In den letzten Wochen habe ich virtuell die Städte Palermo und Paris besucht – auf den Seiten des „We Refugees Archive“. Heute bleibe ich dort, wo ich schon seit Jahren lebe – in Berlin. Und lerne trotzdem neue Seiten meiner Stadt kennen.

Zuflucht in vier Sektoren

Die Geschichte der Zuflucht ins Nachkriegsberlin begann schon 1945 mit der vorübergehenden Unterbringung von Displaced Persons (DPs) in DP-Camps in allen vier Besatzungszonen der Stadt. Außerdem flohen Vertriebene aus Ostpreußen nach Berlin, viele von ihnen zogen bald weiter in den Westen Deutschlands. Über die noch offenen Sektorengrenzen flohen bis zum Mauerbau 1961 Hunderttausende Bürger*innen der 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach Westberlin. Viele zogen ebenfalls weiter nach Westdeutschland und nur wenige blieben in der Stadt. Westberlin wurde zu einer Stadt des Transits.

Gekommen, um zu arbeiten

Nach dem Mauerbau verließen auch viele Westberliner ihre Heimat und wer blieb, legte sich zumindest einen zweiten Wohnsitz in der Bundesrepublik zu. Den Arbeitskräftemangel im Westteil der Stadt Ende der 1960er Jahre glichen die vielen „Gastarbeiter“ aus, die vor allem aus der Türkei nach West-Berlin kamen. Erst um zu arbeiten, dann um mit ihren Familien hier zu bleiben.

Exil in West- und Ostberlin

Während der Westteil Berlins immer multikultureller wurde, blieb es im Osten ziemlich eintönig. Das können auch die wenigen Chilenen, denen Honecker nach dem Militär-Putsch 1973 politisches Asyl in Ostberlin bietet, nicht wirklich ändern. Westberlin aber wird für viele Verfolgte zur Exilstadt: Intellektuelle und Künstler*innen aus Osteuropa und der UdSSR, dem Iran, aus der Türkei und Geflüchtete aus der DDR wie auch sogenannte Boatpeople aus Vietnam. 

Das wiedervereinigte Berlin als Anziehungspunkt

Mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Deutschlands und Berlins änderte sich die Situation in der Stadt noch einmal grundlegend. Ab den 1990er Jahren wurde das wiedervereinigte Berlin beliebtes Refugium für sogenannte „jüdische Kontingentflüchtlinge“ die der sich auflösenden Sowjetunion entkamen. Aber auch viele andere Geflüchtete, Arbeitsmigrant*innen, Studierende aus dem Ausland und Tourist*innen entdeckten Berlin als „Stadt der Vielfalt“.

Alles so schön bunt hier?

Das „We Refugees Archive“ lässt es aber nicht einfach bei der positiven Wendung, sondern hinterfragt die „Stadt der Vielfalt“, die Berlin zweifellos ist. Sie ist aber auch „unerreichter Hoffnungsort“ für viele, die schon an den Grenzen Europas abgefangen werden. Und nicht alle, die in Berlin vorübergehend Zuflucht gefunden haben, können hier dauerhaft bleiben, weil ihnen die Aufenthaltsgenehmigung nicht gewährt oder entzogen wird. Und aller Vielfalt zum Trotz gibt es auch in Berlin Rassismus. Die Stadt ist kein Paradies.

Ein Labor?

Vielleicht ist Berlin am ehesten so, wie es der ägyptische Schriftsteller und Soziologe Amro Ali formuliert, von dem im „We Refugees Archive“ ein Text zu lesen ist, in dem es im dritten Absatz heißt: „Tatsächlich ist Berlin nicht nur eine Stadt. Es ist ein politisches Labor, das eine neue Art von Anfang durchsetzt, ein Labor, das Köpfe in Richtung der Dinge dreht, die größer als das Individuum sind; und es erzeugt die Erkenntnis, dass die graue Unschärfe, die die Zukunft mit Abscheu bedeckt, tatsächlich aufgebrochen werden kann.“

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Über den Autor

Dennis R.

Dennis R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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