Dieser Beitrage ist Teil unserer sechsteiligen Sommerserie „Musik in der Migrationsgesellschaft“.

Jeglicher Form von Auswanderung liegt stets eine Notsituation oder eine Zwangslage zugrunde. Es kann politischer oder religiöser Druck sein. Es können aber auch wirtschaftliche Notlagen sein. Viele politisch Aktive hatten nach der gescheiterten Revolution im Jahre 1848 die Hoffnung auf ein demokratisches Deutschland verloren und verließen deshalb die Heimat. Auswandererlieder erzählen über die Motive des Weggehens.

Hauptgrund für die meisten Auswanderer ist und war aber die wirtschaftliche Situation. Im 19. Jahrhundert plagten die Menschen Hungersnöte, die durch Missernten, Wirtschaftskrisen in der Gründerzeit und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgerufen wurden. Auch die Landknappheit machte vielen ein Überleben in Deutschland kaum mehr möglich. Grund für die Landknappheit war ein Erbrecht, das das Land in immer kleinere Parzellen aufteilte. Durch die beginnende Industrialisierung starben außerdem ganze Berufszweige aus. Aber auch Abenteuerlust, Gewinnstreben und Goldrausch bewegten so manchen dazu, der Heimat den Rücken zu kehren.

Die meisten Auswanderer wollten in die USA. Im 19. Jahrhundert verließen etwa 52 Millionen Menschen Europa. 32 Millionen in Richtung USA. Zwischen 1820 und 1930 gelangten knapp sechs Millionen Deutsche in die USA. Viele bildeten in den ländlichen Gebieten deutsche Gemeinschaften, wo man den gleichen Dialekt sprach. Vielerorts entstand so ein „Little Germany“, und erst die Enkel dieser Einwanderer verstanden sich tatsächlich als Amerikaner.

„Und in Amerika leid‘ man kein Noth …“ Motive des Weggehens in Auswandererliedern

In der Rückschau lassen die Auswandererlieder so etwas wie ein Selbstzeugnis der Betroffenen vermuten. So werden in den Liedern die vielfältigen Motive des Weggangs über den „großen Teich“ deutlich. Vor allem bei den Schilderungen von Notsituationen, denen die Auswanderer entfliehen wollen, sprechen die Liedtexte für sich selbst. Sie erzählen z.B. von den hohen Erwartungen, mit denen die Auswanderungswilligen ihrem Ziel Amerika entgegensehen. Amerika wird mehr oder weniger als ein Land geschildert, wo jede Misere des Heimatlandes in ihr Gegenteil verkehrt wird. Darum vermitteln diese Lieder auch kein reales Bild von Amerika.

Endlich Brüder, will’s der Himmel
Die längst gewünschte Stunde naht,
Endlich aus Europa’s Volksgetümmel,
Geh’n wir in’s Land Amerika.

Mit Kummer, Sorgen und viel Plagen,
Sind krumm geworden wir alsbald schier,
Drum wollen wir es weiter wagen
Mit Weib und Kindern ziehen wir.

Ist einer, der nicht hat den Muth,
Oder hält das Heimweh ihn,
Der bedenke nur, wie schön und gut,
Amerika wird sorgen für ihn.

Ja man hat bei der schwersten Arbeit
Klein Verdienst und wenig Brod,
Tag und Nacht viel Herzeleid,
Und in Amerika leid‘ man kein Noth …

Lied auf einem Flugblatt mit dem Titel „Auf der Reise nach Ame­rika“ aus dem 19. Jahrhundert Röhrich, Lutz, Auswandererschicksal im Lied, in: Assion, Peter (Hg.), Der große Aufbruch. Studien zur Amerikaauswanderung, Marburg 1985 (Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung 17), S. 71.

