„Exit Racism“ – Das Handbuch von Tupoka Ogette, um die Entstehung, Strukturen und Wirkungsweisen von Rassismus in Deutschland zu verstehen.

Ich erzähle euch in diesem Artikel natürlich auch etwas über die Publikation „Exit Racism“ von Tupoka Ogette (erschienen 2017 und seit letztem Jahr auch als kostenfreies Hörbuch). Dennoch wird dieser Text etwas anders geschrieben sein als andere Texte von mir. Das ist dem Thema, dem Inhalt und dem Stil des Buches geschuldet. Und das ist vor allem meiner eigenen Reflexion während des Lesens geschuldet.

Happyland

Ich möchte euch erzählen wieso mir dieses Buch besonders am Herzen liegt. Nicht nur, weil es eines der wichtigsten Themen unserer Zeit aufgreift. Es hat mich auch von Anfang an tief berührt und mitgenommen. Mitgenommen in einem doppelten Sinne. In dem Sinne, wie es die Leute sagen, wenn ihnen etwas nahe gegangen ist. Meisten so: „Das hat mich ganz schön mitgenommen.“ Und dann hat Tupoka Ogette mich tatsächlich mitgenommen – auf eine Reise. Ich habe mich ein bisschen gefühlt wie ein kleines Kind, das an der Hand seiner Eltern geht und die Welt entdeckt. Eine Welt, in der ich mich nicht auskenne. Weil ich mich in ihr nicht auskennen muss. Denn ich bin weiß und in Deutschland geboren. Ich leb(t)e – wie Tupoka Ogette es definiert – in Happyland.

Grundgedanken

Und genau deshalb schrieb Tupoka Ogette dieses Buch. Das sagt sie bereits in der Einleitung. Sie möchte weißen Menschen deutlich machen, wie tief verwurzelt Rassismus und rassistische Strukturen in Deutschland sind. Und auch, um deutlich zu machen, dass wir diese sehr häufig reproduzieren. Das bedeutet, wir wiederholen sie. Dadurch tragen wir dazu bei, dass sie nicht verändert oder überwunden werden können. Ogette betont aber auch, dass diese Reproduktion meistens nicht bewusst geschieht. In ihrer Einleitung sagt sie, dass sie daran glaubt, dass die meisten Menschen gut sind. Oder gut sein wollen. So schafft sie es von Beginn an, den Leser*innen ein positives Gefühl zu geben: Sie willkommen zu heißen. Sie nicht zu verurteilen. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Ihnen keine Vorwürfe zu machen. Dennoch ist die Botschaft klar: Liebe weiße Menschen versteckt euch nicht länger in eurem Happyland. Hört Menschen und Communities zu, die jeden Tag rassistische Erfahrungen machen müssen. Lasst euch mitnehmen in ihre Welt. Lernt rassistische Strukturen zu erkennen und diese zu verändern. Verlasst Happyland.

Der Begriff weiß ist kursiv geschrieben, so macht es Tupoka Ogette in ihrem Buch. Denn es handelt sich um einen politischen Begriff und nicht um eine Beschreibung des Aussehens.

Zum Buch EXIT RACISM

Exit Racism ist ein „Mitmach-Buch“. Denn Ogette selbst ist „Expertin für Vielfalt und Antidiskriminierung“ (S.2) und „Trainerin, Beraterin und Coach“ (S.2). Das Buch ist so ähnlich aufgebaut wie ihre Workshops. Die meisten Kapitel setzen sich aus einem Input-Teil, einem interaktiven Teil und Logbucheinträgen zusammen. In der Einleitung ihres Buches beschreibt die Autorin selbst, was in den jeweiligen Teilen zu finden ist.

Hintergrundwissen

„Unter >Input< findest Du Informationen, geschichtliche Herleitungen, Erklärungen zu dem jeweiligen Themenabschnitt.“ (S.6) Hier wird also faktisches Wissen über Rassismus geteilt. Es werden Fragen gestellt und Bezüge deutlich gemacht. Dieses Wissen soll den Leser*innen helfen Rassismus zu erkennen und ihn dekonstruieren zu können.

