Raubkunst in deutschen Museen, Wiedergutmachungszahlungen an Herero und Nama oder Debatten über Zusammenhänge zwischen dem Holocaust und Kolonialverbrechen… Spätestens mit der Verbreitung der (Post-)Colonial Studies in Deutschland rückt die koloniale Vergangenheit ins Bewusstsein der deutschen Gesellschaft. Dennoch gibt es nach wie vor Themen, die oft nur am Rande Erwähnung finden. Eines davon ist der Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika.
1885 wurde die deutsche Kolonie auf dem heutigen Gebiet von Tansania, Ruanda, Burundi und eines Teils von Mosambik gegründet. Knapp 20 Jahre später, am 20. Juli 1905, begann eine Erhebung der indigenen Bevölkerung gegen die Kolonialherrschaft. Im Februar 1907 endete sie mit der Niederlage der Aufständischen. Dazwischen herrschte ein erbitterter Krieg zwischen der Widerstandsbewegung und den deutschen Kolonialherren.
Widerstand von Anfang an
Als sich 1884 die ersten Deutschen an der Ostküste Afrikas niederließen, stießen sie auf eine indigene Bevölkerung, die ihr Land und ihre Freiheit keineswegs kampflos aufgeben würde. In mehreren kleinen Aufständen, vor allem ab 1891, versuchten lokale Gruppen die Fremdherrscher zu vertreiben. Diese nahmen nicht nur ganze Gebiete für sich in Anspruch, sie verlangten auch Steuern von den Ortsansässigen. Um diese Einnahmen zu sichern, wurde jeder Aufstand sogleich blutig niedergeschlagen. Dazu verfügte das Deutsche Reich in Ostafrika über sogenannte „Schutztruppen“; Kampfeinheiten bestehend aus afrikanischen Söldnern. Sie stammten aus anderen Gebieten Afrikas und standen den Bewohner:innen der deutschen Kolonie selbst als Fremde gegenüber. Die Kolonialherren mussten also nicht befürchten, dass die Söldner und die Bevölkerung vor Ort zusammenarbeiten würden.
Was sie bislang aus den Kolonien erbeuten konnten, war den Herrschern wiederum nicht genug. Bereits vor der Jahrhundertwende zeichnete sich ab, dass die Einnahmen aus den Kolonien hinter den Ausgaben – z.B. für die notwendigen Söldnerheere – zurückblieben. Aus diesem Grund erhob die Kolonialbehörde in Deutsch-Ostafrika ab 1898 zunächst eine „Hüttensteuer“. Da viele Einwohner:innen diesen Betrag nicht zahlen konnten, mussten sie ihre Steuerschulden mit Zwangsarbeit begleichen. 1905 wandelte die zuständige Administration die „Hüttensteuer“ in eine „Kopfsteuer“ um. Jetzt waren also nicht nur auf einen Haushalt, sondern auf jede einzelne Person Steuern angesetzt. In Folge dessen stieg die Verschuldung der Bevölkerung und damit die Zwangsarbeit weiter an. Zugleich drohte eine Hungersnot, denn neben den fremden konnten die eigenen Felder nicht mehr bewirtschaftet werden.
Magisches Wasser gegen fremde Gewehre
Mehrere Niederlagen hatten der lokalen Bevölkerung gezeigt, dass sie einem übermächtigen Gegner gegenüberstanden. 1904 schöpften dennoch viele von ihnen neue Hoffnung. Im Süden der Kolonie verbreitete sich die Botschaft des Heilers Kinjikitile Ngwale, der ein Wundermittel im Kampf gegen die Kolonialherren vorstellte: das Maji. In der lokal verbreiteten Sprache Swahili bedeutet Maji „Wasser“. Bei Ngwales Maji handelte es sich jedoch um ein spezielles, heiliges Wasser. Mit Hirse zu einem flüssigen Brei weiterverarbeitet, sollte es von Kämpfern getrunken, auf der Haut verteilt oder in einem Gefäß mitgeführt werden. Laut Ngwale würden sich die Gewehrkugeln der gegnerischen Truppen auf den so geweihten Körpern der indigenen Kämpfer in Wasser verwandeln und einfach an ihnen abperlen. Das Maji machte die Aufständischen in ihrem Glauben also unverwundbar.
Den Reden des Heilers folgend, schlossen sich im südlichen Teil der Kolonie mehrere lokale Bevölkerungsgruppen zu einer Widerstandsbewegung zusammen. Ihre Erhebung begann am 20. Juli 1905 als die Aufständischen zunächst ein Baumwollfeld vernichteten – zum Zeichen gegen die dort verübte Zwangsarbeit.
