27 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes und der Shoah reisten sie in das Land ihrer Verfolger zurück: die israelische Olympiamannschaft zu den XX. Olympischen Spielen in München 1972. Für elf von ihnen endeten die Spiele tödlich. Am 5. September 1972 töteten Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ zwei israelische Athleten im Olympischen Dorf, neun weitere nahmen sie als Geiseln. Nach mehreren gescheiterten Befreiungsversuchen der deutschen Sicherheitskräfte wurden auch sie ermordet.

Weitere 50 Jahre später, am vergangenen 5. September 2022, entschuldigte sich erstmals der deutsche Bundespräsident bei den Angehörigen der Opfer für das damalige Versagen der deutschen Behörden. Darüber hinaus sprach Steinmeier bei der offiziellen Gedenkfeier im Fliegerhorst von Fürstenfeldbruck – einem Hauptschauplatz des Geschehens – von einem weiteren Versagen auf deutscher Seite: Fünf Jahrzehnte lang mussten die Angehörigen für eine angemessene Entschädigung, Würdigung und Aufklärung über das Attentat in Deutschland kämpfen. Derweil überwogen auf deutscher Seite die Versuche den Terrorakt und damit das eigene Versagen zu vergessen und zu verdrängen. Nach 50 Jahren soll damit endlich Schluss sein.

Ausgang und Anfang des Olympia-Attentats 1972

„They are all gone.“ Mit diesem Satz machte der ABC-Moderator Jim McKay das katastrophale Ende der Geiselnahme in München weltweit bekannt. David Berger, Ze’ev Friedman, Yossef Gutfreund, Eliezer Halfin, Yossef Romano, Kehat Schor, Amitzur Shapira, Mark Slavin, Andrei Spitzer, Yakov Springer, Moshe Weinberg und mit ihnen der deutsche Polizist Anton Fliegerbauer – keiner von ihnen hatte das Olympia-Attentat 1972 überlebt. Neben Trauer und Wut über die terroristische Aktion ließ in den folgenden Tagen auch die Frage nach den Fehlern im Krisenmanagement nicht lange auf sich warten. Wie hatte es eine Gruppe von acht Terroristen geschafft vor den Augen der Weltöffentlichkeit zwölf Menschen zu erschießen? Hätte ihre Tod verhindert werden können?

Dabei hatten die Fehleinschätzungen der zuständigen Stellen offenbar bereits mit dem Erarbeiten des Sicherheitskonzeptes für die Veranstaltung begonnen. Um eine Abkehr vom Militarismus der NS-Zeit zu demonstrieren, befanden sich auf dem gesamten Gelände nur unbewaffnete Sicherheitskräfte. Anzeichen auf eine mögliche, bevorstehende Terrorgefahr wurden derweil ignoriert. Als sich in den frühen Morgenstunden des 5. September die Meldung einer Geiselnahme im Olympischen Dorf verbreitete, traf es die Polizeikräfte somit vollkommen unerwartet.

„Alles ging schief“ – Gescheiterte Befreiungsversuche

In den folgenden Stunden nach der Geiselnahme gab es neben zähen Verhandlungen mit den Geiselnehmern mehrere Befreiungsversuche durch die Münchner Einsatzkräfte. Jeder einzelne von ihnen scheiterte. Mal umgingen die Attentäter die Fallen der Polizei, mal konnten sie anhand der ungehinderten Berichterstattung das Vorgehen der Polizeikräfte im Fernsehen mitverfolgen. Insgesamt machten die Befreiungsbesuche vor allem eines deutlich: Die deutsche Polizei war für die Reaktion auf einen Terroranschlag weder angemessen ausgerüstet noch ausgebildet. Selbst die Anzahl der Attentäter blieb den Einsatzkräften bis zuletzt unbekannt. Angebotene Hilfe in Form von Spezialkräften aus Israel wurde ausgeschlagen.

Zum Desaster kam es schließlich auf dem Fliegerhorst der nahe gelegenen Ortschaft Fürstenfeldbruck. Vor der letzten verzweifelten Befreiungsaktion hatte der deutsche Krisenstab den Terroristen zunächst die Ausreise mit ihren Geiseln zugesagt. Auf dem Flugplatz eröffneten daraufhin wenige Polizisten das Feuer auf die Geiselnehmer. In dem folgenden Gefecht starben ein deutscher Polizist und fünf der acht Attentäter. Die israelischen Geiseln konnten dabei nicht gerettet werden. Alle neun wurden von den Terroristen getötet.