Antirassismus im Alltag

Das kann dann auch direkt geübt werden. Im interaktiven Teil des Buches sind Vorschläge, Ideen und Anregungen für die Auseinandersetzung mit Rassismus im Alltag zu finden. Ogette betont hier den Wert des Emotionalen. Sie betont, dass Rassismus ganz eng mit unserer Wahrnehmung der Welt verbunden ist. Mit der Art und Weise, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen – auch emotional. Daher muss und kann eine Auseinandersetzung mit Rassismus nur in Zusammenhang mit der emotionalen Ebene stattfinden. Und dafür sind Begegnungen wichtig. Dafür sind Gespräche wichtig. Dafür ist Zuhören wichtig und verstehen wollen.

Der interaktive Teil des Buches gibt den Leser*innen Möglichkeiten, dies in ihrem Alltag umzusetzen. Die Leser*innen können selbst entscheiden, welche dieser Möglichkeiten sie ausprobieren möchten. So kann der Inhalt des Buches, das Gelernte, in den eigenen Alltag integriert werden. Rassistische Strukturen können erkannt und aufgebrochen werden. Menschen können aufeinander zu gehen. Schranken und Grenzen können nach und nach abgebaut werden. Die Leser*innen begeben sich auf ihre ganz persönliche Reise raus aus Happyland.

Die eigene Reise – ein Prozess

Und diese Reise ist gar nicht so leicht. Denn die Leser*innen realisieren, welche rassistischen Strukturen in Deutschland vorhanden sind. Sie erhalten Einblicke in die Welt von Schwarzen Menschen und People of Color. Sie hören ihre Geschichten. Geschichten von den Menschen, die tagtäglich Rassismus erleben und wie dieser ihren Alltag und ihr Denken beeinflusst. Die Leser*innen des Buches setzen sich auch mit ihren eigenen unbewussten rassistischen Verhaltensweisen und Handlungen auseinander. All das zu erkennen und sich selbst einzugestehen ist nicht einfach. Es ist ein Prozess mit dem jede*r ganz individuell umgeht und den jede*r ganz individuell erlebt. Er wird von vielen Gedanken, Fragen und Emotionen begleitet. Damit diese besser reflektiert werden können, finden sich im Logbuch-Teil des Buches Tagebucheinträge von ehemaligen Workshopteilnehmer*innen von Ogette. Sie teilen ihre Erfahrungen und Eindrücke aus ihrer Reise raus aus Happyland. So kann die eigenen Reise besser reflektiert, verstanden und eingeordnet werden.

Trauer, Mut, Veränderung

Mir persönlich hat Exit Racism sehr viel gebracht. Ich verstehe die gewachsenen rassistischen Strukturen Deutschlands nun sehr viel besser. Ich verstehe auch sehr viel besser, wie sich rassistisch diskriminierte Menschen in einer solchen Welt bewegen müssen – was das mit ihnen macht. An vielen Stellen musste ich schlucken, mich und mein Verhalten reflektieren. Ich musste auch feststellen, welche Rassismen ich unbewusst reproduziert habe. Aber ich konnte auch lernen, wie ich es in Zukunft besser mache und wie ich mich für eine antirassistische Welt einsetzen kann. Ich bin froh, nicht mehr in Happyland zu leben.

Exit Racism ist ein Buch, das unter die Haut geht. Es löst Trauer, Wut und Angst aus. Gleichzeitig bestärkt es, empowert und macht Mut. Es löst Wille zur Veränderung aus. Es ist ein wichtiger Teil antirassistischer Arbeit und ein wichtiger Schritt in eine weniger rassistische Welt.

Tupoka Ogette: Exit Racism. Rassimsmuskritsiche denken lernen. Erschienen2017 im Unrast-Verlag, mittlerweile in der 9. Auflage. ISBN 978-3-89771-230-0

Verlinkt in :

Über den Autor

Svenja Heissner

hat Geschichtswissenschaften und Internationale Literatur an der Universität Tübingen und Public History an der Freien Universität Berlin studiert. Sie arbeitet seit Anfang Januar 2021 als Community Managerin der European Digital UniverCity an der Universität Potsdam. Sie ist zuständig für Kommunikation und Veranstaltungen sowie für den Outreach des Projektes. Sie ist außerdem Coach im Projekt #BeInterNett des Vereins Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und gibt dort Workshops zum Umgang mit Hatespeech.

Alle Artikel anzeigen