Wir müssen den Fachkräftemangel als Chance begreifen und gezielt Migranten mit entsprechenden Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt gewinnen.

Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen

Ein kleiner Raum mit großen Geschichten: Die ZeitZeugenBörse e.V. hat die Ausstellung „Nachgefragt“ in Berlin-Wedding organisiert, die viel zu sagen hat. Sie erzählt von vergangenen Hürden und Eindrücken und gleichzeitig stellt sie den Schlüssel für viele derzeitige Probleme unserer Gesellschaft dar. Denn aus dem Erlebten können wir heute lernen, was wir besser machen können.

Nachgefragt“ widmet sich den Migrationserfahrungen von 12 Menschen auf einer persönlichen Ebene. Ein kleiner, unscheinbarer Raum voller bunter Infotafeln, die die Besucher:innen durch den Raum lotsen. Eine Sammlung von (Nach)Fragen. Das Konzept der Ausstellung ist simpel, schlicht und einladend. 7 Fragen, 12 Menschen. Zwölf Menschen, die heute in Berlin leben, aber es noch nicht immer getan haben. Einwanderer:innen aus der ganzen Welt erzählen von ihren Erfahrungen, von ihren Problemen, von ihren Hürden und ihren Identitäten.

Die sieben farbenfrohen Infotafeln führen durch den Raum, der neben Fotos und Zitaten auch jeweils kleine Monitore und Kopfhörer bereitstellt. Die Besucher:innen können sich in dieser audiovisuellen Ausstellung nämlich nicht nur selbst einlesen, sondern auch die jeweiligen Interviews mit den Protagonist:innen anschauen, die filmisch festgehalten wurden.

So lernen wir beispielsweise José Mafueca aus Mosambik kennen, der 1961 in Maputo, Mosambik geboren wurde. Dieser ging aufgrund der politischen Instabilität in seinem Land mit 19 in die DDR – er wollte Elektrotechniker lernen und später besseren Perspektiven in sein Land zurückkehren. Doch die wirtschaftliche Lage in Mosambik ließ das nicht zu und so endete José nach einigen Rückschlägen wieder in der DDR als „Vertragsarbeiter“.

Was vermisst du besonders?

Ich vermisse es, in meiner Muttersprache zu lesen. Ich vermisse diese bequeme Art zu denken und zu reden.

John Shreve, USA

Die gestellten Fragen sind so persönlich wie sie auch politisch sind. Die befragten Berliner:innen erzählen beispielsweise, was sie aus ihren Migrationserfahrungen ableiten oder auch, wie sie ihre eigene kulturelle Identität wahrnehmen. Sie erzählen, was ihre ersten Eindrücke von Deutschland waren und was sie besonders überrascht hat. Ganim aus dem Irak berichtet, wie überrascht er von der Ordentlichkeit in Deutschland war und wie neu das Konzept einer Ampel für ihn war. Ganim, der der turkmenischen ethnischen Minderheit im Irak angehört, wurde unter der Regierung Saddam Husseins diskriminiert und verfolgt. Er studierte in Bagdad und besuchte dort ein Fußballspiel zwischen Irak und der Türkei. Seine Freunde und er unterstützten die türkische Mannschaft und wurden dafür vom Regime gejagt und teilweise hingerichtet. Er rettete sich in die Türkei und bekam anschließend politisches Asyl in Westberlin. Er hatte kein leichtes Leben, aber hier in Berlin kann er sich seit vielen Jahren für die Rechte der Turkmenen im Irak einsetzen.

Unterschiedliche Aspekte der Migrationserfahrungen

Jede Frage stellt die Geschichten und Erfahrungen einer bestimmten Gruppe von Zeitzeug:innen in den Vordergrund. Die Besucher:innen haben die Möglichkeit, durch Fotos, Dokumente, persönliche Gegenstände und die Interviews in die Geschichten einzutauchen und die jeweiligen individuellen Perspektiven kennenzulernen.

Ein besonderer Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem Prozess der Integration und dem Aufbau neuer Identitäten in der neuen Heimat. Die Zeitzeug:innen erzählen von den Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren, aber auch von den Chancen und Erfolgen, die sie in Berlin gefunden haben. Die Ausstellung lädt die Besucherinnen dazu ein, über ihre eigenen Vorstellungen von Migration und Identität nachzudenken und den Wandel in der Berliner Gesellschaft zu reflektieren.

Ganim ist einer von vielen mit solchen Schicksalen – in dem 1,5-stündigen Interview erzählt er von seinem Ankommen, seinen Berliner Erfahrungen und wie sehr er die Küche seiner Familie vermisst. Die Ausstellung präsentiert Zeitzeug:innen, die in verschiedenen Jahrzehnten nach Berlin gekommen sind und ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen teilen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern und Kulturen und repräsentieren eine Vielzahl von Migrationsbewegungen, einschließlich der Arbeitsmigration, Flucht und Vertreibung sowie der Familienzusammenführung.

Und genau das ist das Ziel der Ausstellung, den „reichhaltigen Erinnerungs- und Erfahrungsschatz älterer Menschen an jüngere Menschen weiterzugeben und so den generationenübergreifenden Dialog zu fördern“.

Die Ausstellung ist im Mitte Museum in Berlin Wedding kostenfrei zugänglich, ab dem 16.06.2023 bis zum 17.09.2023. Weitere Informationen zur Ausstellung findet ihr HIER.

Foto: Alina Schulenkorf

Die Ausstellung wird im Rahmen des Projekts „Zeitzeug*innen mit Migrationsgeschichten” der ZZB gezeigt. Seit 30 Jahren vermittelt die ZZB Zeitzeug:*nnen zu relevanten Themen der Zeitgeschichte und dokumentiert Zeitzeugenberichte. Ihr Anliegen ist es, den wertvollen Erfahrungsschatz von Menschen zugänglich zu machen und den intergenerationalen und interkulturellen Austausch zu fördern.

Titelbild: Blick in die Ausstellung "Nachgefragt". Sämtliche Fotos dieses Beitrages: Alina Schulenkorf 

Über den Autor

Alina Schulenkorf

studiert Kulturwissenschaften an der Viadrina in Frankfurt (Oder).

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