Der Maji-Maji-Aufstand
In den ersten eineinhalb Monaten des Maji-Maji-Aufstands – benannt nach ihrem Wundermittel – konnten die Aufständischen einige Siege davontragen. Bis zu einem Fünftel der Kolonie eroberten sie von den Kolonialherren zurück. Im Deutschen Reich hatte scheinbar niemand mit der Erhebung gerechnet. Und das obwohl ein Jahr zuvor in Deutsch-Südwestafrika bereits der Herero-Aufstand ausgebrochen war.
Eine entscheidende Wende des Krieges zwischen Fremdherrschern und afrikanischer Bevölkerung stellte sich schon Ende August 1905 ein: In der Schlacht um den deutschen Militärstützpunkt Mahenge konnten sich die Kolonialherren mit ihren „Schutztruppen“ gegen die Aufständischen behaupten. Viele Kämpfer der Widerstandsbewegung starben. Nachdem das Maji nicht die bisher erhoffte Wirkung erzielt hatte, planten sie nun kleinere Guerilla-Angriffe statt offene Schlachten entlang einer bestimmten Front. Aber auch die gegnerischen Truppen wechselten ihre Taktik: Fortan arbeiteten sie auf einen Zusammenbruch der Widerstandsbewegung hin indem sie Felder und Siedlungen in Brand setzten. Mit deren Vorräten nahmen sie der indigenen Bevölkerung jegliche Lebensgrundlage. Wer wiederum als aufständischer Kämpfer in Gefangenschaft geriet, wurde direkt getötet oder musste fortan Zwangsarbeit leisten.
Im Laufe des Jahres 1906 hatten die Kolonialherren alle Gebiete der Kolonie zurückerobert. Die Kämpfe dauerten jedoch weiter an. Noch über die offizielle Verkündung des Kriegsendes im Februar 1907 hinaus stritten Widerstandskämpfer für die Beseitigung der Fremdherrschaft. 1908 endeten ihre letzten Versuche. Bis dahin fielen über 180.000 Menschen dem Krieg zum Opfer. Dabei handelte es sich um 465 Deutsche und afrikanische Söldner auf der einen und um etwa ein Drittel der indigenen Bevölkerung auf der anderen Seite. In heutigen Schätzungen schwanken die Zahlen der indigenen Verluste im Maji-Maji-Aufstand zwischen 180.000 und 300.000 Menschen. Manche von ihnen waren im Kampf oder als Gefangene getötet worden. Andere starben an den Folgen von Hunger, der durch die Zerstörung ihrer Häuser, Felder und Brunnen ausgelöst wurde.
Eine deutsche Sichtweise damals und heute
Obwohl von den deutschen Besatzern eine erheblich geringere Zahl an getöteten Aufständischen gemeldet wurde, äußerten sich viele deutsche Politiker schockiert über das brutale Vorgehen ihrer Truppen. Bereits 1905 beschloss der Reichstag ein Gesetz, wonach Sklaverei in den Kolonien schrittweise abgeschafft werden sollte. Am Bestehen der Übersee-Gebiete hielt man jedoch fest. Umso größer war der Aufschrei als Deutschland diese nach dem Ende des Ersten Weltkrieges an die Alliierten abtreten musste.
Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein waren Kolonien aus Sicht der europäischen Kolonialherren eine Selbstverständlichkeit. Mit dem Verlauf der ersten Dekolonisierungskriege, die zu einer endgültige Befreiung der betroffenen Länder führten, änderte sich dieses Bild. Auch innerhalb Europas verstärkte sich die Kritik an der Besetzung fremder Gebiete. Derweil setzten sich in den ehemaligen Kolonien Nachteile und negative Folgen weiter fort. Bis heutige sind viele Länder Südamerikas und ein großer Teil des afrikanischen Kontinents von Armut und starker wirtschaftlicher Abhängigkeit von nördlichen Industriestaaten betroffen.
In Deutschland steht die eigene koloniale Vergangenheit und damit Verantwortung für die gegenwärtige Lage in Afrika weiter im Hintergrund. Rassistische Denkmuster aus der Kolonialzeit wirken bis heute fort. Dabei bezeugen vermehrt geführte Debatten, dass mit diesem vergessenen Teil der Geschichte allmählich auch das eigene problematische Erbe aus der Kolonialzeit in den Blick kommt. Ein Wandel stellt sich ein. Die Hartnäckigkeit mit der sich die Debatten bisher behaupten müssen, zeigt aber auch: Wir stehen erst am Anfang.
Titelfoto: SmallmanA auf Pixabay, gemeinfrei