Fluchthilfe, im historischen wie aktuellen Kontext ist eng verknüpft mit der Entstehung und Verstärkung staatlicher Grenzen sowie der Illegalisierung von Mobilität über diese hinweg. So wurde Fluchthilfe erst mit der steigenden Bedeutung territorialer Grenzen und vor allem deren Kontrolle zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem verbreiteten Phänomen in Europa.

In Deutschland fanden nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Tausende Verfolgte durch die Unterstützung von Fluchthelfer*innen den Weg in die Freiheit. Auch die Geschichte des Fluchthilfenetzwerks Underground Railroad im 18./19. Jahrhundert, das Sklaven in den Südstaaten der USA zur Flucht verhalf, ist ein bedeutsames Beispiel für Fluchthilfe. Mit Hinblick auf das aktuell 35. Jubiläum des Mauerfalls konzentriert sich dieser Beitrag jedoch auf die Fluchthilfe in Deutschland zwischen 1961 und 1989. Wie ermöglichten Fluchthelfer*innen es Fluchtwilligen die ab August 1961 abgeriegelten Grenzen von Ost nach West zu überqueren? Wer waren diese Fluchthelfer*innen und welche Risiken gingen sie mit ihrer Arbeit ein?

Die ersten Jahre nach dem Mauerbau

In den ersten Wochen nach der Grenzabriegelung am 13. August 1961 sind zwei Gruppen von Fluchthelfer*innen besonders bekannt geworden. Die internationalen und westdeutschen Studierenden der Freien Universität und der Technischen Universität West-Berlin, halfen ihren Kommilitonen aus dem Osten mit westdeutschen Pässen über die Grenze. So wie den Studierenden aus dem Osten, denen die Grenzabriegelung den Weg zur Uni versperrte, ging es auch den Schüler*innen der sogenannten „Ost-Klassen“ an West-Berliner Schulen. Einigen dieser ehemaligen Grenzgängern gelang die Flucht durch die Kanalisation mithilfe ihrer Klassenkameraden im Westen. Kein einfaches Unterfangen, da schon sehr bald Sperrgitter in den Kanalisationen angebracht wurden.

Trotz der sich tagtäglich erschwerenden Umstände überlegten sich die gebildeten Gruppierungen neue Fluchtwege. Die ausgeklügelter werdenden Methoden der Fluchthelfer*innen führten die Flüchtenden auf Routen übers Wasser, durch die Luft und unter die Erde. Wie zum Beispiel über Fluchttunnel. Ein sehr aufwendiges Unterfangen über das jedoch mehr als 300 Menschen aus der DDR gebracht werden konnten.

Markierung des „Tunnel 57“ in der Bernauer Straße (Foto: N-Lange.de, Wikimedia Commons)

Bis Endes des Jahres 1961 gelangten etwa 50.000 Menschen durch die bis dahin noch lückenhaften Grenzanlagen und Absperrungen. Je mehr diese Kontrollsysteme ausgebaut wurden, desto seltener und risikoreicher wurden die Fluchtversuche. So wurde am 9. Dezember 1961 der Fluchthelfer Dieter Wohlfahrt von DDR-Grenzsoldaten erschossen.

Nach dem Transit Abkommen 1972

Mit dem deutsch-deutschen Transitabkommen von 1972 war es Westdeutschen möglich ohne willkürliche Kontrollen durch Grenzbeamte der DDR zwischen West-Berlin und Westdeutschland zu reisen. Dieses Abkommen wurde auch von Fluchthelfer*innen genutzt um Personen über die Transitstrecken zu transportieren. Die DDR, die das Abkommen dadurch verletzt sah, forderte die Unterbindung von Fluchthilfe aus dem Westen und baute die Überwachung der Transitstrecken aus.

Karte der Übergänge an der innerdeutschen Grenze, mit Transitstrecken durch die DDR und nach und von Berlin (West) (Stand 1982). Aus dem amtlichen Merkblatt „Reisen in die DDR“.

Die Ausreisebewegung und die damit verbundenen Proteste Mitte der 70er und besonders ab den 80er-Jahren lies dann die Fluchthilfe zunehmend in den Hintergrund rücken.

Fluchthelfer*innen

Vor allem in West-Berlin bildeten sich Gruppen um Fluchthilfe zu leisten. Mitglieder dieser Gruppen waren oft selbst geflohen und wollten nun ihre Familienmitglieder oder Freunde zu sich in den Westen holen. Doch auch Westberliner*innen die Freunden, Verwandten oder Arbeitskolleg*innen zur Flucht verhelfen wollten, schlossen sich solchen Fluchthilfegruppen an. Hilfsbereitschaft, ihre politischen und moralischen Überzeugungen, aber auch Wut auf das Grenzregime und die Regierung der DDR war was viele der Fluchthelfer*innen antrieb.

Private und Kommerzielle Fluchthilfe

Die ab 1961 bestehende private Fluchthilfe, die die Helfer*innen für Freunde und Familienmitglieder organisierten, hatte keine finanziellen Hintergründe. Jedoch fehlte es diesen Gruppen häufig an Vernetzung, Erfahrungen, Routine, Ortskenntnissen und Ressourcen. Allerdings gerieten sie dafür weitaus seltener in die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit. Bis zum Ende der DDR sind es vorrangig solche privaten Gruppen die in der Fluchthilfe aktiv sind.

