektionsfläche für Auseinandersetzungen, in denen auch das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft beispielsweise im Zusammenhang mit migrations- und geschichtspolitischen Fragen verhandelt“ (Über Israel und Palästina sprechen, S. 6) werde. Durch den eigenen familiären Hintergrund spiele der Konflikt für viele Schülerinnen und Schüler auch im Alltag eine Rolle. 

Der Umgang mit kontroversen Äußerungen 

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass der Umgang mit dem Nahostkonflikt für Lehrerinnen und Lehrer oft herausfordernd ist. Insbesondere in Bezug auf kontroverse Äußerungen stellt sich ihnen die Frage, inwiefern diese als antisemitisch oder rassistisch zu bewerten sind. Die Diskussion problematischer Positionen ist allerdings ein wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit und in dem „Kontroversitätsgebot“ der politischen Bildung verankert. Daraus ergibt sich „die Notwendigkeit, auch solche Positionen abzubilden, die jenseits des gesellschaftlichen Mainstreams angesiedelt sind und Gewissheiten in Frage stellen“ (Über Israel und Palästina sprechen, S. 6). Als didaktisches Prinzip ist die Kontroversität nicht auf die Darstellung unterschiedlicher Interessen beschränkt. Darüber hinaus fördert sie kritisches Denken, indem Gegensätze aufgezeigt werden. Kontroversen seien daher auch Chancen für Lernerfahrungen, da sie unterschiedliche Denkweisen und Alternativen deutlich machen. Die Grenzen der Kontroversität lägen in der Anerkennung der Menschenwürde und -rechte sowie der Akzeptanz unterschiedlicher Überzeugungen, Interessen und Orientierungen. 

Antisemitismus- und rassismuskritische Ansätze 

Im Umgang mit dem Nahostkonflikt sind antisemitismus- und rassismuskritische Ansätze laut ufuq e.V. von zentraler Bedeutung. Die antisemitismuskritische Bildungsarbeit wirke Pauschalisierungen entgegen und hinterfrage Projektionen, in denen Jüdinnen und Juden oder Israel für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht werden. Die rassismuskritische Bildungsarbeit greife Erfahrungen mit individueller und struktureller Diskriminierung und Gewalt auf. Diese seien für viele Jugendliche mit palästinensischen oder anderen Familiengeschichten prägend. In Bezug auf die politische Bildungsarbeit zum Nahostkonflikt plädieren die Autorinnen und Autoren für die Verbindung antisemitismus- und rassismuskritischer Ansätze.  

Förderung von Multiperspektivität und Ambiguitätskompetenz

Aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen und Interessen, die sich im Nahostkonflikt gegenüberstehen, eignet sich die Auseinandersetzung damit besonders zur Förderung von Multiperspektivität und Ambiguitätskompetenz, so ufuq e.V. Auch die Thematisierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie marginalisierten Positionen kann in diesem Rahmen erfolgen. Dies bezieht sich auch auf die Bedeutung historischer Erfahrung und Erinnerung, die mit unterschiedlichen Perspektiven auf historische Ereignisse verbunden ist. Dabei seien sowohl persönliche und familiäre Erfahrungen als auch politische und gesellschaftliche Diskurse prägend. Demnach biete sich „die Chance, historische Ereignisse wie den Holocaust, die koloniale Geschichte der Region, die Staatsgründung Israels und die Nakba als prägende, aber biografisch unterschiedlich fortwirkende Ereignisse sichtbar zu machen“ (Über Israel und Palästina sprechen, S. 11)

Methoden und Zugänge der historisch-politischen Bildung 

Die Autorinnen und Autoren zeigen zudem die Möglichkeit auf, den Nahostkonflikt in Bezug zu anderen zentralen Themen der politischen Bildung wie etwa Identität, Zugehörigkeit, Erinnerung und gesellschaftliche Vielfalt zu setzen. Dabei könne auf persönliche Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler sowie auf Themen, die sie in ihrem Alltag beschäftigen, eingegangen werden. Dies sei beispielsweise die Sorge vor dem Anwachsen rechtsextremer Bewegungen, die Jüdinnen und Juden sowie Menschen mit palästinensischen oder anderen Migrationsgeschichten teilen. 

In der historischen Bildung lässt sich ufuq e.V. zufolge an eine Vielzahl erinnerungspolitischer Fragen anknüpfen, im Rahmen derer das Fortwirken von Geschichte in Gesellschaft und Politik diskutiert werden kann. Dadurch werden auch Perspektiven sichtbar, die in der öffentlichen Wahrnehmung ansonsten zu kurz kommen. Insbesondere in der Migrationsgesellschaft sei die „Pluralisierung und Mehrperspektivität der Erinnerung“ von besonderer Bedeutung. Dabei ginge es nicht um die Relativierung zentraler Ereignisse, sondern um die Auseinandersetzung mit individuellen und gesellschaftlichen Kontexten der Erinnerung an Geschichte. 

Quelle: https://kn-ix.de/wp-content/uploads/2023/01/KNIX-Arbeitshilfe-Nahostkonflikt-Webfassung.pdf
Titelbild: Die Publikation "Über Israel und Palästina sprechen. Der Nahostkonflikt in der Bildungsarbeit" von ufuq.

Über den Autor

Annalena Piper

studiert Interdisziplinäre Antisemitismusforschung am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

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