Teil II zu queerer Migration anlässlich des Pride Month 2024. Teil I finden Sie hier.
Queeres Leben in der NS-Diktatur
Bereits kurz nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurden Maßnahmen zur Verfolgung queerer Menschen durchgesetzt. Mit der Schließung von Lokalen der schwulen und lesbischen Subkultur und dem Verbot entsprechender Zeitschriften und Vereine sollte die queere Infrastruktur aufgelöst werden. Auch das 1919 von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft wurde im Mai 1933 geplündert in Vorbereitung auf die Bücherverbrennung. Hirschfelds Institut war international bekannt und von großer Bedeutung für die queere Emanzipationsbewegung.
Homosexuelle Handlungen waren bereits vor 1933 unter Strafe gestellt, durch den Paragraf 175 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871. Die Nationalsozialisten verschärften ab 1935 die Strafvorschriften jedoch und weiteten die mit Strafe belegten Handlungen aus. Die Vorschriften richteten sich zwar primär gegen homosexuelle Männer, aber auch lesbische Frauen und trans* Personen waren der Verfolgung ausgesetzt.
Zwischen 1933 und 1945 fand eine in der deutschen Geschichte einzigartige Verfolgung von Homosexuellen statt. Über 50.000 Männer fielen der NS-Justiz zum Opfer. Mehr als 10.000 wurden in Konzentrationslagern interniert, ein Schicksal, welches Tausende von ihnen nicht überlebten.
Vielen geling es jedoch auch der wachsenden Zahl repressiver Verordnungen und der Gewalt zu entgehen. Entweder durch Diskretion, Maskierung und das Bilden sicherer Netzwerke oder durch die Flucht aus dem Deutschen Reich.
Emigration
Emigration war für viele der letzte Ausweg und stellte meist eine große Herausforderung dar. Man war angewiesen auf Beziehungen, ein Netzwerk oder gute Kontakte im Ausland sowie die nötigen finanziellen Mittel. Zudem waren queere Menschen auch in vielen anderen Ländern nicht gern gesehen und mussten ihre queere Identität dort weiterhin geheim halten. In die USA beispielsweise durften vorbestrafte homosexuelle Männer gar nicht erst einreisen.
Nach dem Beginn des Kriegs verkomplizierte sich die Situation weiter, da Emigrant*innen aus dem Deutschen Reich kaum noch von anderen Ländern aufgenommen wurden. Länder wie England und Australien internierten zudem Geflohene in Lagern, wenn diese aus Gebieten stammten, mit denen man Krieg führte.
Für die Emigration haben sich unter anderem auch die Autoren und Literaturwissenschaftler Richard Plant und Hans Mayer entschieden.
Richard Plant
„Ich bin als Jude emigriert, um als Schwuler zu überleben“
Richard Plant, 1991
Diese Aussage traf Richard Plant (geb. Plaut) im Jahr 1991. Womit er seine Situation sehr gut zusammenfasste. Denn als der 1910 in Frankfurt am Main geborene Plant 1933 in die Schweiz emigrierte, erhielt er dort nur Asyl, weil er Jude war, nicht aufgrund seiner Sexualität.
In Basel angekommen, schrieben Plant und sein Wegbegleiter, der ebenfalls homosexuelle und jüdische Germanist Oskar Koplowitz, sich als Studenten an der Universität ein, um ihr in Deutschland unterbrochenes Studium wieder aufzunehmen und um so eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Sie finanzierten sich im Schweizer Exil unter anderem durch das Verfassen von Kriminalgeschichten.
Trotz der Angst, durch „auffälliges Verhalten“ die Ausweisung zu riskieren, traf sich Plaut gelegentlich mit homosexuellen Männern in Szenelokalen wie der „Sternwarte“ und dem „Besenstiel“.
Als 1934 die aktive Verfolgung von Homosexuellen zunimmt, werden Plant und seine Freunde Anlaufstelle für queere Freunde und Bekannte auf der Flucht. Offizielle Hilfe können sie für die Fliehenden in ihrer Obhut jedoch nicht organisieren.
Mit der Vollendung des Studiums hatte Plant zunehmend Probleme, eine Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz zu erhalten, weshalb er 1938 beschließt in die USA zu emigrieren. Dort lehrt er Deutsche Literatur und betätigt sich weiter als Autor. Er verfasst unter anderem den Text “The Men with the Pink Triangles“ aus dem 1986 das Buch „The Pink Triangle: The Nazi War Against Homosexuals“ wurde.
Er starb 1998 in New York.
Die historisch-dokumentarische Ausstellung „gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“ beschäftigt sich aktuell im Abschnitt zur Emigration mit Richard Plants Geschichte.
Hans Mayer
Wie Plant war auch der 1907 in Köln geborene Hans Mayer homosexuell und jüdisch. Als dem ursprünglich als Jurist tätigen Mayer im Juli 1933 ein Berufsverbot erteilt wurde, floh er zunächst ins Elsass und 1934 weiter nach Genf. Hier studierte er Literaturwissenschaften.
Er ging im Exil sehr offen mit seiner Homosexualität um. Das napoleonische Strafgesetz, welches in Genf noch immer galt, beinhaltete keine rechtlichen Maßnahmen gegenüber Homosexualität. Die Einführung des gesamtschweizerischen StGB 1942 verschärfte jedoch auch in Genf die rechtliche Situation von homosexuellen Personen. Als Freigeist weigerte er sich jedoch, Diskretion zu wahren und wurde im März 1942 nach mehreren Verwarnungen jeweils sechs Monate in den Strafanstalten Witzwil und Lenzburg interniert.
Nach seiner Entlassung lebte er in mehreren Flüchtlingslagern in der deutschsprachigen Schweiz und engagierte sich im kulturellen Bereich. In Zürich beispielsweise gehörte er dem leitenden Ausschuss der Kulturgemeinschaft der Emigranten an. Im November 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, kehrte er nach Deutschland zurück.
Bis zu seinem Tod 2001 war er als Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und in der deutschen Kultur- und Medienlandschaft tätig.
2007 widmete das Schwule Museum Hans Mayer eine Ausstellung mit dem Titel „Aussenseiter: Hans Mayer – Hommage zum 100. Geburtstag„.
Quellen https://schwulengeschichte.ch/epochen/3-die-schweiz-wird-zur-insel/fluechtlinge-und-verfolgte/hans-mayer https://schwulengeschichte.ch/epochen/3-die-schweiz-wird-zur-insel/fluechtlinge-und-verfolgte/richard-plant/ gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945 – BUNDESSTIFTUNG MAGNUS HIRSCHFELD (mh-stiftung.de) https://www.schwulesmuseum.de/ausstellung/aussenseiter-hans-mayer-hommage-zum-100-geburtstag/
Titelbild: Gedenktafel am Nollendorfplatz zur Erinnerung an die Verfolgung Homosexueller zur Zeit des Nationalsozialismus, Foto: Manfred Brueckels.