Vertuschung und Gedenken in Deutschland

Dass es sich bei einem derartigen Ausgang nur um ein vollständiges Scheitern des deutschen Krisenmanagements handeln konnte, ist aus heutiger Sicht unumstritten. Das war jedoch nicht immer so. Am Folgetag des Anschlags verkündete der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber, die Ermordung aller elf Geiseln sei schlichtweg nicht zu verhindern gewesen. Stattdessen wurde ihr Tod als Versagen der israelischen Regierung gewertet, die ein Ultimatum der Attentäter zur Freilassung der Geiseln ausgeschlagen hatte. Ein erster offizieller Bericht in den folgenden Wochen nach dem Anschlag bestätigte diese Sichtweise.

Derweil verbreiteten sich in den deutschen Medien einzelne kritische Berichte über die Aufstellung und das Vorgehen der Polizei. Im Dezember 1972 eröffnete der Münchner Oberbürgermeister auch eine erste Gedenktafel an die ermordeten israelischen Geiseln im Olympischen Dorf. Erst 1995 folgte als weithin sichtbares Mahnmal der sogenannte „Klagebalken“ des Künstlers Fritz Koenig auf dem Olympiagelände. Weitere vier Jahre später wurden der Eingang des Fliegerhorstes in Fürstenfeldbruck als Mahnmal gekennzeichnet und alljährliche, kleine Gedenkveranstaltungen initiiert.

Über diese Aktionen hinaus hielt das Gedenken an die Münchner Geiselnahme 1972 jedoch kaum Einzug in die deutsche Erinnerungskultur. Über vierzig Jahrzehnte vergingen, bis 2017 die erste permanente Ausstellung über das Attentat eröffnete. Im Olympiapark erhalten Besucher:innen des „Erinnerungsortes Olympia-Attentat“ seither Informationen über die Hintergründe, den Ablauf und Ausgang des Anschlages. Was diese wichtige Aufklärungsarbeit bis zum heutigen Zeitpunkt jedoch behindert ist die jahrzehntelange Abwehr von Ermittlungsarbeit über Einzelheiten des Attentats. So befand der Bundestag im Herbst 1972 eine parlamentarische Untersuchung der Ereignisse für überflüssig. Von Seiten des bayrischen Justizministeriums wiederum wurde bis in die 1990er Jahre das Vorhandensein jeglicher Akten abgestritten.

Grabstätte von fünf der elf israelischen Opfer auf dem Friedhof von Kiryat Shaul in Tel Aviv, Foto: CC BY-SA 3.0

Der Kampf um Anerkennung, Aufklärung und Entschädigung

Ganz anders als in Deutschland gestaltet sich das Erinnern an das Münchner Attentat in Israel. In Form von zahlreichen Gedenkorten und -Veranstaltungen sowie beispielsweise mit der Umbenennung von Straßen und Gebäuden wird den Opfern des Anschlages bis heute gedacht. Gerade vor dem Hintergrund der ohnehin schweren Verbindung zu Deutschland, dem Land der Nationalsozialisten und der Shoah, weckte das Olympia-Attentat 1972 schmerzhafte Erinnerungen. Verstärkt wurde dieser Schrecken durch die Reaktionen aus Deutschland. Vergeblich setzten sich die Angehörigen der Opfer jahrzehntelang für die lückenlose Aufklärung des Falles und damit des behördlichen Versagens ein. Auch eine offizielle Entschuldigung von Seiten der wechselnden deutschen Regierungen blieb aus.

Mit Berufung auf international bekannte Fälle forderten die Familien der Opfer außerdem Entschädigungszahlungen für das Fehlverhalten der Sicherheitskräfte. Zwar lassen sich damit keine Menschenleben aufwiegen, für die Angehörigen stellen solche Zahlungen aber eine entscheidende Entlastung dar. Vielen von ihnen drohte mit dem Verlust des Vaters, Bruders, Sohnes oder Partners nicht zuletzt auch der finanzieller Abstieg. Durch das Abstreiten jeder Verantwortung entzog sich das Gastgeberland der Olympischen Spiele jedoch auch diesen Forderung. Insgesamt erhielten die Angehörigen zwischen 1972 und 2002 4,6 Millionen Euro aus Deutschland – eine Summe, die als „humanitäre Geste“ gekennzeichnet wurde und weit hinter internationalen Standards zurückliegt.