Auch der Hamburger Volksliedsänger Christian Hansen (1822-1879) will der Not in Deutschland entfliegen, obwohl ihm die Gefahren der Reise und der Schmerz des Abschiedes bewusst sind. In seinem Lied, das auf die Zeit zwischen 1846 und 1878 datiert wird, heißt es:

Ade, du theures Vaterland,
Es winkt zum Abschied unsre Hand;
Zwar trübet sich nun unser Blick,
Doch lächelt uns der Zukunft Glück;

Im Vaterland nur Angst und Noth,
Thypus, Jammer, Hungerstod;
Drum suchen neue Heimat wir
Amerika, bei di, bei dir …

Röhrich, Lutz: Gesammelte Schriften zur Volkslied- und Volksballadenforschung, Münster 2002, S. 479

Aber auch das Abenteuer trieb so machen nach Amerika.  Welche Landschaft und welche Abenteuer sich Auswanderungswillige von Amerika erträumten, beschrieb der Dichter Adolf Schults, der vor allem für lyrischen Werke bekannt. In seinen Gedichten verarbeitete er teilweise auch sozialpolitische Themen, die er aufgriff. Er selbst wanderte jedoch nicht aus. In Schults „Lieder aus Wisconsin I.-V.“ berichtet er:

[…] Tags im Wachen und Nachts in Träumen
Grüßt mein Auge der Wiesen Pracht,
Staunt empor an den riesigen Bäumen
Tief in des Urwalds Dämmernacht.

Nachts in Träumen und Tags im Wach
Hör‘ ich mächtiger Ströme Schall,
Stürzender Stämme ächzend Krachen
Und der dröhnenden Äxte Hall. […]


Auszug aus Adolf Schults: Lieder aus Wisconsin I.-V. In: Die deutsche Gedichtebibliothek.

Politische Gründe für die Auswanderung nach Amerika im Auswandererlied

Im 19. Jahrhundert gab es verschiedene politische Auswandererlieder aus Deutschland, die von politischen Flüchtlingen und Auswanderern gesungen wurden. Diese Lieder spiegelten die politischen und sozialen Umbrüche der Zeit wider, wie zum Beispiel den Vormärz, die Zeit der Deutschen Revolution 1848/1849, die nachfolgende Reaktion und Repression sowie die Suche nach Freiheit und demokratischen Idealen.

Aber auch vor 1848 lassen sich erste Auswandererlieder mit politischen Motiven finden. Das bis heute bekannteste Lied Heil Dir Columbus sei gepriesen fällt in die Zeit des Vormärz und enthält in seinem Abschied das Motiv der vorenthaltenen Freiheit. Der Text umfasst eigentlich 59 Strophen und ist auf die Melodie des Liedes von Jüngling, willst du dich verbinden zu singen.

Die Herkunft des Textes Heil Dir Columbus sei gepriesen ist allerdings umstritten. Vermutet wird, dass der Text von dem aus Ostercappeln bei Osnabrück stammenden Drechslergesellen und „Zahnauszieher“ Franz Lahmeyer stammt. Er emigrierte bereits in den 1830er Jahren nach Amerika. Andere Quellen schreiben den Text hingegen Franz Joseph Stallo zu. Aktenkundig belegt ist, dass er mit seinen Kindern Martin (12), Ludwig (10), Maria (8), Theodor (6) und Luisa (3) am 22. Juni 1831 an Bord der ‚Juno’ in New York eintraf. Zuvor waren sie am 26./27.April 1831 von Bremerhaven abgereist.

Heil Dir Columbus sei gepriesen,
sei hoch geehrt in Ewigkeit.
Du hast mir den Weg gewiesen,
der mich von harter Dienstbarkeit
errettet hat, wenn man es wagt
und seinem Vaterland entsagt.

Befreit bin ich von der Beschwerde,
die in Europa euch bedrückt.
Und täglich tut es besser werden,
wohin auch das Auge blickt.
Amerika bietet Freundlichkeit
den Armen an und Seligkeit.

Hier in Amerikas freiem Lande
haben wir keinen Adelsstand.
Hier wird der Mensch von jedem Stande
als Mensch noch wahrhaft anerkannt.
Hier gilt der Graf und der Baron
nicht mehr als wie ein Bauernsohn.

