„Gesegnet sei der Schoß, der dich zur Welt brachte und gesegnet sei die Brust, die dich stillte.“ So begrüßt laut islamischen Quellen eine unbekannte Frau Jesus als sie ihn erblickte. Er erwiderte liebevoll : „Und gesegnet sei der Mensch, der das Buche Gottes las und sein Handeln danach richtete.“[1] In dem Buche Gottes der Muslime, dem Koran, finden wir folgende unmissverständliche Aufforderung: „Und gedenke der Maria im Buch: Damals, als sie sich zurückzog an einen Ort im Osten (…)“[2]. An vielen Stellen des Korans wird die Wundergeburt beschrieben und die Worte, die Jesus bereits in der Wiege sprach zitiert: „Siehe, ich bin der Knecht Gottes! Er gab mir das Buch und machte mich zum Propheten. Er verlieh mir Segen, wo immer ich auch war, und trug mir das Gebet auf und die Armensteuer, solange ich am Leben bin. Und Ehrerbietung gegen meine Mutter! Er machte mich zu keinem unglückseligen Gewaltmensch! Und Friede über mich am Tag, da ich geboren ward, am Tag, an dem ich sterben werde, und am Tag, da ich zum Leben werde auferweckt!“ [3]
Weihnachtszeit als Erinnerung an etwas, das im Alltag schnell untergeht
Weihnachten ist für viele Muslime einer von vielen Anlässen, um der zu Beginn erwähnten Aufforderung nachzukommen und die Weisheiten über Geduld, Standhaftigkeit, Hoffnung und Gewissheit zu reflektieren. Nicht die Weihnachtstage an sich der Grund des Gedenkens. Doch die Weihnachtszeit ist oft eine kleine Erinnerung an etwas, das im Alltag schnell untergeht.
Muslime sind unterschiedlich – ihr Umgang mit Weihnachten auch
Muslime in Deutschland sind unterschiedlich und vielfältig, so ist es auch ihr Umgang mit Weihnachten. Viele Familien beschenken zu Weihnachten ihre Kinder und dekorieren die Wohnung, damit das Kind in der Schule keine Ausgrenzung erfährt. Oft wird den Kindern aber auch erklärt, dass wir zwar an Jesus, Maria und die Wunder glauben, aber dass Jesus für uns nicht der Sohn Gottes ist, sondern ein Prophet wie Muhammad und dass Gott in unserem Gottesbild keine Kinder, keine Eltern, keine Partner, kein Geschlecht, keine Ethnie oder andere menschliche Eigenschaften besitzt. Manche genießen einfach die freie Zeit mit der Familie, ohne dass Weihnachten überhaupt ein Thema ist. Dafür bemüht man sich, den Ramadan, das Opferfest und den Geburtsmonat des Propheten Muhammad besonders schön zu gestalten. Wenn manche Kinder an Weihnachten also nicht viel zu erzählen haben, haben sie es dafür zu einem anderen Zeitpunkt.
In unserer Kindheit haben meine Schwester und ich Geschenke bekommen, so wie viele meiner muslimischen Freunde und Freundinnen auch. Ich kenne einige Familien, die jedes Jahr ein Weihnachtswichteln veranstalten. Schließlich macht es ja allen Spaß sich zu beschenken, und dafür wird gerne jeder Anlass genutzt.
Weihnachten – kulturell statt religiös
Heute verbringe ich den Dezember gerne mit Plätzchenbacken und erfreue mich an den Lichterketten und den Weihnachtsmärkten. Jedes Jahr gehe ich entweder mit der Familie oder mit Freunden auf den Weihnachtsmarkt. Anstatt Glühwein trinken wir Kinderpunsch oder heiße Schokolade. Dieses Jahr sind auch wir traurig darüber, dass die Märkte ausfallen, denn für mich persönlich ist all dies ein Mittel, um die kalten, dunklen Dezembertage ein wenig erträglicher zu machen. Außerdem freue ich mich, wenn meine Mitmenschen der Einsamkeit einer Großstadt für einige Tage entkommen und wenn die Gotteshäuser in Berlin mal nicht leer sind. Ich denke, dass die meisten Muslime, die „weihnachtlichen Aktivitäten“ nachgehen, Weihnachten losgelöst von den religiösen Aspekten betrachten. Es geht ihnen eher um die kulturellen Dinge wie spezielles Gebäck, die Balkonkunst, die Geschenke oder auch die Weihnachtsfilme.
Ich und die muslimischen Menschen, die ich kenne, gratulieren uns nicht gegenseitig zu Weihnachten. Doch unseren sonstigen Mitmenschen gratulieren wir gerne. Inspiriert von meinen Freunden habe ich dieses Jahr anlässlich der kommenden Festtage bereits Kekse für meine Nachbarn gebacken – genauso wie am Ramadanfest. Ich würde von mir behaupten, dass ich Weihnachten nicht feiere, die (Vor-)Weihnachtszeit jedoch sehr genieße.
Hart erarbeitetes Selbstbewusstsein
Dieser „lockere“ Umgang mit Weihnachten ist jedoch das Ergebnis eines teilweise hart erarbeiteten Selbstbewusstseins. In der Schule war es stets verwirrend, wenn die Lehrerin gefragt hat, ob wir Weihnachten feiern. Was für sie eine unkomplizierte Frage war, war für mich eine Frage der Identität. Ich habe schließlich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen es als Abwertung „ihrer“ Kultur erlebten, dass wir zuhause kein Weihnachten feiern. Und meine Lehrerin sollte schließlich nicht schlecht von mir denken. Was antworte ich also?
Die große Verwirrung
Diese Unsicherheiten in der eigenen Identität führen oft zu einem unsicheren und verwirrenden Umgang mit Weihnachten. Erst als ich gelernt hatte, selbstbewusst muslimisch zu sein, konnte ich die Feiertage anderer Menschen wertschätzen lernen, ohne sie vollständig übernehmen zu müssen.
Es muss also einen Raum geben, indem Menschen bewusste Entscheidungen treffen dürfen, ohne ausgegrenzt zu werden, damit ein gesellschaftlicher Zustand erreicht wird, in dem man wertschätzend, offen und doch selbstbewusst miteinander umgeht.
Nicht in jeder Haltung, die anders ist als meine eigene, eine Abwertung der eigenen sehen
Oft ist es am Ende sogar so, dass die Weihnachtszeit mich an meine muslimische Pflicht erinnert, Jesu und Maria regelmäßig zu gedenken. Und noch einmal: Da auch wir Muslime in Deutschland keine homogene Masse sind, erhebe ich hier nicht Anspruch, dass mein Umgang mit Weihnachten repräsentativ für alle ist. Was ich sagen kann ist, dass ich, wie die meisten Muslime, kein Weihnachten feiere. Ich (wir) feiern jedoch (auch) Maria und Jesus, und ein Weg, unsere Gemeinsamkeiten zu zelebrieren, ist es, unsere verschiedenen Feiertage wertschätzen zu lernen und nicht in jeder Haltung, die anders ist als meine eigene, eine Abwertung der eigenen zu sehen.
[1] Yusuf, Hamza. „Walk on Water”. The Wisdom of Jesus from traditional Arabic Sources. https://sandala.org/wp-content/uploads/2015/08/Walk-on-Water.pdf
[2] Der Koran. Übertragen von Hartmut Bobzin. C.H. Beck. Sure 19 (Maria),Vers 16.
[3] Bobzin. Sure 19, Vers 21