Wie in unserem letzten Artikel zum Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Tunesien schon erklärt, sind Anwerbeabkommen bilaterale Verträge, die ab 1955 die Zeit der „Gastarbeiter:innen“ in Deutschland einläuteten.

Nach den Anwerbeabkommen für „Gastarbeiter:innen“ mit Italien (1955), Spanien (1960), Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964) und Tunesien (1965) folgte 1968 das letzte der Abkommen mit Jugoslawien.

Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien wurde am 12. Oktober 1968 unterzeichnet. Dabei erhielten die jugoslawischen Arbeiter:innen im Gegensatz zu den Tunesiern drei Jahre zuvor ein zeitlich unbefristetes Aufenthaltsrecht. Dennoch galten auch sie als „Gastarbeiter:innen“. Jugoslawien schickte seine Leute gezielt für ein besseres Erwerbseinkommen nach Deutschland. Das Abkommen mit Jugoslawien war das letzte Anwerbeabkommen. Mit Einsetzen der Ölkrise 1973 kam es zum Anwerbestopp. Ab 1998 etablierte sich der sog. „unternehmensinterne Fachkräftetransfer“.

Anwerbeabkommen. Ein Teil südosteuropäischer Migrationsgeschichte

Vor Ort im sozialistischen Jugoslawien finanzierten Wirtschaftsverbände und Unternehmen die Anwerbung der Arbeiter:innen über Agenturen, die auf Anwerbung spezialisiert waren. Dies war für die Unternehmen aus Deutschland mit Anwerbegebühren verbunden. In den nächsten Jahren gab es deshalb immer mehr Einwanderung, die nicht über die Agenturen lief, sondern durch die „Gastarbeiter:innen“ selbst: sie warben, durchaus im Namen ihrer Arbeitgeber, Freunde und Familienmitglieder an. Die Unternehmen sparten die Gebühren, und die Arbeiter:innen konnten durch diese „Kettenmigration“ problemlos ihre Familien nachholen. Auch in anderen Ländern kam es immer mehr zu direkten Anwerbungen durch Familienmitglieder und befreundete „Gastarbeiter:innen“. Viele Familien verzweigten sich über die Jahre so über immer mehr Länder, es entstanden regelrechte globale familiäre Migrationsnetze. Die Zeit der Anwerbeabkommen und „Gastarbeiter:innen“ war jedoch kein neues Phänomen, sondern ein weiterer Teil der südosteuropäischen, zeitlich weit zurückgehenden Wanderungsgeschichte. Lediglich die Motivation war bei den „Gastarbeiter:innen“ eine andere: sie wurden nicht vertrieben oder verschleppt, sie suchten einen Weg aus dem von Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Südosteuropa hinein in eine wirtschaftliche Zukunft für sich und ihre Familien.

Bleiben – Zurückkehren – Bleiben

Waren es bei den Tunesiern zu Beginn ausschließlich Männer gewesen, kamen aus Tunesien bis zu 40% Frauen als Arbeitskräfte in die BRD, um in Industrie, Tourismus und anderen Dienstleistungsbereichen zu arbeiten. Ein weiterer Unterschied war das Recht auf einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland. Dadurch entstanden unter den Angeworbenen zwei Gruppen: die einen hatten nicht vor, längerfristig zu bleiben. Sie wollten so schnell wie möglich Geld verdienen, um vor Ort in der alten Heimat Haus und Hof zu erhalten, Familienmitglieder mit Geld zu versorgen und existenzielle Dinge zu regeln. Andere nahmen ihr Geld, um sich schlichtweg endlich etwas leisten zu können, z.B. ein Auto oder ein Motorrad. Damit fuhren sie nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages wieder zurück nach Jugoslawien.

Die andere Gruppe der „Gastarbeiter:innen“ war gekommen, um zu bleiben. Viele Jugoslawen besuchten zusätzliche Deutschkurse, um studieren zu können oder sich im Berufsleben in anspruchsvolleren Positionen eingesetzt werden zu können.

Die Geschichte des SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratović

In einem Interview 2018 mit der Deutschen Welle erzählt der SPD-Bundestagsabgeordnete Josip Juratović von seiner Migrationsgeschichte.

„Ich kam als Gastarbeiter, wurde dann Migrant und heute bin ich Deutscher mit Migrationshintergrund“.

Josip Juratović, Intervie mit der Deutschen Welle 2018
Josip Juratovic MdB, SPD. Foto: Tobias Schult / Maximilian König

Josip Juratović ´ Mutter war 1968 gleich zu Beginn der jugoslawischen Gastarbeiterwelle nach Deutschland gekommen. Ihr Sohn blieb daheim bei den Großeltern. Erst nachdem Juratović die Schule beendet hatte, konnte er seiner Mutter nach Heilbronn folgen. Auch wenn seine Mutter eine der ersten „Bleibenden“ war, bestätigt Josip Juratović, dass die „Gastarbeiter:innen“ anfangs generell vorhatten, nach einigen Jahren wieder nach Jugoslawien zurückzukehren. „Die Gastarbeiter, die damals nach Deutschland kamen, haben sich auch selbst als ‚Gast‘-Arbeiter verstanden. Das heißt, die erste Generation hat gedacht, man arbeitet ein paar Jahre, spart etwas Geld zusammen und geht wieder zurück.“

Im Lauf der Jahre kam diese Rückkehr für viele schon allein aufgrund ihrer in Deutschland geborenen und aufwachsenden Kinder nicht mehr in Frage.  „Gastarbeiter:innen“ wurde irgendwann in den 80-er Jahren klar, dass es keine Rückkehr mehr gebe, so Juratović, schon allein wegen ihrer Kinder. „Damals reifte die Erkenntnis, dass es kein Zurück mehr gibt. Zur Gewissheit wurde sie spätestens mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren. Vielen wurde klar: Wir bleiben hier.“

Mit dieser Erkenntnis entstand für die Menschen aus Jugoslawien ein neues Ziel: Deutschland zu ihrer neuen Heimat werden zu lassen.


Wer mehr über die Migration aus Süd- und Südosteuropa nach Westeuropa erfahren möchte dem empfehlen wir den Beitrag von Sylvia Hahn „Migration aus Süd- und Südosteuropa nach Westeuropa Kontinuitäten und Brüche“ im Deutschlandarchiv, 14.08.2017,

Titelbil: Dubrovnik, heutiges Kroatien. Foto: Anemone123 auf pixabay, gemeinfrei

Über den Autor

Antonia Kennel

... ist Schauspielerin, Hypnotherapeutin, NLP-Trainerin und Ärztin. Geboren und aufgewachsen in Bayerisch-Schwaben. In ihrer Freizeit schreibt sie für verschiedene Magazine.

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