Um weiterhin die Flucht von DDR Bürgern zu ermöglich werden die Fluchtmethoden immer aufwendiger und somit teurer. Fluchtaspekte wie Reisen in die Ostblockstaaten, der Umbau von Fluchtautos, Tunnelbauarbeiten oder die Einbindung von ausländischen Diplomaten und Alliierten, die an der Grenze nicht kontrolliert werden durften, sind enorm kostenaufwendig. So rückten neben den aus Solidarität organisierten privaten Gruppen seit 1962 kommerziell agierende Gruppen ins Licht. Um 1964/65 mussten Fluchtwillige für deren Unterstützung mit Preisen zwischen 3.000 und 7.000 DM pro Person rechnen. Um 1967 stieg der Preis sogar auf bis zu 15.000 DM an.

Die Kommerzialisierung der Fluchthilfe sorgte für eine zunehmend negative Wahrnehmung. Den Fluchthilfegruppen wurde unter anderem Menschenhandel und die leichtfertige Gefährdung von Menschen vorgeworfen. Auch in den Westmedien wurden die kommerziellen Fluchthelfer*innen als kriminell und geldgierig dargestellt.

Riskantes Unterfangen

Fluchthelfer*innen riskierten ihre Freiheit und sogar ihr Leben bei der Fluchthilfe. Das Risiko bei der Flucht entdeckt und im schlimmsten Fall von Grenzsoldaten erschossen zu werden, wie im Fall von Dieter Wohlfahrt war hoch. Verhafteten Helfer*innen und Fluchtwilligen drohten vor Gericht lange Freiheitsstrafen. Zur Abschreckung wurden einige dieser Prozesse sogar im Fernsehen übertragen. Zwar wurde im Strafgesetzbuch der DDR ab 1968 zwischen organisierter und privater Fluchthilfe für nahe Verwandte unterschieden, jedoch drohte auch den privaten Helfer*innen eine mehrjährige Haftstrafe. Das Ministerium für Staatssicherheit ging auch gezielt gegen Fluchthilfegruppen vor. Sie wurden bespitzelt und es sind Fälle von Entführungen einzelner Fluchthelfer*innen bekannt.

Detail vom Mauertotendenkmal für den erschossenen Fluchthelfer Dieter Wohlfahrt in Staaken (Foto: Pemba.mpimaji, Wikimedia Commons)

Die Staatssicherheit wurde zudem von den Geheimdiensten anderer sozialistischer Staaten, vor allem den Ostblockstaaten unterstützt. Im sozialistischen Ausland entdeckte Fluchthelfer*innen wurden vor Gericht verurteilt und die Flüchtenden an die DDR ausgeliefert.

Auf Seite der Bundesrepublik war die Tätigkeit von Fluchthelfer*innen durch das Grundgesetz der geschützt. Solange Helfer*innen sich also an die Gesetze hielten, wurde ihre Arbeit geduldet. Auf diplomatischer Ebene war die Duldung der Fluchthilfe durch die BRD schwierig, da es die Verhandlungen zur Entspannungspolitik mit der DDR gefährdete. Das Verhalten von Fluchthelfer*innen soll also deutsch-deutsche Annäherung behindert haben.

Fluchthilfe in der Gegenwart – Veränderte Wahrnehmung?

Mit dem Mauerfall im November 1989 konnten die DDR-Bürger sich wieder frei bewegen und waren nicht mehr auf Fluchthilfe angewiesen. In den folgenden Jahrzehnten wurde einigen ehemaligen Fluchthelfer*innen für ihr Engagement Ehrungen, wie das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sie sind bis heute mitunter namentlich Teil der Erinnerung an die Zeit der deutschen Teilung. Doch wie hat sich die Wahrnehmung von Fluchthilfe seitdem verändert? Denn Fluchthilfe wird es weltweit immer geben, solange Menschen gezwungen sind vor Unterdrückung, Krieg und Armut zu fliehen.

Im Zusammenhang mit Fluchthilfe werden in Medien und Politik vermehrt die negativ konnotierten Begriffe der Schlepperei und Schleuserei genutzt. Diese werden meist ohne Differenzierung mit organisierter Kriminalität und Menschenhandel gleichgestellt.

Die Wahrnehmung von Fluchthilfe ist zudem stark davon abhängig, ob die Fluchthilfe geduldet wird und wie die gesetzliche Lage ist. In Deutschland zum Beispiel ist das „Einschleusen von Ausländern“ (§96) strafbar, wenn die Person dafür Geld verlangt, wiederholt tätig ist und/oder mehrere Personen auf einmal über die Grenze befördert. Doch auch, wer sich nur ein Mal an einem Fluchthilfevorhaben beteiligt, kann für die „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ (§95) belangt werden.

Es zeigt sich außerdem, dass die Wahrnehmung von Fluchthilfe mit sozialen Kategorien wie beispielsweise Staatsangehörigkeit, Religion und Geschlecht zusammenhängt. Ob Fluchthilfe als kriminelle Schlepperei beziehungsweise Schleuserei wahrgenommen wird oder als legitime Fluchthilfe wird neben Faktoren wie Kommerzialisierung und Legalität also auch von gesellschaftlichen Ungleichheiten beeinflusst.

Quellen:
https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/dossiers/flucht-fluchthilfe-und-freikauf/geschichte
https://www.jugendopposition.de/themen/145455/fluchthilfe
https://www.risiko-freiheit.de/
https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/dossiers/flucht-fluchthilfe-und-freikauf
https://www.migrationsbegriffe.de/fluchthilfe
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-07/fluechtlinge-fluchthilfe-schengen-illegal-aktion/komplettansicht
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/208009/samariter-schlepper-straftaeter/
https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/eu-aussengrenzen-fluchthelfer-101.html
Titelbild: Bernauer Straße, Blick auf Eberswalder Straße, Grenzanlage Wedding/Prenzlauer Berg, 1973 - Foto: Karl-Ludwig Lange (Wikimedia Commons)

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