Gedenken an 1972 – 50 Jahre später

Wenige Tage vor dem 50. Jahrestag des Olympia-Attentats 1972 waren weder der Streit um die Anerkennung der deutschen Verantwortung noch die Verhandlung mit den Angehörigen über eine angemessene Entschädigung abgeschlossen. Aus diesem Grund kündigte Ankie Spitzer, die Witwe des getöteten Fechttrainers Andrei Spitzer, im Namen der übrigen Hinterbliebenen zunächst an, die Feierlichkeiten zu boykottieren. Daraufhin kam es doch noch zu einer Einigung: 28 Millionen Euro erhalten demnach die Angehörigen der Opfer. Zudem verspricht Steinmeier die Einsetzung einer israelisch-deutschen Kommission, um alle Hintergründe der Tat und der Polizeimaßnahmen aufzuklären.

Ein weiterer Schritt folgte schließlich auf der Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck. Neben dem deutschen Bundespräsident baten unter anderem die Bundesinnenministerin und der Ministerpräsident Bayerns die Angehörigen um Vergebung für das behördliche Versagen vor 50 Jahren. Für die Deutschen ist das ein schmerzhaftes Eingeständnis. Den Hinterbliebenen hilft die Entschuldigungen wiederum dabei mit der Vergangenheit endlich abzuschließen.

Gegen Vergessen – das Olympia-Attentat 1972 als Teil deutscher Erinnerungskultur

Mit dem Ende eines Jahrzehnte währenden Streits um Entschädigung und Vertuschung beginnt in Deutschland ein neuer Umgang mit der Vergangenheit. Das demonstrierten mehrere Veranstaltungen zum Olympia-Attentat 1972 rund um den 50. Jahrestag. Noch vor der Feier in Fürstenfeldbruck gedachten Angehörige und Deutsche den Opfern des Anschlags am „Erinnerungsort Olympia-Attentat“ im Olympischen Dorf. Einen Tag zuvor, am 4. September, radelten etwa 600 Menschen aus Deutschland und Israel vom Olympiagelände nach Fürstenfeldbruck. Die gemeinsame Fahrt setzte ein Zeichen: zum Erinnern an die Opfer und für ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Israel und Deutschland.

Neben diesen Aktionen wird das Gedenken zur Zeit auch im digitalen Raum sichtbar. Zahlreiche überregionale und lokale Medien berichteten bereits Wochen vor dem 50. Jahrestag über die Ereignisse am 5. September 1972. In den kommenden Tagen und Wochen nach dem Gedenktag ist nun wieder mit einer abfallenden Aufmerksamkeit zu rechnen. In Vergessenheit geraten soll das Ereignis aber nicht mehr.

Zu diesem Zweck wurde im Januar die Aktion „Zwölf Monate – Zwölf Namen“ ins Leben gerufen. Bis zum Ende des Jahres gedenken verschiedene Kulturinstitutionen in München den Opfern des Attentates. Zudem eröffnete am 5. September 2022 der digitale „Erinnerungsort Olympia-Attentat 1972 in Fürstenfeldbruck„. Anhand von unterschiedlichen Quellen, Zeitzeugengesprächen und weiteren Hintergrundinformationen möchte die Aktion des Landkreises Fürstenfeldbruck einen Beitrag zum Gedenken an das Attentat leisten. Der Blick zurück ist dabei aber immer auch ein Blick nach vorne. Erinnern ist nämlich nicht nur eine Frage der Verantwortung gegenüber Opfern von damals und ihren Angehörigen. Sie verweisen dabei immer auch auf aktuelle Bedrohungen.

Die Erinnerungsorte und Gedenkfeiern sind auch eine stete Mahnung, gegenwärtigem Antisemitismus und Rassismus entschieden entgegen zu treten.

Erinnerungsort Olympia-Attentat 1972
Titelbild: Die Gedenktafel vor dem israelischen Appartment im Olympischen Dorf im Jahr 2012, Foto: CC BY 3.0 de. 

Über den Autor

Ines S.

Ines studiert Public History an der Freien Universität Berlin.

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