Ach, Bruder, kannst Du´s nur bezwecken,
reicht dein Vermögen nur so weit,
laß durch die Reise dich nicht schrecken,
mach zu Abfahrt dich bereit.
Hier wirst Du von der Steuerpein
auf ewig wohl befreiet sein. […]

entnommen aus: Volksliederchiv.de

Musikalische Schlichtheit der Lieder

Nicht selten wurden die Texte der Auswandererlieder auf die Melodien bekannter Volkslieder der Zeit gesetzt. Wie z.B. beim erwähnten Lied Heil Dir Columbus sei gepriesen. Wichtig war stets eine gewisse musikalische Schlichtheit der Lieder. Erst, wenn ein Lied einfach zu singen war, traf es auf breite Resonanz und konnte von jedermann mitgesungen werden. Populäre Lieder der Zeit, die auch von den Auswanderern in Amerika gerne gesungen wurden, wie Die Wacht am Rhein, wiesen nur einen begrenzten Tonumfang auf und keine unsanglichen Intervallsprünge. Die Einfachheit in der Stimmführung gab den Ausschlag, dass selbst jüngere Kinder das Lied gerne sangen.

Deutschsprachiger Gesang in den USA

1870 lebten knapp vierzig Millionen Menschen in den USA, mehr als sechs Millionen von diesen stammten aus Deutschland bzw. hatten deutsche Vorfahren. Rasch entstanden in den Städten, deutsche Stadtviertel, Kirchengemeinden und Vereine sowie deutsche Biergärten und Zeitungen. Bereits seit den 1830er Jahren und dann verstärkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierten sich in den deutschen „communities“ auch zahlreiche deutschsprachige Musikvereine und Sängerbünde. Sie orientierten sich an dem Vorbild der seit Anfang des 19. Jahrhunderts in den deutschen Staaten gegründeten Männerchöre. Im Deutschen Bund und später im Deutschen Reich war die Sängerbewegung ein zentraler Träger der „kulturellen Nationsbildung“. Auch in den USA etablierten sich die Chorgemeinschaften und Sängerfeste binnen weniger Jahre als feste Institution im musikalischen und gesellschaftlichen Leben jener Zeit.

Bei den dargebotenen deutschen Volks- und Kunstliedern handelte es sich zum einen um eine wehmütige Erinnerung an die verlassene Heimat. So waren auch in den USA die in Deutschland gesungenen, auf alten Mythen beruhenden und mit Landschaftsbeschreibungen untermalten Lieder zu hören. Zunächst waren es vor allem Lieder, die sich auf die Natur, den „deutschen Wald“ und auf „Heimat“ bezogen. Dieser nostalgische Rekurs auf die Herkunft brachte den Migranten Deutschland im Denken und Fühlen nahe. Zum anderen wurden auch Lieder gesungen, die den Freiheitsgedanken hervorhoben und an die Befreiungskriege oder an die 48er-Revolution anknüpften. Mit der Aufführung von Liedern wie Freiheit, die ich meine unterstrichen die deutschen Migranten gegenüber der angloamerikanischen Mehrheitsgesellschaft, dass auch sie liberale bzw. republikanische Wurzeln hatten. Die aus der Sängerbewegung in Deutschland bekannten national-patriotischen Lieder gehörten ebenfalls zum Repertoire der deutschsprachigen Sänger in den USA. 

Sabine Mecking: Gelebte Transnationalität Deutsche Gesangskultur in den USA im langen 19. Jahrhundert. In: European Journal of Musicology, vol. 19, núm. 1, pp. 1-17, 2020 Universität Bern Publicación: 11 Abril 2022, DOI:

Quellen:

Deutsche Einwanderung in den USA im 19. Jahrhundert. Lehren für die deutsche Einwanderungspolitik? Hrsg. vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, IW policy paper · 7/2016.

Röhrich, Lutz: Gesammelte Schriften zur Volkslied- und Volksballadenforschung, Münster 2002, S. 479

Sabine Mecking: Gelebte Transnationalität Deutsche Gesangskultur in den USA im langen 19. Jahrhundert. In: European Journal of Musicology, vol. 19, núm. 1, pp. 1-17, 2020 Universität Bern Publicación: 11 Abril 2022, DOI:

Titelbild: Deutsche Emigranten betreten ein Dampfschiff in Hamburg (Deutschland) mit Kurs auf New York City (USA), (um 1850). Bild: Wikimedia gemeinfrei 

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