„Du kommst aus Berlin?! Toll!“ Das höre ich oft, wenn ich gefragt werde, woher ich komme. Ich höre es sowohl in Deutschland als auch im Ausland. Für viele Menschen ist Berlin in den letzten Jahren zum Inbegriff von Buntheit, Coolness, Kreativität, Unkonventionalität, Toleranz, Ich-gehe-meinen Weg, Offenheit, Aufbruch, Vielfalt … und vieles mehr geworden. Und als Berlinerin sage ich: stimmt. Das ist Berlin. Aber ich muss auch dazusagen, dass es nicht zwingend die Ur-Berliner*innen sind, die für Offenheit, Coolness und Kreativität sorgen. Es sind zum großen Teil die Menschen, die aus aller Herren Länder nach Berlin kommen. Sie bringen ihre Migrationsgeschichten, Erfahrungen und Träume mit und speisen sie in die Symphonie der Großstadt ein. Und ständig ändert sich der Sound.
Perspektivwechsel und Migrationsgeschichten
Berlin wäre ohne Migration, ohne die Vielfalt der Identitäten und Lebensstile nicht denkbar. Das hat der Berliner Verein Querstadtein längst erkannt. Der Verein bietet Stadtführungen an, die von Menschen geleitet werden, die selbst eine Migrationsgeschichte haben. Sie laden zum Perspektivwechsel ein. „Welche Orte erleichtern das Ankommen in einer fremden Stadt? Was hat die Situation im Görlitzer Park mit dem europäischen Asylsystem zu tun? Und der herausgeputzte Gendarmenmarkt mit Willkommenskultur? Wo machen Menschen mit Fluchterfahrung in der Stadt Politik?“ Mit diesen Fragen stimmt der Verein auf seiner Internetseite auf die besonderen Führungen ein. Auf den Touren geht es also weniger um typische Sehenswürdigkeiten. Vielmehr geht es um individuelle Wahrnehmungen. „Die Stadtführer*innen berichten von eigenen Migrationsgeschichten, Erfahrungen und setzen fremden Zuschreibungen ihre eigenen Erzählungen entgegen“, heißt es bei Querstadtein.
Von persönlichen Ankern und Stories of Migration
Die Touren werden auf Englisch oder Deutsch angeboten. Rasha und Abuhanna sind zwei der aktuell sieben Stadtführer*innen. „Stories“ of Migration: Reading the City along the U6“ heißt die Stadtführung von Rasha. Sie ist Stadtplanerin aus Damaskus. Auf ihrer Tour zwischen Prunk- und Sozialbauten entlang der U-Bahn-Linie 6 folgt sie Spuren von Flucht und Migration. Diese setzt sie auch in Bezug zu ihrer eigenen Biographie. Abuhannas Tour führt durch Neukölln. Dort lebt er seit fünf Jahren. Darum heißt seine Tour auch „Neukölln, mein Anker“. Abuhanna erzählt unter anderem, wie sein Neuanfang in Berlin ihn verändert hat und mit welchen Herausforderungen er immer noch zu kämpfen hat.
2020 – Mit kreativen Innovationen durch die Pandemie
Seit 2016 bietet Querstadtein auch Führungen in Dresden an unter dem Motto „Geflüchtete zeigen ihr Dresden“. Doch 2020 mussten pandemiebedingt mehr als die Hälfte der Touren ausfallen. Dafür wurden digitale Formate entwickelt. Unter anderem eine Stadtführung zum Thema „Vertragsarbeiter*innen-Geschichten“. In der Führung wird kritisch auf die Situation damaliger DDR-Vertragsarbeitskräfte, die aus Vietnam und Mosambik nach Sachsen kamen, zurückgeblickt. Darüber hinaus geht es aber auch um Themen, die die Generation der Kinder der einstigen sogenannten Vertragsarbeiter heute beschäftigt. In der digitalen Tour navigiert die App die Teilnehmenden entlang der Tourroute. In Videos uns Audios berichten die Stadtführer*innen von ihren Erfahrungen.
Führungen können auf der Internetseite von Querstadtein unter www.querstadtein.org gebucht werden. Dort gibt es auch ausführliche Informationen zu den verschiedenen Führungen. Übrigens sind die Touren als Formate politischer Bildung im Stadtraum angelegt und wenden sich an Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren.